Prof. Dr. Stefan Thomas, Haftungs- und Versicherungsrecht bei Kartellverstößen

Das Kartellrecht wird zurzeit von zwei Entwicklungslinien geprägt, die zu spezifischen haftungsrechtlichen und versicherungsrechtlichen Folgefragen führen. Dies ist zum einen eine Verschärfung der Sanktionsinstrumente. Hierzu gehört die Geltendmachung von Kartellschäden. Dazu gehört ferner und vor allem aber eine Verschärfung des Kartellbußgeldrechts. Unternehmensbezogene Geldbußen können bis zur Höhe von 10 % des Konzernumsatzes verhängt werden. Nach geltendem deutschem Recht bezieht sich die Bußgeldpflicht noch auf diejenige juristische Person, deren Management gehandelt hat. Durch die 9. GWB-Novelle soll künftig analog zu den Grundsätzen, die die EU-Kommission im Rahmen der Verordnung 1/2003 praktiziert, eine bußgeldrechtliche Konzernhaftung gelten. Weiterlesen…

Prof. Dr. Christian Kersting: Kartellschadensersatzrecht nach der 9. GWB-Novelle

Das Kartellrecht verbietet wettbewerbsbeschränkende Absprachen (Art. 101 AEUV, § 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen [GWB]) sowie den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV, § 19 GWB). Durchgesetzt wird das Kartellrecht einerseits öffentlich-rechtlich durch Bußgelder. Andererseits stehen Geschädigten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die gegen das Kartellrecht verstoßenden Schädiger zu. Weiterlesen…

BGH: Zu den Anforderungen an den Nachweis eines Kartellschadens

Der Kartellsenat des BGH hat sich damit befasst, wie weit die Bindungswirkung an die Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes im Kartell-verwaltungsverfahren reicht, wenn später Schadensersatz wegen dieses Verstoßes begehrt wird, und welche Anforderungen dabei an die Feststellung eines Schadens zu stellen sind.

Tatbestand

Die Klägerin, eine gewerbliche Spielvermittlerin, verlangt von der Beklagten, der Lottogesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Schadensersatz wegen eines Kartellrechtsverstoßes.

Die Veranstaltung von Lotterien ist in Deutschland grundsätzlich den Lottogesellschaften der Bundesländer vorbehalten, die sich im Deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) zusammengeschlossen haben. Ab April 2005 versuchte die Klägerin mit verschiedenen Kooperationspartnern, eine Vermittlung für Spieleinsätze bei den staatlichen Lotterien aufzubauen. Dazu sollten Verkaufsstellen in Einzelhandelsgeschäften wie Supermärkten oder Tankstellen errichtet werden („terrestrischer Vertrieb“). Einnahmen wollte die Klägerin aus Gebühren der Spielteilnehmer und Provisionszahlungen der Lottogesellschaften erzielen. Der Rechtsausschuss des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB) forderte die Lottogesellschaften auf, Umsätze aus dem terrestrischen Vertrieb gewerblicher Spielvermittler zurückzuweisen. Das Bundeskartellamt verbot daraufhin dem DLTB und den Lottogesellschaften der Länder eine solche Aufforderung und die Umsetzung des Beschlusses des Rechtsausschusses; diese Verfügung wurde durch Beschluss des BGH vom 14.8.2008 rechtskräftig bestätigt (KVR 54/07, WuW/E DE-R 2408 [Lottoblock I]; s. Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 155/2008 vom 14.8.2008).

Die Klägerin verlangt Ersatz entgangenen Gewinns für die Jahre 2006 bis 2008. Sie macht geltend, wegen des Kartellrechtsverstoßes der Lottogesellschaften habe sie das Vermittlungsgeschäft nicht wie geplant aufbauen und entwickeln können.

Das OLG hat die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rd. 11,5 Mio. Euro zuzüglich Zinsen verurteilt. Auf die Revision der Beklagten hat der Kartellsenat des BGH diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

Aus den Gründen:

Aufgrund der Entscheidung „Lottoblock I“ steht nach § 33 Abs. 4 GWB für den Schadensersatzprozess bindend fest, dass die Lottogesellschaften den Beschluss des Rechtsausschusses des DLTB befolgt und durch ihr in dieser Weise abgestimmtes Verhalten gegen Kartellrecht verstoßen haben. Anders als vom OLG angenommen, ergibt sich daraus jedoch nicht, wie lange dieses kartellrechtswidrige Verhalten angedauert hat.

Allerdings durfte das OLG annehmen, dass sich die Verhaltensabstimmung bis 2008 auf das Marktverhalten der Lottogesellschaften ausgewirkt hat. Jedenfalls bei einer einmaligen kartellrechtswidrigen Abstimmung, die auf zeitlich unbeschränkte Wettbewerbswirkungen angelegt ist, spricht eine Vermutung dafür, dass sie von den beteiligten Unternehmen dauerhaft beachtet wird und das Marktgeschehen andauernd beeinflusst, solange sich die maßgeblichen Umstände nicht wesentlich ändern. Diese Vermutung ist nicht, wie die Revision meint, mit der Zustellung der Verfügung des Bundeskartellamts entfallen. Vielmehr ist für die Widerlegung der Vermutung in einem solchen Fall erforderlich, dass sich ein an dem Kartellrechtsverstoß beteiligtes Unternehmen offen und eindeutig von der Abstimmung distanziert. Nach den Feststellungen des OLG ist dies nicht geschehen.

Damit steht jedoch noch nicht fest, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Klägerin durch das abgestimmte Verhalten der Lottogesellschaften ein Schaden entstanden ist. Für diese Beurteilung gilt zwar die Beweiserleichterung des § 287 Abs.1 ZPO, wobei § 252 S.2 BGB dem Verletzten für die Darlegung und den Nachweis eines entgangenen Gewinns eine ergänzende Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung gewährt. Das OLG hat aber bei der unter Beachtung dieses Maßstabs vorzunehmenden Prüfung, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Schaden entstanden ist, nicht alle erheblichen Umstände berücksichtigt.

So erscheint es mangels anderweitiger Feststellungen möglich, dass die Lottogesellschaften trotz bestehender ökonomischer Anreize für eine Kooperation mit der Klägerin auch ohne kartellrechtswidrige Abstimmung bei autonomer unternehmerischer Entscheidung nicht oder nur zögernd und in geringerem als von der Klägerin geplanten Umfang Vermittlungsverträge mit der Klägerin abgeschlossen und Provisionen an sie gezahlt hätten. Dafür könnte ein Wunsch, das bisherige Vertriebssystem für Lotterien zu schützen, und die Unsicherheit über das künftige Glücksspielrecht sprechen, da das BVerfG zum damaligen Zeitpunkt eine Neuausrichtung des Glücksspielrechts am Ziel der Vermeidung von Suchtgefahren für verfassungsrechtlich geboten erklärt hatte. Außerdem hat das OLG einen zwischen 2005 und 2008 bei den Lottogesellschaften eingetretenen Umsatzrückgang sowie die zeitweise in mehreren neuen Bundesländern und Berlin geltenden gesetzlichen Provisionsverbote bei gewerblicher Spielvermittlung bei der Schadensberechnung nicht ausreichend berücksichtigt.

BGH, Urteil vom 12.7. 2016 (KZR 25/14) (Lottoblock II)

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 12.7.2016 Nr. 117/2016