AG Coburg: Vorsicht Hund – Schadensersatzklage eines Radfahrers

Das AG Coburg wies die Schadensersatzklage eines Radfahrers, der nach dem Anbellen durch einen Hund auf einem breiten Weg gestürzt war, ab. Grund für den Unfall war nicht die „spezifische Tiergefahr“, sondern eine unangemessene Schreckreaktion des Klägers.

Tatbestand:

Der junge und sportlich aktive Kläger war mit seinem Fahrrad auf einem mindestens 2,30 m breiten und gerade verlaufenden Weg unterwegs zur Schule und hörte dabei über Ohrstöpsel Musik. Der beklagte Hundehalter hatte angesichts des nahenden Radfahrers das nicht übermäßig große Tier direkt am Halsband festgehalten und am Wegesrand gewartet, um den Kläger passieren zu lassen. Als das Rad auf Höhe des Hundes war, bellte dieser einmal und machte eine kurze Bewegung in Richtung des Klägers. Der stürzte kurz nach dieser Begegnung und zog sich Verletzungen im Gesicht und auch an den Zähnen zu.

Der Radfahrer behauptete, der Hund habe einen Satz in Richtung Wegesmitte gemacht. Zwar habe der Hundehalter das Tier festhalten können, jedoch sei der Kläger so erschrocken, dass er eine spontane Ausweichbewegung gemacht hätte, wobei er gestürzt sei. Wegen der erlittenen Verletzungen wollte der Kläger deshalb u.a. Schmerzensgeld im vierstelligen Bereich.

Der beklagte Tierhalter schilderte die Situation so, dass zwar sein Hund versuchte, hochzuspringen, ihm dies jedoch nicht gelang. Auf das Bellen habe der Kläger auch gar nicht reagiert. Er sei vielmehr mit hoher Geschwindigkeit vorbeigefahren und erst dann gestürzt.

Nach der Vernehmung einer Zeugin hat das AG die Klage abgewiesen.

Aus den Gründen:

Zwar ist der Halter eines Tieres immer auch unabhängig von einem eigenen Verschulden dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn durch sein Tier jemand verletzt wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich eine sogenannte „spezifische Tiergefahr“ verwirklicht.

Problematisch ist dies bei menschlichen Schreckreaktionen. Sind diese – gemessen an der Bevölkerungsgruppe des Verletzten – als Reaktion auf das Verhalten eines Tieres noch verständlich und nachvollziehbar, haftet der Tierhalter. Bei kleinen Kindern oder alten Menschen kann etwa das einmalige Anbellen durch einen Hund bereits genügen. Reagiert der Betroffene aber völlig unverständlich und überzogen, ist er für seinen dann eintretenden Schaden selbst verantwortlich.

Von einer solchen unangemessenen Schreckreaktion ging das Amtsgericht auch in diesem Fall aus. Der eher kleine Hund wurde an der Seite des breiten Weges festgehalten, hatte nur einmal gebellt und sich kurz in Richtung des Klägers bewegt. Der Kläger hatte den Hund schon frühzeitig erkennen und sich dementsprechend auf die Situation einstellen können. Es war auch klar erkennbar, dass der Hund nicht frei umherlief, sondern vielmehr der Beklagte das Tier festhielt. Der Kläger hätte also ohne weiteres langsam fahren oder das Rad auch ein kurzes Stück schieben können. Er fuhr jedoch, über seine Ohrstöpsel Musik hörend, am Beklagten und dessen Hund vorbei.

Die dann zum Sturz führende Reaktion des Klägers ist damit nicht mehr auf die spezifische Gefahr des Hundes zurückzuführen, sondern stellt nach der Entscheidung des Amtsgerichts eine schuldhafte Überreaktion dar, weshalb die Klage keinen Erfolg hatte.

Nach dem Gesetz haftet der Halter eines Tieres, das kein Nutztier ist, auch dann für Schäden, die ein Dritter durch das Tier erleidet, wenn den Tierhalter kein Verschulden trifft. Voraussetzung für diese sehr weitgehende Gefährdungshaftung ist, dass sich gerade die spezifische Gefahr des betroffenen Tieres verwirklicht. Davon kann aber dann keine Rede mehr sein, wenn der Dritte vollkommen unangemessen und überzogen auf das Verhalten des Tieres reagiert.

AG Coburg, Urteil vom 28.8.2013 (12 C 766/13)

Das Urteil ist rechtskräftig.

Pressemitteilung PM26/15 vom 17.11.2015.

AG München: Ein privater Grundstücksbesitzer ist berechtigt, Falschparker abschleppen zu lassen

Freches Parken

Ein privater Grundstücksbesitzer ist in der Regel berechtigt, Falschparker sofort abschleppen zu lassen, ohne die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beachten zu müssen, solange die Maßnahme erforderlich ist, um die Besitzstörung zu beenden.

