OLG Hamm: Reifeverzögerung der Hüfte beim Kleinkind nicht richtig erkannt – Kinderarzt und Orthopäde haften

Ein Kinderarzt, der bei der U3-Untersuchung eines Kleinkinds eine Reifeverzögerung seiner Hüfte aufgrund einer falschen Diagnose verkannt hat, und ein Orthopäde, der zur späteren Abklärung eines auffälligen Gangbildes des Kinds röntgenologische Befunde oder Kontrollen im engen zeitlichen Abstand versäumt hat, haften dem Kind auf Schadensersatz. Das hat der 3. Zivilsenat des OLG Hamm entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Münster im Wesentlichen bestätigt.

Die Kl. wurde im Oktober 2009 mit einer reifeverzögerten Hüfte geboren und in der Folgezeit vom erstbekl. Kinderarzt kinderärztlich betreut. Der Erstbekl. bewertete bei der U3-Untersuchung im November 2009 die beiden Hüftgelenke als normal entwickelt. Nach der Beschreibung eines auffälligen Gangbildes durch die Eltern überwies der Erstbekl. die Klägerin im Dezember 2010 an den zweitbekl. Orthopäden. Dieser stellte zu Beginn des Jahres 2011 eine hinkende Gangart und weitere Auffälligkeiten beim Gehen fest und verordnete Krankengymnastik. Im Oktober 2011 hielt er das Gangbild für altersentsprechend. Im Februar 2012 diagnostizierte ein weiterer Orthopäde bei der Klägerin eine hohe Hüftgelenksluxation links, die im März 2012 operativ behandelt werden musste. Eine weitere Hüftoperation musste im September 2015 vorgenommen werden.

Mit der Begründung, die Bekl. hätten die Reifeverzögerung der Hüfte unzureichend untersucht bzw. behandelt, verlangten die Kindeseltern für die Kl. von beiden Bekl. Schadensersatz , u. a. ein von beiden gemeinsam zu zahlendes Schmerzensgeld in Höhe von 65.000 Euro.

Die Schadensersatzklage war – mit Abstrichen bei der Höhe des Schmerzensgeldes – erfolgreich. Den bereits vom LG festgestellten Haftungsgrund bestätigend verurteilte der 3. Zivilsenat des OLG Hamm die Bekl. zur Zahlung von Schadensersatz. Dem Erstbekl. legte der von medizinischen Sachverständigen beratene Senat ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro auf, das in Höhe von 20.000 Euro auch vom Zweitbekl. zu zahlen ist.

Dem Erstbekl. sei, so der Senat, bei der Auswertung des Hüftgelenkssonographiebefunds im Rahmen der U3-Untersuchung ein haftungsrelevanter Diagnosefehler unterlaufen. Er habe aufgrund einer unzureichenden Messung eine Fehlstellung des linken Hüftgelenks falsch klassifiziert und die Hüftgelenke fälschlicherweise als beidseits physiologisch normal entwickelt bewertet. Bei richtiger Messung zu diesem Zeitpunkt und anschließender konsequenter Behandlung der Reifeverzögerung wäre es zu einer vollständigen Ausreifung der Hüfte gekommen. Die Luxation und die sich anschließenden Operationen wären der Kl. erspart geblieben.

Der Zweitbekl. hafte, so der Senat, weil er es bei einem Wiedervorstellungstermin der Kl. im Februar 2011 behandlungsfehlerhaft versäumt habe, in ausreichendem Umfang weitere Befunde zu erheben. Das hinkende Gangbild und diverse Auffälligkeiten beim Gehen hätten Anlass zu einer sofortigen röntgenologischen Abklärung der möglichen Ursachen oder einer engmaschigen Kontrolle gegeben. Beides habe der Zweitbekl. unterlassen, so dass sich die Fehlbildung im linken Hüftgelenk der Kl. bis zur im März 2012 festgestellten hohen Hüftluxation habe fortentwickeln können.

Bei der Bemessung des Schmerzensgelds wirkten sich die tatsächlichen Beeinträchtigungen aus, die die Kl. durch die Behandlungsfehler bei den Bekl. erlitten habe. Dabei sei beim Erstbekl. schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen gewesen, dass die Erfolgschancen einer rein konservativen Therapie bei richtiger Behandlung der Kl. im November 2009 hoch gewesen seien.

OLG Hamm, Urteil vom 31. 10. 2016 (3 U 173/15)

Pressemitteilung des OLG Hamm vom 6. 12. 2016