OLG Hamm: Haftung bei Unfall auf einer Autobahnabfahrt mit Gabelung

Stoßen ein vorausfahrendes und ein nachfahrendes Fahrzeug beim Rechtsüberholen des Nachfahrers auf der Gabelung einer Autobahnabfahrt zusammen, kommt eine hälftige Haftung beider Beteiligten für den Unfallschaden in Betracht, wenn der Vorausfahrer seiner Rückschaupflicht nicht genügt und der Nachfahrer verkehrswidrig rechts zu überholen versucht hat. Das hat der 7. Zivilsenat des OLG Hamm entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Paderborn abgeändert.

Die Ehefrau des Kl. befuhr im Juni 2015 mit seinem Pkw der Marke Peugeot 407 die Abfahrt Paderborn-Elsen der BAB 33, die sich im weiteren Straßenverlauf ohne vorfahrtsregelnde Verkehrszeichen gabelt. Im Bereich der Gabelung kam es zur streifenden Kollision zwischen dem vorausfahrenden Fahrzeug des Kl. und dem von der Erstbekl. gesteuerten Taxi, einem Pkw der Marke VW Caddy, dessen Halter der Zweitbekl.  ist. Der Unfall ereignete sich, weil das Taxi zur rechtsseitigen Vorbeifahrt am Fahrzeug des Kl. in den rechten Schenkel der Gabelung angesetzt hatte, als die Ehefrau des Kl. ebenfalls diesen Schenkel der Gabelung ansteuerte. Den ihm durch den Verkehrsunfall entstandenen Sachschaden in Höhe von ca. 4300 Euro verlangte der Kl. von den Bekl. und dem mitverklagten Haftpflichtversicherer ersetzt.

Das Schadensersatzbegehren des Kl. war zur Hälfte erfolgreich. Das OLG Hamm sprach dem Kl. ca. 2150 Euro Schadensersatz zu. Der Unfall sei, so der Senat, von beiden Fahrzeugführerinnen mitverschuldet worden, dies rechtfertige eine 50 %-ige Haftungsquote.

Gabele sich eine Straße ohne vorfahrtsregelnde Verkehrszeichen in zwei Schenkel, so beurteilten sich die straßenverkehrsrechtlichen Pflichten danach, ob ein Straßenschenkel nach vernünftiger Verkehrsauffassung als Fortsetzung der bisherigen Fahrtrichtung anzusehen sei. In diesem Fall stelle das Befahren dieses Schenkels keine Änderung der Fahrtrichtung dar. Nur der Kraftfahrer, der dann den anderen Schenkel befahre, ändere seine Fahrtrichtung und habe sich entsprechend zu verhalten.

Sei allerdings ­– wie im vorliegenden Fall – keiner der Schenkel deutlich als Fortsetzung der bisherigen Straße zu erkennen, ändere jeder Fahrzeugführer beim Einfahren in einen der beiden Schenkel seine Fahrtrichtung. Dementsprechend habe er dies als Abbiegen unter Benutzung der Fahrtrichtungsanzeiger und durch ein Sicheinordnen anzukündigen sowie – der StVO entsprechend – auf den nachfolgenden Verkehr zu achten.

Gegen diese Pflichten hätten beide Fahrerinnen der am Unfall beteiligten Fahrzeuge verstoßen. Die Fahrerin Fahrzeugs des Kl. habe den Pflichten nicht genügt, weil sie beim Abbiegen in den rechten Fahrbahnschenkel nicht ausreichend auf den rückwärtigen Verkehr und damit auf das Fahrzeug der Bekl. geachtet und sich zunächst auch eher mittig auf der Fahrbahn orientiert habe. Von diesem Verhalten sei nach der durchgeführten Beweisaufnahme auszugehen. Die Erstbekl., Fahrerin des VW Caddy, habe demgegenüber vor dem Zusammenstoß verkehrswidrig versucht, rechts zu überholen. Rechts dürfe nur derjenige Verkehrsteilnehmer überholt werden, der seine Absicht, nach links abzubiegen, angekündigt und sich entsprechend eingeordnet habe. Von der Absicht, nach links abzubiegen, habe die Erstbekl. beim Fahrzeug des Kl. nicht ausgehen können. An diesem sei bereits der linke Fahrtrichtungsanzeiger nicht gesetzt gewesen.

OLG Hamm, Urteil vom 3. 6. 2016 (7 U 14/16)

Pressemitteilung vom 8. 9. 2016