OLG Frankfurt/M. entscheidet erneut im Kapitalanleger-Musterverfahren anlässlich des 3. Börsengangs der Deutschen Telekom AG

Der 23. Zivilsenat des OLG Frankfurt/M. hat heute in dem sogenannten Telekom-Verfahren zum 3. Börsengang der Deutschen Telekom AG einen weiteren Musterentscheid verkündet, der sich mit den nach der teilweisen Aufhebung der Entscheidung vom 16. 5. 2012 und Zurückverweisung durch den BGH noch offenen Fragen befasst.

Hintergrund:

Der 3. Börsengang der Telekom erfolgte im Juni 2000, nachdem im Mai ein entsprechender Prospekt veröffentlicht worden war. Der Ausgabepreis der sogenannten T.-Aktie lag für Privatanleger bei 63,50 Euro, der Börsenkurs am 19. 6. 2000 bei 65,79 Euro. Er fiel bis Ende 2000 deutlich ab und notierte im September 2002 auf einem Tiefststand von 8,42 Euro.
Über 16.000 Anleger machten daraufhin geltend, der Prospekt sei unrichtig gewesen und klagten auf Schadensersatz vor dem LG Frankfurt/M. Das LG erließ im Juli 2006 einen Vorlagebeschluss nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) an das OLG über bestimmte Tatsachen- und Rechtsfragen, die für alle Schadensersatzklagen relevant sind.

Der Musterentscheid des OLG vom 16. 5. 2012:

In seiner ersten Entscheidung – dem Musterentscheid vom 16. 5. 2012 – konnte das OLG nach umfangreicher Verhandlung und Beweisaufnahme keine Prospektfehler feststellen. Insbesondere der Erwerb des US-amerikanischen Mobilfunkunternehmens Voicestream habe nicht schon zu einem Zeitpunkt festgestanden, als er in dem Prospekt noch hätte kommuniziert werden müssen. Auch die Bewertung der Immobilien der Telekom nach dem sogenannten Cluster-Verfahren habe der damaligen Gesetzeslage entsprochen. Die konzerninterne Übertragung der Anteile an der US-amerikanischen Sprint Inc. sei in dem Prospekt in hinreichender Deutlichkeit erläutert.

Die Entscheidung des BGH vom 21.10.2014:

Mit Beschluss vom 21. 10. 2014 hat der BGH den Musterentscheid des OLG vom 16. 5. 2012 teilweise aufgehoben. Der BGH sah in der Darstellung der Übertragung der Aktien der Sprint Inc., die im Eigentum der Telekom standen, auf ein Tochterunternehmen der Telekom einen Prospektfehler, da hier – unzutreffend – von einem „Verkauf“ die Rede war. Die übrigen Feststellungen des OLG im Musterentscheid vom 16. 5. 2012 beanstandete der BGH nicht.
Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben verwies der BGH das Verfahren an das OLG zurück, damit es die – bisher im Verfahren nicht erheblichen – Frage der Kausalität des Fehlers und des Verschuldens der Telekom insofern prüfen sollte. Zu diesen Aspekten haben beide Musterparteien noch umfangreiche Ergänzungsanträge bei dem LG Frankfurt/M. eingereicht, das auch entsprechende Ergänzungsbeschlüsse erlassen hat, die ebenfalls Gegenstand der Entscheidung wurden.

Der neue Musterentscheid des OLG:

Nachdem die Verfahrensakten im März 2016 zurück an das OLG geschickt worden waren, bestimmte das OLG einen neuen Verhandlungstermin.
In dem heute verkündeten Musterentscheid, der aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. 10. 2016 erging, hat das OLG ein Verschulden der Telekom bejaht, da diese nicht den ihr nach der gesetzlichen Regelung obliegenden Gegenbeweis geführt hatte. Hauptargument ist für das OLG insofern der Umstand, dass der Vortrag der Telekom dazu, wie es zur Verwendung des – fehlerhaften – Begriffs „Verkauf“ gekommen war, nicht widerspruchsfrei und nachvollziehbar war und ist.
Hinsichtlich der Kausalität des Prospektfehlers für die Anlageentscheidung der einzelnen Kläger hat des OLG entschieden, dass diese jeweils in den Ausgangsverfahren vom Landgericht im Einzelfall zu prüfen sein wird, da es um individuelle Fragen geht. Aus diesem Grund verbieten sich generelle Festlegungen, wie sie beide Musterparteien begehrt hatten.

Die Entscheidung, die den Musterparteien zugestellt und im Übrigen im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht wird, ist nicht rechtskräftig. Alle Beteiligten können Rechtsbeschwerde einlegen, über die wiederum der BGH zu entscheiden hat.

OLG Frankfurt/M., Musterentscheid vom 30. 11. 2016 (23 Kap 1/06)

Hintergrundinformationen:

Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG)
Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ermöglicht es, aus einer Vielzahl gleich gelagerter Schadensersatzprozesse wegen falscher Börsenprospekte oder fehlerhafter Kapitalmarktinformationen auf Antrag ein Musterverfahren zu bestimmen, in dem durch die nächste Instanz – das OLG – die für alle Verfahren notwendigen Beweis- und Rechtsfragen einmal und für alle anderen Verfahren bindend beantwortet werden können. Im Musterverfahren stehen sich unmittelbar nur ein Musterkläger und der Musterbeklagte gegenüber. Alle anderen Kläger können grundsätzlich Beigeladene des Musterverfahrens werden und auf diese Weise auf den Musterprozess Einfluss nehmen. Wesentlich für das Musterverfahren ist der Vorlagebeschluss, den das LG auf der Grundlage des Tatsachenvortrags aller Klageverfahren formuliert und an den das OLG gebunden ist. Die Entscheidung des OLG ergeht durch Beschluss, den Musterentscheid.

Pressemitteilung des OLG Frankfurt/M. vom 30. 11. 2016