Happy together – Vom Anwaltsberuf in unserer Zeit

Wer das Glück hatte, bei einer Großkanzlei unterzukommen, hat damit noch lange nicht das Glück, dort auch glücklich zu werden. Das jedenfalls meint der Bewerber um den Posten des Managing Partners bei einer der fünf Magic Circle-Kanzleien, der, wenn er gewählt wird, den Posten eines CHO einführen will, eines „Chief Happiness Officers“. Er hat erkannt, dass der Anwalts-Nachwuchs trotz Einstiegsgehältern von inzwischen bis zu 160.000 englischen Pfund an Stress, Schlaflosigkeit, Burnout und/oder Kontaktarmut leidet. Der Belastung ist zu groß, die Arbeitsintensität nimmt zu und der Zeitdruck ist enorm. Dass die Kanzlei eine genderinklusive Software nutzt, die das diskriminierende he/she durch ein partizipierendes they/them ersetzt, hat da auch nicht wirklich geholfen. So muss also nach dem Willen des famosen Bewerbers ein CHO her, der die jungen Leute bespaßen soll. Wie das gehen könnte, bleibt im Ungefähren. Die Ferien müssten frei von Arbeit bleiben (ein schönes Wortspiel: holidays wären holy days), ansonsten will er „überraschen, erfreuen, träumen“. Durch die Einführung einer Vier-Tage-Woche will er den „glücklichsten und anregendsten Arbeitsplatz der Welt“ schaffen, seine Bewerbung sei an einem „frohen Arbeitsplatz“ entstanden. Wenn das so ist, fragt sich, warum er daran etwas ändern will. Überhaupt sind solche „progressiven“ Ansätze von dem Harvard-Absolventen Vivek Ramaswamy in seinem Buch Woke, Inc: Inside the Social Justice Scam einer zurecht kritischen Analyse unterzogen worden. Wenn Unternehmen – so die These – sich für Wichtigeres als „Profit und Macht“ zu interessieren schienen, geschähe das meist nur, um tatsächlich „von beidem mehr zu erlangen“. Das erste Gebot laute: „Je ruchloser dein Geschäft, desto progressiver musst du erscheinen“.

Und so hat es den Anschein, die Kanzlei hätte eher einen CSO nötig. Einen „Common Sense Officer“. Der könnte seine Arbeit dann in der Führungsetage beginnen. Mit einer Rückbesinnung. Früher war nämlich alles besser. Wirklich. Was eben noch als ewig gestrig denunziert wurde, erlebt heute eine Renaissance unerwarteten Ausmaßes. Plötzlich ist von einer „Zeitenwende“ die Rede, die sich aber bei näherem Hinsehen als nichts anderes als eine Rolle rückwärts herausstellt. Der alte Wertekatalog, aus dem vieles in einer Augenblickslaune gestrichen wurde, ist plötzlich wieder en vogue. Wenn auch solche Lernfähigkeit zu begrüßen ist, fragt man sich, warum diese Erkenntnisse nicht ex ante vorhanden waren. Der englische Autor Robert Conquest hat scherzhaft überlegt, die zweite Auflage seines Buchs über den stalinistischen Terror I told you so, you f*** idiots zu nennen, nachdem die Öffnung der Archive seine Kritik bestätigt hatte. Einen solchen Titel könnte man auch für ein Buch in Erwägung ziehen, in dem die Versäumnisse der letzten Jahre aufgelistet würden. Und alle, die heute mit atemberaubender Geschwindigkeit ihre Positionen von gestern räumen, könnten sich durchaus angesprochen fühlen.

So könnte der „Common Sense Officer“ dem Nachwuchs beibringen, dass Geld viel, aber eben nicht alles bedeutet. Dass das Glück des Anwalts in der Zufriedenheit seiner Mandanten liegt. Dass der Anwaltsberuf viel mit nüchternen Aufgaben zu tun hat (wie der vollständigen Erfassung von Sachverhalten, der zutreffenden Subsumption dieses Sachverhalts und einer gewissen Resilienz bei der Durchsetzung der Mandantenziele) und weniger mit legal industry wie der Quantifizierung neuer Märkte, der unentwegten Suche nach neuen Geschäftsfeldern oder der Erschließung neuer Geldquellen. Vielleicht würde auch schon helfen, weniger als 2000 billable hours pa zu erwarten, nicht immer drei oder vier Bewerber um eine Stelle kämpfen zu lassen und die unterlegenen Kandidaten mit einem beschädigten CV (… hat es nicht geschafft) wieder auszuspucken, und/oder die jungen Leute in die gesamte Komplexität des Anwaltsberufs einzubeziehen anstatt sie sinnentleerte Hilfsdienste leisten zu lassen. Dann müsste man allerdings bereit sein, von den Entnahmen in Millionenhöhe – bei der fraglichen Magic Circle-Kanzlei waren das immerhin 1,85 Mio. englische Pfund für full-equity-Partner in 2021 – ein paar Abstriche zu machen.