Rezension: Compliance in Versicherungsunternehmen

Compliance in Versicherungsunternehmen

Von Jürgen Bürkle (Hrsg.)
(Verlag C. H. Beck, München, 2. Aufl. 2015, XXIV und 605 S., geb., ISBN 978-3-406-65647-3, 139 Euro)
Das von Bürkle herausgegebene Handbuch zur Compliance in Versicherungsunternehmen liegt mittlerweile in 2. Aufl. vor. Damit ist das Werk, das beim Erscheinen seiner 1. Aufl. von 2009 eine Lücke geschlossen hat, auf den Stand vom 1. 7. 2014 gebracht. Dabei bezieht es wesentliche Ausstrahlungswirkungen ein, die von der Solvency-II-Richtlinie bereits vor deren Umsetzung ausgegangen sind. Die nunmehr 18 Autoren beleuchten die Thematik aus ganz unterschiedlichen Perspektiven; darin wird zugleich die Vielschichtigkeit der mit dem Schlagwort „Compliance“ zusammengefassten Themenfelder deutlich. Sie reichen vom Konzernrecht und den Regeln zu internationalen Versicherungsgeschäften über das Rückversicherungs-, Produktgestaltungs-, Kartell- und Vertriebsrecht bis hin zu Datenschutz und Geldwäsche; hinzu kommen die Kerngebiete der Solvency-II-Richtlinie wie Solvabilität, Kapitalanlage und Rechnungslegung oder Risikomanagement und Internes Kontrollsystem. Gerade in Letzterem, das mittlerweile in § 29 VAG geregelt ist, hat die Bedeutung von Compliance in Versicherungsunternehmen ihren sichtbarsten normativen Ausdruck gefunden. In der Compliance-Funktion spiegelt sich die in Art. 40 der Solvency-II-Richtlinie als Grundprinzip formulierte Letztverantwortung der Verwaltungs-, Management- und Aufsichtsorgane des Unternehmens.
Das Handbuch wird durch eine sehr lesenswerte Abhandlung zur besonderen Bedeutung der Compliance im Versicherungssektor aus der Feder des Herausgebers eingeleitet. Darin erläutert Bürkle nicht allein überblicksartig den rechtlichen Rahmen von Versicherungsaufsichts- und Vertragsrecht, der in den folgenden Kapiteln noch im Einzelnen beleuchtet wird. Vielmehr hebt er auch anhand verschiedener Aspekte hervor, worin der branchenspezifische Nutzen der Compliance liegt (S. 28 ff.). Dies ist im Hinblick darauf verdienstvoll, dass die kontinuierlichen Aktivitäten der Gesetzgeber auf europäischer wie auf nationaler Ebene in der Praxis bisweilen im Wesentlichen eher als Störfaktor wahrgenommen werden, der das operative Geschäft erschwert. Jene Sichtweise ist gewiss berechtigt, sofern es um Überregulierung oder um ein komplexes und wenig koordiniertes Nebeneinander von Regelungen auf zahlreichen unterschiedlichen Normebenen geht, wie es derzeit im Zuge der Umsetzung von Solvency II durch die mitgliedstaatlichen Gesetz- und Verordnungsgeber und EIOPA teils zu beobachten ist. Derartige Komplikationen auf der Ebene der Normsetzung dürfen freilich nicht den Blick dafür verstellen, dass die Einhaltung der Regelungen im Kern nicht zuletzt dem wohlverstandenen Unternehmensinteresse dient. Hinzu kommen die von Bürkle herausgestellten generellen Vorteile einer Rechts- und Regeltreue; sie reichen vom Reputationsschutz über eine wertorientierte Unternehmensführung und die Vermeidung behördlicher oder gesetzgeberischer Eingriffe bis hin zur Schadens- und Haftungsprävention.
