SG Stuttgart: Kein versicherter Arbeitsunfall bei privater Unterbrechung des versicherten Wegs

Wer mit einem Pkw von seiner Arbeitsstelle nach Hause zu seiner Wohnung fährt und wegen des Eingangs einer SMS auf seinem privaten Handy, um diese lesen zu können, in eine direkt an der Straße gelegene Parkbucht abbiegen will, dazu den Fahrtrichtungsanzeiger setzt und das Fahrzeug abbremst, um den Gegenverkehr passieren zu lassen und dann von hinten von einem auffahrenden Pkw gerammt wird und sich verletzt, erleidet keinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall (Wegeunfall).

Die Kammer hat wie die beklagte Berufsgenossenschaft einen versicherten Arbeitsunfall verneint, weil die durch den Auffahrunfall verursachten gesundheitlichen Einwirkungen (Prellung von zwei Fingern und Verdacht auf HWS-Distorsion) nicht infolge des Zurücklegens des versicherten Wegs aufgetreten sind. Nach dem Schutzzweck der Norm können sie der versicherten Tätigkeit nicht zugerechnet werden, denn die Klägerin hat, indem sie ihr Fahrzeug angehalten hat, selbst die maßgebliche und unmittelbare Wirkursache für den Auffahrunfall gesetzt. Die Klägerin hat auch nach den Feststellungen des Gerichts ausschließlich aus einem privatwirtschaftlichen Beweggrund die Fahrt nach Hause unterbrechen wollen. Diese Handlungstendenz privatwirtschaftlicher Art hat sich unmittelbar in dem objektiv nach außen beobachtbaren Verhalten, dem Blinken und Abbremsen ihres Fahrzeugs, geäußert. Die Klägerin hat ihr Fahrzeug bis zum Stand abgebremst, um über die Gegenfahrbahn in eine Parkbucht zu fahren, wo sie auf ihrem privaten Handy eine SMS lesen wollte. Das Lesen der SMS ist zur Überzeugung der Kammer als rein privatwirtschaftliche Handlung nicht versichert. Gründe für diese Handlung, nach denen das Lesen der SMS ausnahmsweise versichert sein könnte, haben vom Gericht nicht festgestellt werden können und sind auch nicht erkennbar.

Selbst die bloße subjektive Vorstellung der Klägerin, es könne sich möglicherweise um eine dienstliche SMS handeln, ist für die Bejahung des Versicherungsschutzes aus Sicht der Kammer nicht ausreichend, weil der erforderliche und von der Klägerin zu erbringende volle Nachweis für einen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht erbracht werden konnte, denn die Klägerin hat angegeben, dass sie den Inhalt der SMS niemals zur Kenntnis genommen hat und nehmen konnte, weil das Handy bei dem Unfall einen Defekt erlitten hat und zerstört worden ist.

SG Stuttgart vom 20. 1. 2016 (S 1 U 6296/14; Berufung zum LSG Stuttgart eingelegt [L 9 U 767/16])

Pressemitteilung des SG Stuttgart vom 28. 9. 2016

SG Stuttgart: Besteht für den Leiter einer Tankstelle im abhängigen Beschäftigungsverhältnis Sozialversicherungspflicht?

Auszug der aktuellen Rechtsprechung des SG Stuttgart (Stand: August 2016)

Unter der Überschrift Nr. IV Gesetzliche Krankenversicherung findet sich in einer Pressemitteilung des SG Stuttgart vom 5.8.2016 u. a. eine Entscheidung des SG vom 8.3.2016:

Der Leiter einer Tankstelle steht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und ist dann nicht selbstständig tätig, wenn er u.a. keinen maßgeblichen Einfluss auf die Verkaufspreise hat, kein eigenes Personal einstellt, keine laufenden betrieblichen Aufwendungen hat, kein eigenes Vermögen einsetzt, sondern lediglich seine reine Arbeitskraft zur Verfügung stellt und dafür einen pauschalen Stundensatz erhält. Ein Gesellschaftsanteil von 20% erlaubt keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft (Urteil vom 8.3.2016 – S 8 KR 4005/14 -; Berufung der Klägerin beim LSG anhängig).

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform der GmbH insgesamt zwei Tankstellen und betraute den Beigeladenen im streitigen Zeitraum mit der Leitung einer dieser Tankstelle. Nach Aufdeckung von Manipulationen im Kassenabrechnungssystem wurden dem Beigeladenen sämtliche Tätigkeiten auf der Tankstelle untersagt und das (vermeintlich freie) Dienstverhältnis gekündigt. Im vorhergehenden Arbeitsgerichtsprozess ging das Arbeitsgericht ebenfalls von einem Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aus. Nachdem auch die Bundesagentur für Arbeit den Existenzgründungszuschuss vom Beigeladenen zurückgefordert hatte, forderte die beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle Sozialversicherungsbeiträge für den gesamten Beschäftigungszeitraum nach. Dabei wurden die Beiträge zunächst geschätzt und im Gerichtsverfahren auf Basis der mitgeteilten Zahlungen an den Beigeladenen konkret berechnet.

Die Kammer wies die Klage ab, da sie von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen ausging und die Beitragshöhe nach der konkreten Berechnung nicht mehr zu beanstanden war. Die Beitragsnachforderung war vorliegend auch nicht verjährt, da die Klägerin zumindest seit der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht bzw. seit dem Vorliegen der schriftlichen Gründe des Urteils des Arbeitsgerichts vom 18.10.2007 die Möglichkeit einer Beitragspflicht erkannt und die Vorenthaltung der Beiträge wenigstens billigend in Kauf genommen hat. Daher galt vorliegend die dreißigjährige Verjährungsfrist.