Rezension: Versicherungsrecht

Versicherungsrecht, so sehen es viele, ist eine Art Geheimwissenschaft, die irgendwo abseits der Solidität des Zivilrechts mit seltsamem juristischem Zauber einen deutschen „Erinnerungsort“ erbaut hat. In der Tat: Dort tummeln sich Figuren, die gediegene Zivilisten schaudern lassen: Vertragsschlüsse ohne Einigung, rückwirkende Vertragsänderungsrechte, Schluchten zwischen formeller und materieller Rechtsinhaberschaft, verhaltensauffällige Verwalter von Verträgen und Risiken. Will man sich als Studierender, zu Beginn einer beruflichen Karriere bei einem Versicherer, anwaltlich oder richterlich diese verwunschenen Orte erschließen, gibt es kaum einen besseren Reiseführer als Manfred Wandts „Lehr-(im besten Sinne „Lern-)buch“ Versicherungsrecht. Das beruht zunächst auf seinem Konzept: Sparten und Arten, Technik und Markt, Versicherungsaufsicht und die „Dramatis personae“ der vertraglichen Beziehungen werden als Organismus nicht nur beschrieben, ihre Funktionalität – in ihren nationalen und supranationalen Bezügen – wird anschaulich gemacht und damit der rechtliche Rahmen geboten, der das Versicherungsrecht umschließt. Zu den besonderen Vorzügen des Werks gehört dabei der regelmäßige vergleichende Blick auf das „allgemeine“ Zivilrecht, der Besonderes erst verständlich macht. Alsdann folgt eine – in ihrer Prägnanz, Vollkommenheit gleichwohl aber Raffung ausgezeichnete – Darstellung des Allgemeinen Versicherungsvertragsrechts auf der Grundlage des VVG 2008, das nunmehr schon zum soliden Fundament geworden ist, dessen weiterhin offene – und immer neue – Probleme Wandt verlässlich behandelt. Ältere, weiterhin relevante, vor allem aber auch zuverlässig referierte neuere Rechtsprechung dient der ansprechenden Veranschaulichung, Streitfragen werden nüchtern, abgewogen und prägnant beantwortet: Beispielhaft sei nur Wandts (tiefgründige) Darstellung der Einbeziehung, Auslegung und Wirksamkeit von AVB (dem tragenden Skelett des Versicherungsvertrags) genannt oder seine nicht nur dogmatisch, sondern auch praktisch überzeugende Behandlung des Obliegenheitenrechts einschließlich der auch in beweisrechtlicher Hinsicht klar und überzeugend erläuterten Sanktionen, vor allem auch der Quotierung von Entschädigungsansprüchen. Im Anschluss stellt Wandt aus dem „Besonderen Teil“ das Recht der Haftpflichtversicherung, der Lebensversicherung und der Krankenversicherung prägnant und mit allen wesentlichen Strukturen und Details dar.
Natürlich wünscht man sich als Lehrender, Lernender und Anwender immer mehr: Blicke in die Zukunft, beispielsweise der verhüllten Obliegenheiten, Blicke auf weitere Gärten des Besonderen Versicherungsvertragsrechts. Man wünscht es sich aber natürlich nur von jenen, die bisher alle Wünsche mehr als zufriedenstellend erfüllt haben wie eben von Manfred Wandt: Aktualität, Tiefenschärfe, dogmatische Klarheit und Stringenz, Anschaulichkeit durch die Wiedergabe sorgfältig ausgewählter Judikatur und nicht zuletzt pädagogisches Geschick – vor allem auch durch grafisch hervorgehobene „Vertiefungen“, die wahre Repetitorien des Versicherungsrechts sind – kennzeichnen einmal mehr auch die 6. Aufl. des Werks, die die Qualität der Vorauflagen perfektioniert. Ihre Risiken und Nebenwirkungen bestehen allein darin, dass eine „Geheimwissenschaft“ als richtig spannend und bereichernd erfahren wird und, hat man dieses kluge und verständliche Werk gelesen, auf einmal gar nicht mehr so geheim ist. Also: Mehr (!) als empfehlenswert.
Der Rezensent, Prof. Dr. Roland Rixecker, ist Präsident des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes und lehrt Deutsches und Europäisches Privatversicherungsrecht sowie Öffentliches Recht an der Universität des Saarlandes.

Versicherungsrecht
Von Manfred Wandt
(Verlag Franz Vahlen, 6., neu bearbeitete Aufl. 2016, XXX und 621 S., kart., ISBN 978-3-8006-4816-0, 34,90 Euro)

(abgedr. in VersR 2016, 1479)