Rezension: Handbuch des gesamten Vertriebsrechts

„Versicherungen werden nicht gekauft, sondern verkauft“. Diese alte Branchenweisheit besitzt auch im digitalisierten 21. Jahrhundert noch volle Gültigkeit, mögen sich auch die Verkaufs­instrumente, -wege und -akteure zum Teil dramatisch verändert haben. Ein „Handbuch des gesamten Vertriebsrechts“ muss daher auch für das Versicherungsrecht und die Versicherungswirtschaft von hohem Interesse sein. Der dreibändige „Küstner/Thume“ ist mit dem Fokus auf dem Versicherungsvertrieb in dieser Zeitschrift vor drei Jahren eingehend rezensiert worden (Reiff VersR 2013, 165). Mittlerweile liegen alle drei Bände in neuer Auflage vor. Ihr Umfang ist um ca. 14 % auf 2830 S. gestiegen. Diese Erhöhung der Seitenzahl geht aber nicht allein auf neu hinzugekommene Ausführungen zurück. Vielmehr wurde die Handlichkeit der Bände durch leichte Verkleinerung des Formats und dünneres Druckpapier deutlich verbessert. So ist etwa Bd. 1 kleiner und leichter als Bd. 1 der Vorauflage, obwohl er 150 S. mehr hat. Hinzu kommt ein neues und noch übersichtlicheres Layout.
Inhaltlich halten sich die Veränderungen gegenüber den Vorauflagen in Grenzen. Waren die 2008–2012 erschienen Bände allesamt laut Verlagsmitteilung „völlig neu bearbeitet“, sind die jetzt aktuellen, 2014–2016 erschienen Bände gemäß den Presseinformationen des Verlags lediglich „bearbeitet“, „überarbeitet“ oder „neu bearbeitet“. Diese geringeren Veränderungen rechtfertigen es, nicht erneut den gesamten Inhalt aller drei Bände zumindest kursorisch abzuhandeln. Cum grano salis gelten insoweit die Ausführungen in der Rezension der Vorauflage noch immer. Auf sie sei daher verwiesen. Diese Rezension will vielmehr der Frage nachspüren, was aus den – wenigen – Monita, die gegenüber der Vorauflage zu erheben waren, geworden ist. Der erfreuliche Befund lautet, dass bei Weitem die meisten gegenüber der Vorauflage erhobenen Einwände, die sämtlich Fragen des Versicherungsvertriebs betrafen, beseitigt worden sind. Dies soll im Folgenden im Einzelnen dargelegt werden.
Der im Jahr 2016 in 5. Aufl. neu erschienene Bd. 1 hat den Handelsvertreter zum Gegenstand. Das von Schürr bearbeitete Kap. I erläutert die Begriffsdefinition des § 84 HGB. Kennzeichnend für den Handelsvertreter sind seine Stellung als selbstständiger Gewerbetreibender, das ständige Betrauungsverhältnis und die Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit für einen anderen Unternehmer in dessen Namen und auf dessen Rechnung. Die Abgrenzung vom „Reisenden“, also einem Arbeitnehmer im Werbeaußendienst, richtet sich nach § 84 Abs. 1 S. 2 HGB aufgrund einer „Gesamtbetrachtung“ (Kap. I Rn. 63), die Abgrenzung vom „Handelsmakler“ nach dem Merkmal der „ständigen Betrauung“. Da Versicherungsvertreter Handelsvertreter sind und der Versicherungsmakler eine Sonderform des Handelsmaklers ist, war an der Vorauflage bemängelt worden, hier nicht auf die entsprechenden Definitionen in § 59 Abs. 2 und 3 VVG einzugehen, insbesondere, wenn der sogenannte Pseudomakler angesprochen wird, für den § 59 Abs. 3 S. 2 VVG hätte herangezogen werden müssen. Die Neuauflage trägt dem jetzt Rechnung (Kap. I Rn. 122 und 150). Das von Schröder bearbeitete Kap. II behandelt u. a. die Vollmacht des Handelsvertreters für den Unternehmer. Stichworte sind hier die Abschlussvollmacht, die Vermittlungsvollmacht, die Tätigkeit des Handelsvertreters ohne Vertretungsmacht und der Widerruf der Vollmacht. Hier werden die §§ 55, 91 und 91 a HGB vorgestellt und analysiert. An der Vorauflage war zu kritisieren, dass beim Widerruf zwar in einem Absatz auf Versicherungsvertreter eingegangen wurde, aber die §§ 69–72 VVG nicht herangezogen wurden, die sich von diesen HGB-Vorschriften fundamental unterscheiden. Die Anregung des Rezensenten, ein eigenes Unterkapitel für Versicherungsvertreter vorzulegen, wurde aufgegriffen (Kap. II Rn. 175). Kap. V aus der Feder von Thume behandelt den Provisionsanspruch des Handelsvertreters. Es enthält eigene Abschnitte für den Versicherungsvertreter, und zwar zu den provisionspflichtigen Geschäften (Rn. 199 ff.), der Entstehung des Provisionsanspruchs (Rn. 270 ff.), der Höhe der Provision und ihrer Berechnung (Rn. 409 ff.) und dem Schicksal des Provisionsanspruchs bei nicht vertragsgemäßer Geschäftsausführung (Rn. 502 ff.). § 92 Abs. 4 HGB betrifft die Entstehung. Danach hat der Versicherungsvertreter Anspruch auf Provision, sobald der VN die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet. Dies ist eine wichtige Sondervorschrift, die die auf Warenvertreter zugeschnittene Bestimmung des § 87 a Abs. 1 HGB für Versicherungsvertreter modifiziert, im praktischen Ergebnis sogar ersetzt (Kap. V Rn. 270). Aus § 92 Abs. 4 HGB wird zudem der sogenannte Schicksalsteilungsgrundsatz hergeleitet, der besagt, dass der Anspruch auf die Provision durch die Zahlung der Prämie aufschiebend und durch ihre Nichtzahlung und die gegebenenfalls nach Widerruf gem. §§ 8 und 9 VVG erfolgte Rückzahlung auflösend bedingt ist (Kap. V Rn. 507). Die zur Vorauflage angemahnten Ausführungen dazu, ob der Schicksalsteilungsgrundsatz auch dann gilt, wenn Versicherungsvertreter Nettopolicen vermitteln und selbstständige Vergütungsvereinbarungen schließen, finden sich hier allerdings immer noch nicht.
