Rezension: Haftungsmaßstab bei Gefälligkeit

Eine Studie unter ausführlicher Betrachtung gesetzlicher und richterrechtlicher Haftungsmilderungen, der Praxis „stillschweigender“ Haftungsausschlüsse und des Einflusses der Haftpflichtversicherung auf die Haftung

Von Dennis Spallino
(Verlag Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 2016, 538 S., kart., DIN A5; ISBN: 978-3-89952-901-2, 79,99 Euro; Bd. 58 der VersR-Schriftenreihe)


I. Der Haftungsmaßstab bei Gefälligkeit ist ein Thema, das seit Langem sehr intensiv diskutiert wird. Die Problematik ist nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht von großem Interesse; sie hat vielmehr auch hohe praktische Bedeutung. Beispiele aus der Rechtsprechung finden sich insbesondere im Bereich des Straßenverkehrs. Der 49. Deutsche Verkehrsgerichtstag hat sich daher im Januar 2011 mit dem Thema beschäftigt. Es gibt aber auch viele andere Lebensbereiche, in denen eine Haftung bei Gefälligkeit in Betracht kommt, etwa die unentgeltliche Überlassung von Reitpferden. Die bisherigen Untersuchungen waren meist auf einzelne Anwendungsfälle begrenzt. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Dennis Spallino das Thema in seiner von Christian Huber betreuten Dissertation umfassend aufgearbeitet hat.
II. Nach einer kurzen Einleitung (S. 1–4) geht der Verfasser im ersten Teil der Arbeit (S. 5–19) zunächst allgemein auf den Begriff des Gefälligkeitsverhältnisses und die damit verbundenen Probleme ein. Das Wesen der Gefälligkeit sieht der Autor in Kriterien: nämlich der Fremdnützigkeit und der Unentgeltlichkeit des Handelns. Anschließend wird die in der Literatur verbreitete Unterscheidung zwischen Gefälligkeitsverträgen (z. B. Schenkung, Leihe, Auftrag, unentgeltliche Verwahrung), reinen Gefälligkeitsverhältnissen und Gefälligkeitsmischverhältnissen (sogenannten Gefälligkeiten mit Schutzpflichten) dargestellt.
Der Autor geht auch auf die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Abgrenzungskriterien ein. Dabei wird insbesondere das Kriterium des Rechtsbindungswillens angesprochen, das vom BGH für die Abgrenzung von Gefälligkeitsverträgen und reinen Gefälligkeitsverhältnissen herangezogen wird. Spallino macht deutlich, dass es dabei auch aus Sicht des BGH regelmäßig nicht darum geht, einen ausdrücklich oder stillschweigend erklärten tatsächlichen Willen der Beteiligten festzustellen. Entscheidend sei vielmehr, ob die andere Partei unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen entsprechenden Rechtsbindungswillen schließen durfte und musste.
Die umstrittene Einordnung der Gefälligkeitsmischverhältnisse wird vom Verfasser offengelassen. Dies lässt sich insofern rechtfertigen, als es sich um ein Problem handelt, das keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Bestimmung des Haftungsmaßstabs bei Gefälligkeit hat. Spallino weist allerdings zutreffend darauf hin, dass die meisten Autoren nach der Schuldrechtsreform auf § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB abstellen. Zu beachten ist, dass § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB lediglich „ähnliche geschäftliche Kontakte“ erfasst. Rein soziale Kontakte sind damit keine Grundlage für eine vertragliche Haftung wegen Schutzpflichtverletzung.
III. Einen Schwerpunkt der Arbeit bildet der zweite Teil (S. 21–261), in dem der Haftungsmaßstab bei Gefälligkeit im Allgemeinen untersucht wird. Der Verfasser arbeitet klar und überzeugend heraus, dass die Konzeption des BGH und der überwiegenden Ansicht in der Literatur zu Wertungswidersprüchen führen kann. Auf der einen Seite soll nämlich die gesetzliche Haftungsmilderung bei Gefälligkeitsverträgen wie der Schenkung und der Leihe (§§ 521, 599 BGB) auf den deliktischen Schadensersatzanspruch durchschlagen. Auf der anderen Seite wird die analoge Anwendung der §§ 521, 599 BGB auf reine Gefälligkeitsverhältnisse aber abgelehnt. Dies hat zur Folge, dass der unentgeltlich und fremdnützig handelnde Schädiger im Rahmen eines Vertrags wesentlich besser steht als bei einem reinen Gefälligkeitsverhältnis.