Tatbestand:

Der Kläger aus K. stellte seinen Pkw am Samstag, dem 24.10.2015, um 22.30 Uhr auf einer Parkfläche für Bahnbedienstete in A. ab, die als privater Parkplatz von der beklagten Grundstücksbesitzerin gekennzeichnet ist. Als er am 25.10.2015 um 1.30 Uhr zurückkehrte war der Pkw nicht mehr da. Der Kläger wandte sich an die örtliche Polizeidienststelle und erfuhr dort, dass sein Fahrzeug von einem Abschleppdienst auf Veranlassung der Grundstücksbesitzerin abgeschleppt worden ist. Zwischen der Beklagten und dem Abschleppdienst besteht eine Rahmenvereinbarung. Nach dieser Vereinbarung tritt die Grundstücksbesitzerin alle ihre Ansprüche gegen unberechtigte Parkplatznutzer auf Kostenerstattung an den Abschleppdienst ab, sodass der Abschleppdienst die Abschleppkosten erhebt. Der Kläger zahlte an den Abschleppdienst insgesamt 253 Euro€, bevor er sein Fahrzeug wieder in Empfang nehmen konnte.

Der Kläger hatte hinter der Windschutzscheibe seines Pkw einen Zettel mit dem Hinweis „bei Parkplatzproblemen bitte anrufen“ mit seiner Mobilfunknummer hinterlassen. Er ist der Meinung, dass das Abschleppen unverhältnismäßig gewesen sei. Er habe sich in der Nähe aufgehalten und hätte das Fahrzeug umgehend entfernen können. Das Fahrzeug habe auch niemanden behindert. Zudem seien die von ihm verlangten Kosten zu hoch. Den Aufwand für die Dokumentation (65,50 €Euro) schulde er nicht, ebenso wenig den Nachtzuschlag (23 Euro€).

Er verlangte die Abschleppkosten zurück. Da die Grundstückseigentümerin nicht zahlte, erhob er Klage zum AG München. Die zuständige Richterin wies die Klage ab.

Aus den Gründen:

Die beklagten Grundstückseigentümerin habe von dem falschparkenden Kläger Schadensersatz verlangen können, die Zahlung des Klägers an den Abschleppdienst sei daher mit Rechtsgrund erfolgt.

„Indem der Kläger sein Fahrzeug auf dem nicht der Öffentlichkeit gewidmeten Grundstück der Beklagten abstellte, verletzte er deren Eigentum und Besitz. Hierin liegt eine verbotene Eigenmacht und ein teilweiser Besitzentzug (§§ 858, 859 Abs. 3 BGB). Der Kläger handelte auch schuldhaft (§ 823 Abs. 2 S. 2 BGB). Dem Kläger hätte diese Verletzung des Eigentums und des Besitzes der Beklagten beim Abstellen seines Fahrzeugs auffallen müssen. Er räumt selbst ein, dass entsprechende Hinweisschilder für eine private Nutzung der Parkfläche vorhanden waren“, so das Urteil. Der Schaden der Grundstücksbesitzerin liege in den Kosten, die sie wegen des Falschparkens des Klägers hatte, also den Abschleppkosten.

Dabei sei die Grundstückseigentümerin – anders als eine staatliche Stelle – nicht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, solange ihre Maßnahmen dazu erforderlich sind, den Schaden (also die Besitzstörung durch den Falschparker) zu beseitigen. „Danach musste die Beklagte, die dort Parkplätze für übernachtende Bahnmitarbeiter bereit hält, mitten in der Nacht nicht bei einem ihr völlig unbekannten Kfz-Halter anrufen, mit dem sie ersichtlich in keinerlei geschäftlichen Kontakt stand (gegebenenfalls anders bei Kundenparkplätzen, wenn es um dort mutmaßlich abgestellte Kundenfahrzeuge geht). Insoweit kann auch der weitere Vortrag des Klägers zu seinem allgemein gehaltenen Hinweis hinter der Windschutzscheibe als zutreffend unterstellt werden. Aus diesem Zettel ging nicht hervor, dass er sich nur wenige Minuten auf dem Parkplatz der Beklagten aufhalten will; ganz im Gegenteil suggeriert sein Hinweis, dass der Parkplatz von ihm nicht nur kurzfristig genutzt werden sollte. Ebenso wenig kann dem Zettel entnommen werden, dass sich der Kläger im Falle eines Anrufs sofort wieder einfinden werde. Sein Aufenthaltsort und der Zweck seines Aufenthalts werden darin nicht mitgeteilt.

Die Beklagte durfte unter diesen Umständen das ihr zur Verfügung stehende effektivste Mittel des Abschleppens wählen, um die vom Kläger verübte Eigentumsstörung und die darin liegende verbotene Eigenmacht „sofort“ zu beenden“, so die Urteilsbegründung. Die reinen Abschleppkosten in Höhe von 164,50 Euro zuzüglich des Nachtzuschlags seien nicht zu beanstanden, da sie ortsüblich wären. Auch die Dokumentationskosten seien erst durch das Falschparken ausgelöste worden und daher erstattungsfähig.

AG München, Urteil vom 2.5.2016 (122 C 31597/15)

Das Urteil ist rechtskräftig.