Der im Jahr 2014 in 9. Aufl. erschienene Bd. 2 behandelt ausschließlich den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters. In ihm finden sich die vergleichsweise meisten Änderungen, weil die in der Vorauflage noch von Küstner verfassten Kap. nunmehr ebenfalls aus der Feder von Thume stammen, der – abgesehen von den von Otto verantworteten Kap. XXI und XXII zu handelsbilanziellen und steuerlichen Fragen – den gesamten Band allein verfasst hat. Kap. II hat den Anspruchsberechtigten des Ausgleichsanspruchs zum Gegenstand. Hier wird auch auf die Abgrenzung von Handels- und Versicherungsmakler eingegangen, die grundsätzlich keinen Ausgleichsanspruch haben (Kap. II Rn. 96 ff.). Die Ausführungen zum Versicherungsmakler sind zwar nunmehr an sich zutreffend, den durchweg zwanzig und mehr Jahre alten Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen wäre aber dringend ein Update zu wünschen. Kap. XX thematisiert auf mehr als 90 S. die Bedeutung der „Grundsätze“ in der Versicherungswirtschaft. Anlass für die Schaffung der „Grundsätze“ durch die Spitzenverbände der Versicherungswirtschaft und des Versicherungsaußendienstes war es, „die Höhe des nach Auffassung der beteiligten Kreise angemessenen Ausgleichs global zu errechnen“ (Kap. XX Rn. 11). So sollte der wirtschaftlichen Notwendigkeit, einen allgemeinen Berechnungsmodus zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs zu finden, Rechnung getragen werden. Der BGH hat die Frage nach der Rechtsnatur der „Grundsätze“ dahin gehend beantwortet, dass sie angesichts ihrer Entstehungsgeschichte „jedenfalls“ als Schätzgrundlage herangezogen werden können. Der BGH konnte sich also (noch) nicht der Ansicht von Küstner und Thume anschließen, wonach die „Grundsätze“ ein Handelsbrauch seien (Kap. XX Rn. 19 ff.). Er ist aber im Übrigen ihren Ausführungen in vielen Punkten gefolgt (Kap. XX Rn. 25). Kap. XX enthält nicht nur Ausführungen zu Anlass, Zweck und Rechtsnatur der „Grundsätze“, sondern kommentiert auch eingehend die „Grundsätze-Sach“, die „Grundsätze-Leben“, die „Grundsätze-Kranken“ und schließlich die „Grundsätze im Bausparbereich“ sowie die „Grundsätze im Finanzdienstleistungsbereich“.