In der 2. Aufl. ist das Themenspektrum des Handbuchs um vier Bereiche erweitert worden, nämlich Captives, betriebliche Altersversorgung (bAV), Steuern und Outsourcing. Diese neu hinzugekommenen Kapitel fügen sich allesamt organisch in das Werk ein. Zu Captives spannt Franz den Bogen weit, indem er neben der aufsichtsrechtlichen auch die zivil- und steuerrechtliche Compliance einbezieht. Das Kapitel bietet zudem einen guten, durch anschauliche Grafiken angereicherten Überblick zu den verschiedenen in der Praxis anzutreffenden Captive-Modellen. Zudem werden die weitreichenden aufsichtsrechtlichen Freiheiten verdeutlicht, die einige beliebte Captive-Standorte wie Bermuda, die Kanalinsel Guernsey oder die Isle of Man bieten, während die Schweiz strengere Regeln vorsieht (S. 163 ff.). Überdies behandelt Franz sogar Spezialfragen wie ausländische Versicherungsbeschränkungen in Gestalt von lokalen Zulassungserfordernissen oder sonstigen Einschränkungen der Versicherbarkeit (S. 169 ff.). Ähnlich umsichtig erörtert Reich die bAV; hier finden sich etwa auch eine differenzierende Stellungnahme zu der umstrittenen Frage, wem gegenüber der Versicherer die aus § 7 VVG sowie der VVG-InfoV folgenden Informationspflichten zu erfüllen hat (S. 200 ff.), sowie Ausführungen zur Anwendbarkeit des RDG auf die Beratung auf dem Gebiet der bAV (S. 203 ff.).
Das von Beinert verantwortete Kapitel zu Steuern umfasst u. a. eine konzise Darlegung zum Thema der Delegation (S. 543 ff.); sie ist über den steuerlichen Kontext hinaus relevant und lesenswert. Der Beitrag von Wolf zum Outsourcing behandelt neben dem Grundtatbestand der Ausgliederung (§ 32 VAG; S. 564 ff.) auch zahlreiche Spezialthemen (S. 586 ff.). Dabei wird u. a. das besonders heikle Thema des Datenschutzes bei Auslagerungen ins Ausland angesprochen (S. 590 f.). Speziell zur Funktionsausgliederung in der Rückversicherung äußert sich bereits Geiger.
Die Ausführungen von Wolf (S. 589) zum speziellen Zustimmungsvorbehalt beim Outsourcing interner Sicherungsmaßnahmen zur Geldwäsche- und Terrorismusprävention wiederum beziehen sich auf Präventionsregeln, die umfassend von Gehrke (S. 391 ff.) dargestellt werden. Jenes eigene Kapitel zu Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung bietet zugleich Anschauungsmaterial dafür, wie rasch sich ein Gebiet, das noch vor 25 Jahren gar nicht als solches existierte, zu einem wichtigen Anwendungsfeld für versicherungsrechtliche Compliance-Anforderungen entwickelt hat. Dabei begegnen dem Rechtsanwender auch normative Neuerungen, die einer allgemeineren Tendenz entsprechen, insbesondere der Übergang von starren Pflichtenkatalogen hin zu einem risikoorientierten Ansatz einschließlich self-assessment des Versicherungsunternehmens: Eine selbst vorzunehmende Gefährdungsanalyse führt zur – wiederum eigenverantwortlichen – Einstufung des mit einem bestimmten Geschäftsvorfall verbundenen Risikos, die in die Pflicht mündet, diesem Risiko angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Den Geschäftsleitern wird damit – ebenso wie dies vielfach auch die Vorgaben von Solvency II vorsehen – ein Ermessensspielraum eingeräumt, der freilich keineswegs kontrollfrei ist und der mithin gegenüber einem starren Pflichtenkanon auch Risiken birgt.
Fazit: Das Werk ist von Umsicht und Präzision geprägt; es bietet eine wahre Fundgrube zu den vielfältigen rechtlichen Anforderungen, die beim Betreiben von Versicherungsgeschäften zu beachten sind. Als ein großer Vorzug erweist sich dabei der systematische Aufbau des Handbuchs; er hilft angesichts der sich in manchen Bereichen des Versicherungsaufsichtsrechts mittlerweile geradezu überschlagenden Aktivitäten von Gesetz- und Verordnungsgeber den Überblick über die verschiedenen Themenfelder zu bewahren.
Der Rezensent, Prof. Dr. Christian Armbrüster, lehrt Zivilrecht mit einem Schwerpunkt auf dem Privatversicherungsrecht an der Freien Universität Berlin und ist Richter am KG a. D.

(abgedr. in VersR 2016, 969)