Pressemitteilung 55/16 vom 15.7.2016

BSG: Rückgriff des Krankenversicherers gegen leistungspflichtigen SVT

Versicherungsvertragsrecht
Krankenversicherung
Rückgriff des Krankenversicherers gegen leistungspflichtigen SVT
VVG § 86; SGB V § 13; SGB VII §§ 26 f.; BGB §§ 677 ff.; BGB § 812
1. Dem privaten Krankenversicherer, der seinem VN für Heilbehandlung aufgrund eines Unfalls Leistungen erbringt, weil der gesetzliche Unfallversicherungsträger (zunächst) seine Leistungspflicht zu Unrecht ablehnt, steht im Wege der nachträglichen Zweck- und Tilgungsbestimmung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen den Unfallversicherungsträger zu, weil dieser mit der Kostenübernahme ohne Rechtsgrund bereichert ist.
2. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch besteht nur insoweit, als der Unfallversicherungsträger selbst wegen der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsschäden Heilbehandlungsmaßnahmen nach SGB VII hätte erbringen müssen.
BSG, Urteil vom 3.4.2014 (B 2 U 21/2 R)

(abgedr. in VersR 2015, 479)

OLG Koblenz: Pflicht zur Anzeige einer Berufsunfähigkeit beim Versicherer bei mehr als sechsmonatiger Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit

Versicherungsvertragsrecht
Berufsunfähigkeitsversicherung
Pflicht zur Anzeige einer Berufsunfähigkeit beim Versicherer bei mehr als sechsmonatiger Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit
VVG § 1
* 1. Ist der VN einer Berufsunfähigkeitsversicherung über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten hinaus ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt, so muss er das Bestehen einer Berufsunfähigkeit in Betracht ziehen, wenn die einschlägigen AVB die Klausel enthalten: „Ist der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls … vollständig oder teilweise außerstande gewesen, seinen Beruf auszuüben, so gilt die Fortdauer dieses Zustands als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit“.*
* 2. Das gilt auch dann, wenn die behandelnden Ärzte immer wieder baldige Genesung in Aussicht stellen und der VN beim zuständigen SVT einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Erwerbsleben und nicht etwa einen Rentenantrag gestellt hat.*
* 3. Dem VN, der in dieser Situation die objektiv eingetretene Berufsunfähigkeit nicht innerhalb der vertraglich vorgesehenen Fristen dem Versicherer anzeigt, versäumt diese Fristen regelmäßig schuldhaft.*
OLG Koblenz, Beschluss vom 24.2.2016 (10 U 910/15)

(abgedr. in VersR 2016, 717)

 

Michael Jakobs und Alexander Franz: Können W&I-Versicherungen das M&A-Geschäft beleben?

Im Rahmen von Unternehmensfusionen und -übernahmen (Mergers-and-Acquisitions-[M&A-]Transaktionen) wird das gesetzliche Gewährleistungssystem häufig abbedungen und werden Umfang und Ausgestaltung von Garantien (sogenannte Warranties) und Freistellungen (sogenannte Indemnities) der Disposition der Vertragsparteien unterstellt. Dieses individuelle Gewährleistungsregime ist regelmäßig emotional umkämpfter Kern der Vertragsverhandlungen. Während der Haftungsschuldner (zumeist der Verkäufer) stets bestrebt sein wird, Gewährleistungen in einem möglichst geringen Umfang für einen möglichst kurzen Zeitraum zu gewähren, hat ein Investor vor allem aufgrund der bestehenden Informationsasymmetrie gegenläufige Interessen. Häufig kommt erschwerend hinzu, dass einerseits selbst umfangreiche Garantien und Freistellungen dem Sicherungsinteresse eines Investors nicht gerecht werden und andererseits das mit einer potenziellen Gewährleistungshaftung verbundene finanzielle Risiko für den Haftungsschuldner untragbar ist. In diesem Spannungsfeld kann es durchaus zu einem Stillstand der Verhandlungen und schlimmstenfalls zu einem Scheitern der Transaktion kommen.

Eine denkbare Lösung in derart verfahrenen Situationen kann die sogenannte Warranties-and-Indemnities-(W&I-)Versicherung sein. Diese Versicherung stammt aus dem anglo-amerikanischen Markt, hat sich dort bereits seit nahezu zwei Jahrzehnten in der Transaktionslandschaft etabliert und wird inzwischen auch vermehrt in Kontinentaleuropa, u. a. auch in Deutschland, angeboten. Über die W&I-Versicherung werden primär Risiken im Zusammenhang mit den vertraglichen Garantie- bzw. Freistellungserklärungen von den Parteien auf den jeweiligen Versicherer verlagert. Es ist zwischen veräußererseitigen und erwerberseitigen Versicherungspolicen zu unterscheiden – je nachdem, in wessen (primären) Interesse eine solche Versicherung abgeschlossen wird.

Wie sich die bestehenden W&I-Versicherungsmodelle in die im Rahmen einer M&A-Transaktion vorzunehmende Risikoverteilung einfügen und ob das Angebot an bestehenden Policen geeignet ist, schwierige Verhandlungssituationen zu überwinden und dadurch das M&A-Geschäft zu beleben, ist Gegenstand des Beitrags von Jakobs und Franz.

(abgedr. in VersR 2014, 659)