Quo vadis kollektiver Verbraucherschutz?

Ein Aufsichtsschwerpunkt der BaFin für 2021

Anfang Mai hat die BaFin ihre Aufsichtsschwerpunkte für das laufende Jahr bekannt gegeben. Neben zwei Themen mit klarem Aktualitäts- und Zeitbezug – die BaFin möchte zum einen der Frage nach Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die beaufsichtigten Unternehmen und die Finanzmärkte weiter nachgehen und zum andern IT- und Cyberrisiken nach wie vor im Fokus belassen – ist dort zudem der kollektive Verbraucherschutz als Schwerpunktthema für das Jahr 2021 genannt. Das stellt sich die BaFin konkret wie folgt vor:

Sie möchte u.a. ihr Konzept zur aufsichtsbehördlichen Überprüfung, wie Unternehmen mit den Vorgaben des § 48a VAG für die Vertriebsvergütung umzugehen haben, fortentwickeln. Denn im Grundsatz geht die BaFin davon aus, dass dieser Aufsichtsschwerpunkt zwanglos aus der gesetzlichen Kompetenzzuweisung folge, wonach es Hauptziel ihrer Tätigkeit als integrierte Aufsichtsbehörde für den Finanzmarkt Deutschland ist, sowohl die Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität des deutschen Finanzmarktes zu sichern als auch den kollektiven Verbraucherschutz zu gewährleisten. Dabei sie die Vertriebsvergütung für beides von wichtiger Bedeutung und mit den vom Gesetzgeber jüngst beschlossenen Provisionsdeckel für die Restschuldversicherung in § 50a VAG, der neben den Provisionsdeckel für die substitutive Krankenversicherung in § 50 VAG treten wird, sei es allein noch nicht getan. Denn nur mit einer weitergehenden Kontrolle der Vertriebsvergütungen könne auch dem Erwägungsgrund Nr. 16 der Solvency-II-Richtlinie genügend Rechnung getragen werden, wonach vorrangiges Ziel ein angemessener Schutz der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten sei.

Was hierbei aber zunächst nicht aus dem Blick geraten darf, ist, dass der Schutz der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten aufsichtsbehördlich nur kollektivbezogen überwacht werden soll und nicht individuell. Für die individuelle Durchsetzung von Versicherungsansprüchen bleiben die Zivilgerichte in der Alleinverantwortung. Aber auch beim Schutz der Versicherungsgemeinschaft im Ganzen darf bei dem aufsichtsbehördlichen Schwerpunkt nicht aus den Blick geraten, dass es oftmals auch um eine Interessenabwägung zwischen dem Schutz der Verbraucher geht, die Teil der Versicherungsgemeinschaft sind, und denjenigen, die der Versicherungsgemeinschaft nachträglich den Rücken kehren und dabei noch das Maximale herausholen möchten.

Konkret ist hier beispielsweise an diejenigen Versicherten zu denken, die sich im Zuge der Rechtsstreitigkeiten um Fragen der §-5a-VVG-a.F.-Problematik auf ein „ewiges“ Vertragslösungsrecht berufen. Sie wollen nachträglich nie Teil des Kollektivs gewesen sein, dessen Schutz oberstes Ziel der Versicherungsaufsicht ist. Dabei ist dieser Wille von dem Ziel getragen, nach faktischer Inanspruchnahme von Versicherungsschutz ohne eingetretenen Versicherungsfall noch einen wirtschaftlichen Mehrwert zu erzielen. Dies geschieht dabei oftmals unter Berufung auf vermeintliche Formfehler bei der Ausgestaltung der Belehrung. Damit aber stehen ihre Interessen den Interessen des Versichertenkollektivs nicht selten diametral gegenüber. Der Schutz dieser Nicht-Versicherungsnehmer und anderer abgehender Versicherten kann also nicht isoliert gesehen werden, wenn die BaFin von ihren Aufgaben im Bereich des kollektiven Verbraucherschutzes spricht.

