Na endlich! – Englischer Fußball-Verband reagiert auf Demenzrisiken

Es ist schon eine Weile her. Da wurde vor erheblichen gesundheitlichen und damit untrennbar verbundenen Haftungsrisiken im Sport gewarnt (vgl. Langheid, „Kopf an Kopf“, VW 2019, 88). Die massiven Schadensersatzforderungen von Spielern der NFA oder der NHL, wie sie in den USA gang und gäbe waren und sind, drohten auch nach Europa zu gelangen. Passiert ist – bisher – nichts. Auf Verbandsseite scheint, wenn man der veröffentlichten Meinung glauben darf, das Problem noch nicht angekommen zu sein. Auf Versichererseite auch nicht. Das mag (auch) daran liegen, dass es bislang keine ernsthaften Schadensersatzforderungen gibt. Entweder schlafen die präsumptiven Opfer und die nach ihnen benannten Anwälte oder aber deutsche Schädel und ihr Inhalt erweisen sich als stoßresistenter als auswärtige Modelle.

Ausgerechnet die sportversessenen Briten geben sich jetzt – wie schon beim Coronaimpfen, wo sie nach, wegen oder trotz Brexit die Spitzenreiter-Position im europäischen Vaccinwettlauf einnehmen – als Pioniere der Medizinprävention. Die dortige Football Association (FA), unterstützt von den Ministern Oliver Dowden (Kultur) und Nigel Huddleston (Sport), bereitet verbindliche Regeln vor, die die Spieler zumindest vor übermäßigem Kopfball-Training schützen soll. Charlotte Cowie, die Chefin der medizinischen Abteilung der FA, sieht die – ja ernsthaft nicht mehr zu bestreitende – Kausalverbindung zwischen den häufigen Demenzerkrankungen professioneller Fußballspieler und dem Kopfballspiel. Sie hat deswegen neue Richtlinien vorgeschlagen, die „unangemessen“ lange Trainingseinheiten, in den Kopfbälle geübt werden, verbieten sollen. Schon sind Testspiele im Gespräch, in denen versuchsweise mal ohne Kopfbälle gekickt werden soll. Zur Begründung hat Dr. Cowie darauf hingewiesen, dass Profis drei bis vier Mal größere Gefahr laufen, an neurodegenerativen Erkrankungen zu versterben. Unterstützt wird sie dabei von den Alt-Internationalen Gary Lineker und Sir Geoff Hurst (drittes Tor in Wembley 1966) und Trainerlegende Sir Alec Fergusson. Beschwichtigenden Überlegungen, die Hersteller von Fußbällen wie Nike sollten lieber spezielle Bälle für das Training herstellen, hat sie eine Absage erteilt.

Das alles scheint dringend notwendig: in Deutschland erleiden pro Jahr gut 50.000 Sportler Gehirnerschütterungen mit einer Dunkelziffer von bis zu 50 %, in den USA liegt die Zahl bei schätzungsweise 1,5 bis 3 Mio. Die klassischen Kontaktsportarten stehen im Fokus. Bei Eishockey, Rugby und Football sind Gehirnerschütterungen zwangsläufige Alltagserscheinungen, beim Boxen sind sie sozusagen Sinn der Sache. Auch beim Fußball kommt es häufig zu Kopfverletzungen und die vielen Kopfbälle während des Spiels, vor allem beim Training erledigen den Rest. Die internationale Fußballspieler-Gewerkschaft FifPro hat insgesamt 576 frühere Fußball-, Eishockey- und Rugbyspieler untersuchen lassen, wobei festgestellt wurde, dass die bei Kontaktsportarten unvermeidbaren Gehirnerschütterungen zu „mentalen Spätfolgen“ führen. Die Boston University hat bei 110 von 111 Gehirnen verstorbener Footballspieler die degenerativ-neurologische Erkrankung CTE (Chronische traumatische Enzephalitis) diagnostiziert, nachdem schon die University of California und das Cefn Coed Hospitals in Wales vergleichbare Forschungsergebnisse vorgelegt hatten. Das Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichte eine Langzeit-Studie der Washington University, nach der schon eine einzige Gehirnerschütterung das Demenzrisiko um 17 % erhöht. Bei einer „Traumatic Brain Injury“ (TBI) steigt es sogar auf durchschnittlich 24 %. Je jünger der Betroffene, desto höher das Risiko: bei 20-Jährigen liegt der Risikofaktor bei 63 %. Die Gefahr, zu erkranken, liegt bei Kontaktsportlern um zwei Drittel höher als bei der inaktiven Bevölkerung.

Also hat die US-National Soccer League ihre Regeln inzwischen so geändert, dass die Gefahr von Gehirnerschütterungen vermindert wird und im US-Kinder- und Jugendfußball dürfen nicht mehr als 7 Kopfbälle (pro Spiel und Spieler) ausgeführt werden. Das klingt vernünftig: warum nur im Training das übermäßige Kopfballspiel einschränken und nicht auch im Spiel? Was spricht dagegen, analog zum Basketball, einen Spieler auszuwechseln, wenn er – sagen wir mal – mehr als fünf Mal mit dem Kopf den Ball gespielt hat? Dann könnte man Ecken oder Freistöße in Strafraumnähe – die viel beschworenen Standards – beibehalten und ein Spieler würde es sich ansonsten, zum Beispiel im Mittelfeld oder auf Rechtsaußen, dreimal überlegen, ob er unnötigerweise mit dem Kopf zum Ball geht, wenn es auch Alternativen gibt (Brust, Fuß oder einfach durchlassen). Die Hand steht für solche Alternativüberlegungen allerdings nicht zur Verfügung. Wenn auch die nach wie vor umstrittenen Handspielregeln allerlei Schlupflöcher zulassen (Hand zum Ball, Ball zur Hand, Vergrößerung der natürlichen Körperfläche, „nachvollziehbare“ Körperbewegung), sollte man sich auf derart unsicheres Terrain besser nicht begeben.