Zur Auflösung dieses Widerspruchs wird teilweise dafür plädiert, die Privilegierungen der §§ 521, 599 BGB analog auf solche Gefälligkeitsverhältnisse anzuwenden, die eine strukturelle Verwandtschaft mit der Schenkung oder der Leihe haben. Die Privilegierungen sollen dabei in beiden Fallgruppen auf die deliktischen Ansprüche durchschlagen. Der Verfasser folgt diesem Ansatz nicht und befürwortet stattdessen, die gesetzlichen Haftungsmilderungen auch bei der Schenkung und der Leihe nicht auf das Deliktsrecht zu übertragen. Seiner Ansicht nach betreffen diese Privilegierungen nur das Erfüllungsinteresse des Beschenkten oder Entleihers und gelten daher auch bei der vertraglichen Haftung nicht für Ansprüche wegen Verletzung des Integritätsinteresses. Ob die damit verbundene Ausweitung der Haftung bei unentgeltlichem und fremdnützigem Handeln sachgemäß ist, kann hier nicht diskutiert werden. Es handelt sich jedenfalls um eine konsistente Lösung, die Widersprüche zwischen Gefälligkeitsverträgen und reinen Gefälligkeitsverhältnissen vermeidet.
Im Hinblick auf die unentgeltliche Verwahrung geht der Verfasser davon aus, dass das Erfüllungsinteresse des Hinterlegers im Schutz des Integritätsinteresses an der in Verwahrung gegebenen Sache besteht. Die Haftungsprivilegierung nach § 690 BGB erstrecke sich daher auch auf das Integritätsinteresse an der verwahrten Sache und gelte insoweit auch für den deliktischen Schadensersatzanspruch. Der Verfasser stützt dies auch auf die Erwägung, dass die Privilegierung sonst weitgehend „leerlaufen“ würde. Dies erscheint überzeugend.
IV. Im dritten Teil der Arbeit (S. 263–434) prüft der Verfasser, unter welchen Voraussetzungen ein Haftungsausschluss bei Gefälligkeit im Einzelfall anzunehmen ist. Besonders ausführlich wird dabei der „stillschweigende“ Haftungsausschluss erörtert (S. 274–421). Ein Schwerpunkt ist die umstrittene Frage, inwieweit das Bestehen von Versicherungsschutz aufseiten des „gefälligen“ Schädigers Einfluss auf die Annahme eines stillschweigenden Haftungsverzichts haben kann. Der Verfasser geht dabei mit der herrschenden Meinung von der grundsätzlichen Geltung des Trennungsprinzips aus, wonach sich das „Ob“ und der Umfang der Haftung des Schädigers gegenüber dem Geschädigten bei Existenz einer Haftpflichtversicherung grundsätzlich allein nach dem Haftungsrecht richten (S. 344, 346). Er zieht hieraus den Schluss, dass die Existenz einer freiwilligen oder obligatorischen Haftpflichtversicherung bei der Haftungsbegründung grundsätzlich außer Betracht bleiben muss. Dies hindere aber nicht daran, das Bestehen oder Fehlen einer Haftpflichtversicherung zu berücksichtigen, wenn es um die Auslegung im Hinblick auf einen konkludenten Haftungsverzicht gehe. Der Verfasser setzt sich darüber hinaus noch mit verschiedenen weiteren Aspekten wie der Einwilligung des Verletzten, dem Handeln auf eigene Gefahr (S. 298 ff.) und dem Mitverschulden (S. 304 f.) auseinander. Die Arbeit endet mit dem vierten Teil (S. 435–465), der eine ausführliche Zusammenfassung enthält.
V. Zusammenfassend ist festzustellen, dass dem Verfasser eine gedankenreiche, tiefgehende und klar strukturierte Untersuchung des „Haftungsmaßstabs bei Gefälligkeit“ gelungen ist. Spallino hat den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur schön herausgearbeitet und einen eigenständigen Lösungsansatz entwickelt, der Widersprüche bei der deliktischen Haftung im Rahmen von Gefälligkeitsverträgen und reinen Gefälligkeitsverhältnissen vermeidet. Besonders hervorzuheben ist die gute Verständlichkeit und Lesbarkeit der Darstellung. Insgesamt handelt es sich um eine erfreuliche wissenschaftliche Leistung, die wichtige Grundlagen und Argumente für die Lösung praktischer Problemfälle liefert. Die Lektüre des Werks ist daher Wissenschaftlern und Praktikern gleichermaßen zu empfehlen.
Der Rezensent, Prof. Dr. Dirk Looschelders, ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung sowie Privatversicherungsrecht an der Heinrich-­Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied der Schriftleitung der Zeitschrift Versicherungsrecht.

(abgedr. in VersR 206, 903)