Allmählichkeitsklausel intransparent

Ohne Definition von „Ereignis“ und „Einwirkung“ kein wirksamer Ausschluss

Die ARB 2015 (Musterbedingungen des VVÖ) enthalten als einen Risikoausschluss die sog. Allmählichkeitsklausel: Es besteht demnach in der Rechtsschutzversicherung kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Ereignissen, die auf allmähliche Einwirkungen zurückzuführen sind. Der OGH (7 Ob 118/20h = ZVers 2021, 17 m. Anm. Gisch) hat jüngst eine inhaltsgleiche Klausel in den ARB 1994 für intransparent i.S.d. § 6 Abs 3 KSchG und damit für unwirksam erklärt: In den ARB werde der Begriff „Ereignis“ nicht definiert. Der Begriff „Ereignis“ erfahre keine wie immer geartete Umschreibung, sodass für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer völlig offenbleibe, was darunter zu verstehen sein solle. Auch der Begriff der Einwirkungen werde in keiner Weise konkretisiert, sodass insgesamt völlig unklar sei, welche Art von Einwirkung zu welchem Ereignis führen müsse, um die Voraussetzungen des Risikoausschlusses zu erfüllen. Der Versicherungsnehmer könne damit auch nicht erkennen, welche Interessen, die er mit Rechtsschutz wahrzunehmen beabsichtige, im ursächlichen Zusammenhang mit dem nicht weiter konkretisierten auf allmähliche Einwirkung zurückzuführenden Ereignis stünde und daher vom genannten Risikoausschluss umfasst seien. Die Klausel sei insoweit intransparent.

Dem OGH ist zuzustimmen: In der Haftpflichtversicherung, wo in den AHVB die Allmählichkeitsklausel auch Verwendung findet, wird die allmähliche Einwirkung dahingehend konkretisiert, dass Schäden an Sachen ausgeschlossen sind, die durch eine allmähliche Einwirkung von Temperaturen, Gasen, Flüssigkeit, Dämpfen, Feuchtigkeit oder nichtatmosphärischen Niederschlägen wie auch Ruß und Staub entstehen (Art 7.11. AHVB 2005/2012). Die AHVB nennen also zum einen das Ereignis (Sachschaden), zum anderen werden die einschlägigen Einwirkungen aufgezählt.

Dagegen fehlt in den ARB jegliche vergleichbare Konkretisierung. Damit wird der Versicherungsnehmer (soweit Verbraucher) über seine Rechtsposition im Unklaren gelassen. Dies widerspricht dem Transparenzgebot des § 6 Abs. 3 KSchG, was nach österreichischem AGB-Recht zur Unwirksamkeit der Klausel führt. Denn das Transparenzgebot soll es dem Verbraucher nach st.Rsp. ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (hier: AVB) zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren. Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen so gestaltet sein, dass der Verbraucher durch ihre Lektüre eine klare und verlässliche Auskunft über seine Rechtsposition erhält. Insbesondere darf er durch die Formulierung einer Klausel nicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten werden. Es soll verhindert werden, dass er über die Rechtsfolgen getäuscht oder dass ihm ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt wird.

Lässt eine AVB-Klausel wie die gegenständliche Allmählichkeitsklausel in den ARB nicht näher erkennen, unter welchen genauen Voraussetzungen der Risikoausschluss greift, also der Rechtsschutzversicherer keinen Rechtsschutz gewährt, so erhält der Versicherungsnehmer eben gerade keine klare und verlässliche Auskunft über seine Rechtsposition. Er wird im Unklaren darüber gelassen, wann er bei welchen allmählichen Einwirkungen Rechtsschutzdeckung erhält oder nicht. Dies bedingt die Intransparenz der Allmählichkeitsklausel.