VersR BLOG: Hört jetzt auf! Aber wer?

„Hört jetzt auf!“: Klimaaktivisten erhöhen den Druck auf Versicherer. Unter dieser Überschrift berichtete die „Versicherungswirtschaft heute“ am 29.3.2023 über das jährliche Rundschreiben der Pressuregroup Insure our Future an die Vorstände von 30 Versicherern. Die Aktivisten, die neuerdings als „Kampagner*innen“ angesprochen werden wollen (soll sich wohl freundlicher anhören, klingt ein bisschen nach Champagner*innen), fordern, den „Ausstieg aus Investitionen in und Versicherung von fossilen Projekten: zunächst jede Expansion im Kohle-, Öl- und Gasbereich“. Und am Ende wird es archaisch, es droht mal wieder das Ende der Welt: As the UN Secretary-General said recently „2023 is a year of reckoning“. It must be a year of game-changing climate action. No more baby steps. No more excuses. No more greenwashing.

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VersR REPORT: Neue Rechtsprechung zum Versicherungsvertriebsrecht

I. Gruppenspitze als Versicherungsvermittler

Die Praxis kennt zahlreiche Gruppenversicherungsverträge, bei denen der Gruppenorganisator, die sog. Gruppenspitze, selbst Versicherungsnehmer (VN) ist. Beispielhaft sei der Fall genannt, dass eine GmbH ihren Kunden, wenn sie in eine „Mitgliedergemeinschaft“ eintreten, Leistungen für den Fall von Krankheit oder Unfall im Ausland anbietet und sie selbst VN eines Gruppenversicherungsvertrags mit entsprechenden Versicherungen ist (OLG Koblenz v. 19.12.2018 – 9 U 805/18, WRP 2019, 658). Nach bislang ganz h.M. lag in solchen Fällen keine Vermittlung vor, weil der VN nicht zugleich auch Vermittler sein könne (OLG Koblenz v. 19.12.2018 – 9 U 805/18, WRP 2019, 658; OLG Frankfurt v. 27.6.2019 – 6 U 108/18, NJW-RR 2019, 1381). Am 29.9.2022 entschied aber der EuGH auf Vorlage des BGH, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 Versicherungsvertriebs-Richtlinie seien so auszulegen, dass unter den Begriff „Versicherungsvermittler“ auch eine juristische Person falle, deren Tätigkeit darin besteht, eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, wenn sie hierfür von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die Mitgliedschaft die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen, namentlich im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland, berechtigt (EuGH v. 29.9.2022 – C-633/20, VersR 2022, 1372. Nachfolgend dann BGH v. 15.12.2022, VersR 2023, 446). Dass die juristische Person in diesen Fällen als VN selbst Partei des Gruppenversicherungsvertrags sei, stehe dem nicht entgegen. Ebenso wie ein Versicherer beim Direktvertrieb zugleich auch Versicherungsvertreiber sein könne, so könne auch der VN zugleich Versicherungsvermittler sein (EuGH v. 29.9.2022 – C-633/20, VersR 2022, 1372 Rz. 46 mit Hinweis auf EuGH v. 24.2.2022 – C-143/20 und C-213/20, VersR 2022, 485 Rz. 87 und 88).

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VersR BLOG: Jurastudium kann sich (doch) lohnen – Der „Kevin de Bruyne“ unter den englischen Advokaten

So manch einer macht sich bei der Berufswahl vielleicht Sorgen, dass es mit einer juristischen Kariere zu Ende gehen könnte, bevor sie überhaupt angefangen hat. LegalBots erledigen die Arbeit, Microsofts ChatGPT fertigt die Schriftsätze (und vorher die Examens- und Doktorarbeiten), Googles BARD kann das auch bald, Big Data erfasst die KI ohnehin sehr viel schneller als der Mensch, das gilt für die wissenschaftliche Recherche genauso wie für die Sachverhaltserfassung. Die Problematik von Massenklagen (die Registrierung der Massen, die Verteilung des Schadensersatzes, die ja viele tausend Anwaltsstunden verbrauchen kann, wenn man das nicht digital löst), die Erfassung und Auswertung von Großschäden, das Underwriting inklusive Preisfindung, alles das wird der Computer besser können als sein menschlicher Kollege. Der D&O-Anbieter VOV hat jetzt (s. Versicherungswirtschaft HEUTE vom 8.2.2023) einen vielleicht faustischen Pakt mit dem sog. Legal Tech Eagle Lsp (hinter dem sich nichts anderes verbirgt als ausgerechnet eine Anwalts-GmbH) geschlossen; man will mithilfe von sog. Data Analytics zu „datenbasierten Entscheidungsfindungen“ kommen, die Bearbeitung von über 3.000 Schäden im Rahmen technologiegestützter Business Intelligence optimieren, mit eDiscovery die Tatbestände effizient analysieren etc.

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Nachruf – Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard Univ.)

Jürgen Basedow ist am 6. April 2023 verstorben.

Noch im Januar dieses Jahres nahm er an einer Konferenz zu den Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL) am Sitz von UNIDROIT in Rom teil. Er schien bei bester Gesundheit, bereicherte die Diskussionen wie gewohnt mit intellektueller Brillanz und prägte die Atmosphäre durch seine so liebenswürdige, gewinnende Persönlichkeit.

Jürgen Basedow, 1949 in Hamburg geboren, war ein wahrhaft internationaler Rechtswissenschaftler mit weltweiter Vernetzung und weltweitem Renommee. Den Grundstein hatte er bereits in jungen Jahren durch Studien in Genf, Pavia, Den Haag und Cambridge (Massachusetts) gelegt. Es folgte eine exzellente akademische Karriere eines Ausnahmewissenschaftlers, nicht nur in einem Rechtsgebiet, sondern in mehreren. Sein Hauptinteresse galt dem Internationalen Privatrecht, der Rechtsvergleichung, dem europäischen Privatrecht, und in dieser Breite insbesondere dem Wirtschaftsrecht, vor allem dem Wettbewerbs-, Kartell- und Regulierungsrecht, dem Transport- und Verkehrsrecht, dem Recht des geistigen Eigentums, dem Versicherungsrecht und dem AGB-Recht.

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VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zur Personenversicherung

Im Folgenden werden Urteile aus dem Jahr 2022, vor allem des BGH, zur Personenversicherung vorgestellt.

I. Lebensversicherung

1. Widerspruchsrecht des VN (§ 5a VVG a.F.)

Eine Vielzahl obergerichtlicher Entscheidungen beschäftigte sich auch im Jahr 2022 mit dem sog. „ewigen“ Widerspruchsrecht des VN nach § 5a VVG a.F. Dabei setzten sich die Gerichte insbesondere mit der neueren Rechtsprechung des EuGH auseinander (zur neueren Rechtsprechung zum ewigen Lösungsrecht des VN bei Verletzung von Belehrungs- und Informationspflichten durch den Versicherer vgl. auch Looschelders, FS Schimikowski, 2023, S. 199 ff.).

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