Rezension: Rechtliche Grundlagen und Grenzen der EIOPA

Bei der hier besprochenen Arbeit von Christina Keune aus dem Jahr 2015 handelt es sich um eine Dissertation der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die von Prof. Dr. Lothar Michael betreut wurde und in der Düsseldorfer Reihe erschienen ist. Rechtsprechung und Literatur sind nach dem Vorwort der Autorin im Wesentlichen bis zur Drucklegung im Frühjahr 2015 berücksichtigt.
Im ersten Teil der Arbeit beschreibt die Autorin die Entwicklung der europäischen Versicherungsaufsicht (S. 5 bis 68). In diesem einleitenden Überblick behandelt sie in angemessenem Umfang und adäquater Tiefe im historischen Rückblick die einzelnen Änderungen des einschlägigen Unionsrechts. Die Autorin erörtert zunächst die materiellen unionsrechtlichen Aspekte (Rechtssetzung und Rechtsprechung), die zusätzlich zum behandelten Rechtsbestand hinaus noch die delegierte Verordnung und die zahlreichen Durchführungsverordnungen zur Richtlinie Solvabilität II umfassen. Über den materiellen Aspekt hinaus stellt Keune die im Hinblick auf den Gegenstand der Arbeit noch wichtigere Entwicklung auf der institutionellen europäischen Ebene im Einzelnen dar. Damit legt sie zugleich eine wesentliche Grundlage für die allgemeine rechtliche Bewertung der europäischen Institutionen.
Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich vertieft mit der Rolle, konkret der Struktur und der systematischen Einbindung der EIOPA (S. 69 bis 138). Die Autorin behandelt dabei u. a. Rechtspersönlichkeit und Organe der EIOPA sowie die Beziehungen zur EU-Kommission und zu nationalen Aufsichtsbehörden. Bei ihrer Analyse von Aufgaben und Befugnissen der EIOPA betont sie zutreffend die wichtige strikte Differenzierung zwischen den behördlichen Aufgaben einerseits und den behördlichen Befugnissen andererseits, die oft nicht hinreichend beachtet wird, obwohl sie der Systematik des deutschen Verwaltungsrechts entspricht. Im Kontext der Handlungsformen der EIOPA behandelt die Autorin ausführlich die praxisrelevanten EIOPA-Leitlinien, deren möglichen faktischen Druck sie hervorhebt. Dieser besteht jedoch nicht gegenüber Unternehmen, da für diese nicht „comply-or-explain“, sondern nur „comply-or-disclose“ gilt. Die für die Praxis zunehmend wichtige, da von der EIOPA extensiv interpretierte Aufgabe des Verbraucherschutzes behandelt Keune eher etwas knapp. Gelungen und instruktiv diskutiert die Autorin anschließend die grundsätzlichen und offenen Fragen des Rechtsschutzes bei Aktivitäten der EIOPA. Ihre abschließenden Ausführungen zu diesem Teil der Arbeit bieten eine Typisierung europäischer Agenturen und eine Übersicht über deren aktuellen Bestand. Damit liefert sie eine wichtige Basis für vergleichende Betrachtungen der EIOPA mit anderen europäischen Institutionen. Die EIOPA selbst qualifiziert sie im Ergebnis als eine europäische Regulierungsagentur.
Im dritten und zugleich Hauptteil der Arbeit (S. 139 bis 372) entwickelt Keune ausführlich ihre rechtliche Bedenken gegen die erfolgte Installation der EIOPA. Sie prüft zunächst Art. 114 AEUV und danach stillschweigende Ermächtigungen als mögliche Rechtsgrundlagen für die Errichtung einer europäischen Aufsichtsbehörde. Die Autorin sieht nach ausführlicher Analyse auf Basis der Meroni-Judikatur des EuGH die Regelung in Art. 114 AEUV nicht als ausreichende Ermächtigungsgrundlage an. Sie geht auch nach dem EuGH-Urteil zum Leerverkaufsverbot nach der ESMA-Verordnung davon aus, dass sich eine entsprechende Kompetenz zur Gründung von Agenturen aus Art. 114 AEUV nicht ableiten lässt. Sie begründet ihr Ergebnis zudem damit, dass die EIOPA als Überwachungsbehörde nicht der Harmonisierung von Rechtsvorschriften und Verwaltungsvorschriften i. S. v. Art. 114 AEUV dient. Weiter lehnt Keune ausführlich und durchweg belastbar begründet ebenfalls ungeschriebene Rechtsgrundsätze („implied powers“ und „resulting powers“) als mögliche weitere europarechtliche Basis für die EIOPA-Gründung ab.