Band 3, der 2015 in 4. Aufl. erschienen ist, thematisiert „besondere Vertriebsformen“. Teil I, verfasst von Castelletti, behandelt „Reisende“, also Arbeitnehmer im Werbeaußendienst. Kapitel 2 thematisiert den Anstellungsvertrag des Reisenden. An dessen Ende wird auf die Vollmacht des Reisenden eingegangen. Herangezogen werden die §§ 54, 55 sowie 75 g und 75 h HGB (Kap. 2 Rn. 44 ff.). Hier vermisst man dringend – wie schon zur Vorauflage angemerkt – für Reisende im Versicherungsaußendienst einen Hinweis auf § 73 VVG. Danach sind nämlich die §§ 69–72 VVG auf Angestellte des Versicherers, die mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Versicherungsverträgen betraut sind, entsprechend anzuwenden. Teil V, verfasst von Kneiß, hat den Versicherungsmakler zum Gegenstand. In Kap. 3 finden sich die Begriffsbestimmungen des § 59 VVG sowie Ausführungen zur gewerberechtlichen Regelung in § 34 d GewO sowie der VersVermV. Beim Pflichtenkreis des Versicherungsvermittlers sind die Informationspflichten (Kap. 3 Rn. 24) und die Beratungspflichten (Kap. 3 Rn. 25) ebenso kurz skizziert wie die Dokumentationspflichten des § 61 VVG und die Schadensersatzpflicht des § 63 VVG (Kap. 3 Rn. 27 f.). Auch hier wäre ein Update von Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen ein Desiderat. Kapitel 4 hat dieses Update hinter sich. Es behandelt die Begriffsbestimmungen, den Tätigkeitsbereich und die rechtliche Stellung des Versicherungsmaklers. Dort finden sich erneut Ausführungen zum Anscheins- und Pseudomakler. Dabei wird auch auf § 59 Abs. 3 S. 2 VVG eingegangen. Hier findet sich auch der in der Vorauflage noch vermisste Querverweis zum Gewerberecht, das ebenfalls wirksame Vorkehrungen gegen dieses unerwünschte Phänomen trifft (Kap. 4 Rn. 34). Hier wird erstmals die Möglichkeit sogenannter Nettopolicen erwähnt. Kap. 6 behandelt den Courtageanspruch des Versicherungsmaklers. Hier wird erneut auf die Möglichkeit sogenannter Nettopolicen eingegangen (Kap. 6 Rn. 6). Im Zusammenhang mit dem Wegfall des Courtage­anspruchs wird nochmals auf den Schicksalsteilungsgrundsatz Bezug genommen und sodann ausgeführt, dass dieser bei Versicherungsverträgen mit sogenannten Nettopolicen keine Anwendung finde (Kap. 6 Rn. 37 f.). Dabei wird auch auf die neueren Entscheidungen des BGH eingegangen (Fn. 61). Beim abschließenden Kap. 7 zur Haftung des Versicherungsmaklers wird auf das nach wie vor aktuelle Sachwalterurteil des BGH von 1985 hingewiesen (BGHZ 94, 356). Hier findet man jetzt aber auch den in der Vorauflage noch vermissten Querverweis auf die Regelung des § 63 VVG (Kap. 7 Rn. 2 a).
Teil VII, verfasst von Schürr, behandelt den Internetvertrieb. In Kap. 4 geht es um den Abschluss von Verträgen im Internet. Hier ist für Vertragsschluss und Widerruf beim Versicherungsvertrag ein eigener kurzer Absatz reserviert. Dort wird auch auf § 6 Abs. 6 VVG hingewiesen, wonach die Beratungspflichten des § 6 Abs. 1–5 VVG nicht für Verträge gelten, die im Wege des Fernabsatzes i. S. d. § 312 c BGB abgeschlossen wurden, worunter insbesondere auch Vertragsabschlüsse über das Internet fallen. Bei ihnen muss also weder eine Beratung noch eine Dokumentation erfolgen (Kap. 4 Rn. 50). In diesem Zusammenhang geht Schürr auch auf die umstrittene Frage ein, ob Erklärungen und Texte, die über eine Homepage ins Internet gestellt und dort zum Download bereitgehalten werden, den Anforderungen an die Textform i. S. d. § 126 b BGB genügen (Kap. 4 Rn. 59, vgl. auch Rn. 100). Die Rechtsprechungs- und Literaturnachweise sind allerdings unzureichend und veraltet. Schürr schließt sich hier der Ansicht an, wonach eine Webseite dann der Textform genügt, wenn es tatsächlich zum Download beim Kunden kommt. Da dies für den Unternehmer schwer nachweisbar ist, empfiehlt er stets die separate Versendung einer E-Mail (Kap. 4 Rn. 59).
Wie schon in der Rezension der Vorauflagen ist zusammenfassend zu sagen: Das Handbuch des gesamten Vertriebsrechts ist ein monumentales Werk. Gewisse Wiederholungen und Mehrfachbearbeitungen sind der Konzeption eines dreibändigen Handbuchs geschuldet. Sie vermögen ebenso wenig wie die wenigen verbliebenen Mängel den starken positiven Gesamteindruck zu schwächen. Jeder, der auf dem weiten Gebiet des Vertriebsrechts praktisch arbeiten muss, kommt um dieses Handbuch nicht herum. Dies wird – die Prognose sei gewagt – auch in Zukunft so bleiben.
Der Rezensent, Prof. Dr. Peter Reiff, ist ordentlicher Professor an der Universität Trier, Richter am OLG Koblenz a. D. und Mitglied der Schriftleitung der Zeitschrift Versicherungsrecht.

Handbuch des gesamten Vertriebsrechts
Von Wolfram Küstner und Karl-Heinz Thume
(Deutscher Fachverlag, Frankfurt/M. 2014 bis 2016, in drei Bänden: Bd. 1 Handelsvertreter [5., überarbeitete Aufl. 2016, 1165 S., geb., ISBN 978-3-8005-1613-1, 179 Euro]; Bd. 2 Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters [9., bearbeitete Aufl. 2014 1008 S., geb., ISBN 978-3-8005-1577-6, 179 Euro]; Bd. 3 Vertriebsrecht [4., neu bearbeitete Aufl. 2015, 707 S., geb., ISBN 978-3-8005-1591-2, 179 Euro])

(abgedr. in VersR 2016, 1293)