OLG Hamm: Symptome eines Kompartmentsyndroms übersehen – 50.000 Euro Schmerzensgeld

Zeigen sich nach einer unfallbedingten Gipsschienenbehandlung bei einem Patienten Symptome eines Kompartmentsyndroms, muss der mit der Nachsorge betraute Hausarzt diese abklären lassen. Versäumt er dies, kann ein grober Behandlungsfehler vorliegen, für den dem Patienten ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro zustehen kann, wenn er infolge des Arztfehlers seinen rechten Unterarm verliert. Das hat der 26. Zivilsenat des OLG Hamm entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Bochum geändert.

Der seinerzeit 48 Jahre alte Kl. erlitt im Mai 2012 bei einem Unfall ein Anpralltrauma am rechten Unterarm. Nach der Diagnose einer Prellung des rechten Unterarms/Ellenbogens und der rechten Hand wurden diese durch eine Gipsschiene ruhig gestellt. Im Rahmen der Nachsorge durch die bekl. Hausärzte aus Herne zeigten sich ca. eine Woche nach dem Unfall am rechten Unterarm eine deutliche Schwellung, ein Hämatom und eine Bewegungsminderung. Zudem berichtete der Kl. über massive Schmerzen. Der behandelnde Arzt ließ seine Gipsschiene erneuern und verordnete ein Schmerzmittel. Drei Tage später suchte der Kl. die Praxis erneut auf, weil sein rechter Arm dick geschwollen und insgesamt druckempfindlich war. Er wurde daraufhin an einen niedergelassenen Chirurgen und von diesem noch am selben Tage in eine Klinik überwiesen, wo ein fortgeschrittenes Kompartmentsyndrom am rechten Unterarm diagnostiziert wurde. Im Verlauf der sich anschließenden Behandlung musste der rechte Unterarm des Kl. amputiert werden.

Mit der Begründung, die bekl. Hausärzte hätten die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms behandlungsfehlerhaft zu spät in Betracht gezogen, verlangte der Kl. Schadensersatz, u. a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro.

Die Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg. Im Unterschied zum LG Bochum konnte der 26. Zivilsenat des OLG Hamm nach – weiterer – sachverständiger Beratung einen groben Behandlungsfehler auf Seiten der Bekl. feststellen.

Der den Kl. behandelnde Hausarzt habe, so der Senat, im Rahmen der Nachsorge ca. eine Woche nach dem Unfall die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms abklären lassen müssen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich beim Kl. erstmals ein Hämatom gebildet, er habe unter massiven Schmerzen gelitten. Der rechte Arm sei geschwollen, seine Beweglichkeit sei eingeschränkt gewesen. Bei dieser Situation habe der Arzt den Kl. in Richtung auf ein Kompartmentsyndrom befunden und ihn gegebenenfalls umgehend in chirurgische Behandlung überweisen müssen. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sei eine derartige Befundung unterblieben.

In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen sei dieses Versäumnis im vorliegenden Fall als grob behandlungsfehlerhaft zu bewerten. Ein Kompartmentsyndrom sei eine schwerwiegende Erkrankung, die sogar zum Verlust von Gliedmaßen führen könne.

Aufgrund des groben Behandlungsfehlers komme dem Kl. eine Beweislastumkehr zugute. Deswegen sei davon auszugehen, dass die weiteren schwerwiegenden Behandlungsfolgen, insbesondere die Notwendigkeit zur Amputation des rechten Unterarms, auf die fehlerhaft zu späte Behandlung des Kompartmentsyndroms zurückzuführen seien.

Der Höhe nach sei ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro notwendig und angemessen. Der Kl. müsse sein Leben lang mit den aus der Amputation resultierenden Beeinträchtigungen leben.

OLG Hamm, Urteil vom 13.6.2017 (26 U 59/16)

(Pressemitteilung des OLG Hamm vom 10.8.2017)