Anschließend prüft die Autorin, ob mangels anderweitiger Ermächtigungen Art. 352 AEUV als Grundlage für die Installation der EIOPA in Betracht kommt. Keune sieht durchaus, dass der europäische Gesetzgeber diese Rechtsgrundlage nicht gewählt hat, bejaht aber deren Tauglichkeit als Basis für die Einrichtung der EIOPA. Ob sich diese Meinung durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Artikel 352 AEUV diente in der Vergangenheit zwar als europäischer Anker für die Gründung einiger Agenturen. Der europäische Gesetzgeber hatte bei der EIOPA-Gründung aber Art. 114 AEUV als rechtliche Basis angenommenen. Auch der EuGH hat sich durchaus mit Art. 114 AEUV als Grundlage für das Leerverkaufsverbot nach Art. 28 ESMA-Verordnung beschäftigt, ohne jedoch den Ansatz der Legislative kritisch zu betrachten. Zudem fungiert Art. 352 AEUV als subsidiäre Flexibilitätsklausel eher zur Abrundung und Lückenfüllung, während die Installation der EIOPA das institutionelle Gefüge der EU merklich ändert sowie Durchgriffe einer europäischen Behörde auf nationale Behörden und Unternehmen ermöglicht, die bei letzteren massiv in Grundrechte eingreifen können.
Auch unter ihrer Prämisse, dass die EIOPA-Gründung auf Art. 352 AEUV gestützt werden kann, hält Keune die Befugnisübertragung auf die EIOPA dennoch nicht für rechtmäßig. Sie prüft den Umfang der seitens der EU-Organe auf die EIOPA übertragenen Kompetenzen anhand der Meroni-Judikatur des EuGH und kommt zutreffend zu dem Ergebnis, dass die dort für eine Befugnisübertragung formulierten Grenzen überschritten sind. Mangels belastbarer Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten der Unionsorgane sieht die Autorin mit ausführlicher Begründung und starken Argumenten das Gewaltengleichgewicht nicht als gewahrt an. In diesem Kontext erkennt Keune überzeugend eine Verletzung des europäischen Demokratieprinzips und stützt sich dabei auf die Weisungsunabhängigkeit der nationalen Aufseher in den EIOPA-Gremien. Bei diesem Ergebnis bleibt sie aber nicht stehen, sondern macht abschließend auf der Basis ihrer Ergebnisse einen ausführlichen Formulierungsvorschlag für eine Ermächtigungsgrundlage zur Gründung europäischer Agenturen.
Im vierten und letzten Teil der Arbeit (S. 373 bis 397) erörtert die Autorin die Folgen der von ihr diagnostizierten Defizite des rechtlichen Rahmens der EIOPA. Die aktuellen Konsequenzen hält Keune, vor allem vor dem Hintergrund eingeschränkter Rechtsschutzmöglichkeiten privater natürlicher und juristischer Personen, für begrenzt. Wichtig ist allerdings ihr Hinweis, dass die relevanten grundsätzlichen Rechtsfragen inzidenter auf dem Prüfstand des EuGH landen können, wenn sich Streitigkeiten aus Maßnahmen der EIOPA oder aus dem Befugnisumfang der EIOPA
ergeben. Diese Gefahr (oder vielleicht besser: Chance zur Klärung) steigt mit dem Umfang, in dem die EIOPA ihre Befugnisse immer extensiver versteht.
Keune hat eine umfangreiche und wichtige Arbeit zu zentralen Rechtsfragen der neuen europäischen Aufsichtsbehörde im Versicherungssektor vorgelegt. Die Arbeit bietet in ausführlicher Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH eine tiefschürfende Analyse, die jeder zur Hand nehmen sollte, der sich mit rechtlichen Problemen rund um die EIOPA befassen will oder muss.
Der Rezensent, Dr. Jürgen Bürkle, leitet den Bereich Recht und Compliance der Stuttgarter Lebensversicherung a. G. und ist Mitglied der Schriftleitung der Zeitschrift Versicherungsrecht.

Rechtliche Grundlagen und Grenzen der EIOPA
Von Christina Keune
(Verlag Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 2015, 458 S., kart., DIN A5, ISBN 978-3-89952-895-4, 59 Euro; Bd. 25 der Düsseldorfer Reihe – Düsseldorfer Schriften zum Versicherungsrecht)

(Die Rezension ist abgedr. in VersR 2017, 1479)