Ähnliches gilt mit Blick auf die aktuellen Rechtsstreitigkeiten wegen vorgeblich unwirksamer Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung. Während die Mehrheit der Versicherungsnehmer die materielle und formelle Richtigkeit der erfolgten Beitragsanpassungen akzeptiert, machen einige Versicherte deren Unwirksamkeit allein in formeller Sicht geltend. Indem sie aber ihre vermeintlichen Individualrechte einklagen, stellen sie sich zugleich gegen das Kollektiv, dem sie z.T. auch weiter angehören wollen. Denn sie streben hier eine individuelle Besserstellung an, die mit dem aufsichtsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz auf lange Sicht nicht in Einklang zu bringen ist.

Zurück zur Vertriebsvergütung: Hier überrascht der Ansatz der BaFin, als dass sie sich bei der Diskussion rund um die Provisionsdeckelung in der Lebens- und Restschuldversicherung dahingehend positioniert hatte, dass eine solche Regelung erforderlich sei, weil § 48a VAG als spezielle Befugnisnorm allein eher nicht ausreiche. Im allzeit populären Gewand des Verbraucherschutzes („Regierung räumt mit Provisionswucher auf“[https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/recht/verbraucherschutz-reform-der-restschuldversicherungen-regierung-raeumt-mit-provisionswucher-auf/27163738.html?ticket=ST-13577135-cyCgpbPUyvL3FgZeH6mk-ap3]) wurde auch hier das Bild des Kampfes für die Rechte des vermeintlich übervorteilten Verbrauchers bemüht und die Werthaltigkeit der Dienstleistung Versicherungsvermittlung in Abrede gestellt.

Dabei soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass der Gefahr möglicher Fehlanreize durch eine Vertriebsvergütung entgegengetreten werden muss. Ob dafür aber ein viele Fragen offen lassender und verwaltungsaufwändiger Provisionsdeckel das richtige Instrument ist, wird die Zukunft ebenso zeigen, wie es die Frage zu beantworten gilt, wie weit die Vorschrift des § 48a VAG für etwaige weitere aufsichtsbehördliche Maßnahmen genau reicht. Diese gesetzliche Regelung soll es der BaFin ermöglichen, einzugreifen, wenn die Vertriebsvergütung mit der Pflicht der Unternehmen, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, kollidiert. Wenn sich die BaFin nunmehr auf diese Norm im Zusammenhang mit ihrem neuen Aufsichtsschwerpunkt bezieht, gibt sie mittelbar dem FDP-Finanzexperten Frank Schäffler recht, der im Zusammenhang mit dem Streit um die Einführung eines Provisionsdeckels in der Lebensversicherung gefordert hatte, vor dem Ruf nach neuen Regelungen zunächst vorhandenes Recht anzuwenden und durchzusetzen (https://www.cash-online.de/berater/2020/frank-schaeffler-die-bafin-hat-aktuell-andere-probleme/537520; vgl. auch Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag WD 4 -3000 -024/21). Erst wenn geltendes Recht konsequent angewendet und dessen Anwendung evaluiert wird, ist die Schaffung neuen Rechts gerechtfertigt. Beim Provisionsdeckel in der Restschuldversicherung wurde aber der zweite vor dem ersten Schritt gemacht. Das Kollektiv der Versicherten wird es dem Gesetzgeber dabei nicht danken, dass dadurch weitere Verwaltungsaufwendungen auf die Versicherer zukommen, die wirtschaftlich auch von ihnen zu tragen sind.

So oder so: Man darf gespannt sein, welche Maßnahmen die BaFin im Rahmen des kollektiven Verbraucherschutzes in 2021 anstrebt. Die Diskussion um die „richtige“ Vertriebsvergütung bleibt jedenfalls weiter im vollen Gange und wird auch an den in der Vergangenheit gelobten Netto-Tarifen vermutlich nicht spurlos vorüber gehen.