OLG Stuttgart: Kreissparkasse Tübingen und Verbraucherzentrale jeweils zu Unterlassungen in Verbindung mit der Verwendung von Negativzinsklauseln und der Berichterstattung hierzu verurteilt

Der 4. Zivilsenat des OLG Stuttgart hat der Kreissparkasse Tübingen die Verwendung einer Zinsanpassungsklausel untersagt, die bei vereinbarten Grundzinsen in Altersvorsorgeverträgen zu „Negativzinsen“ führte. Wegen der gleichzeitig vereinbarten, laufzeitabhängigen Bonuszinsen, die die Grundzinsen überstiegen, war es jedoch bisher zu keinem Negativsaldo zulasten der Bankkunden gekommen. Auf die Widerklage der Bank hin wurde es der Verbraucherzentrale untersagt, wahrheitswidrige Behauptungen zu diesen Vorgängen, insbesondere auf ihrer Internetseite, zu veröffentlichen und zu verbreiten.

Dem liegt zugrunde, dass die beklagte Kreissparkasse Tübingen (KSK) von 2002 bis Anfang 2015 Altersvorsorgeverträge vertrieben hatte, die mit variablen Grundzinsen und laufzeitabhängigen Bonuszinsen angeboten wurden. Für die Berechnung der Grundzinsen wurde in den AGB eine Klausel verwendet, die über den Verweis auf einen Referenzzinssatz auf der Basis von der Deutschen Bundesbank veröffentlichter Zinssätze zu sogenannten „Negativzinsen“ führte, die im dazugehörigen Preisaushang des Produkts „VorsorgePlus“ bekannt gegeben wurden. Diese Klausel sei intransparent und führe nach Meinung der klagenden Verbraucherzentrale zu einer unangemessenen Benachteiligung der Verbraucher, weshalb sie Unterlassung begehrt. Demgegenüber verlangt die beklagte Bank mit der Widerklage die Unterlassung der mit der Pressemitteilung aufgestellten Behauptung, die Beklagte fordere von Ihren Kunden des Produkts VorsorgePlus und damit für Altersvorsorgeverträge der staatlich geförderten Riester-Rente Negativzinsen beziehungsweise ein Entgelt, statt ihrerseits Zinsen zu bezahlen. Außerdem solle die Verbraucherzentrale Auskunft darüber erteilen, gegenüber wem, insbesondere welchen Presseorganen, diese Behauptungen aufge-stellt worden seien.

Das LG Tübingen hatte die jeweiligen Unterlassungsklagen abgewiesen, was der Berufungssenat jetzt abänderte und beide Parteien zur Unterlassung verurteilte. Die von der KSK verwendete sogenannte Zinsgleitklausel verstoße gegen das Transparenzgebot und sei deshalb unwirksam. Insbesondere erfülle die Klausel nicht die Vorgaben, wonach es dem Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglich sein muss, möglichst klar und einfach seine Rechte festzustellen. Mit einer Internetrecherche sei zwar eine Ermittlung der 3-Monatszinssätze möglich, nicht jedoch ein klarer und einfacher Zugriff auf die 10-Jahreszinsen. Die Klausel sei auch deshalb intransparent, weil nach weiteren Formulierungen von der Gutschreibung von Zinsen und einer Hinzurechnung die Rede ist.

Die Klausel benachteilige den Verbraucher auch unangemessen, da die Möglichkeit eines negativen Zinses mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Darlehensregelungen nicht vereinbar sei. Gerade bei einem Altersvorsorgevertrag beziehungsweise einem sogenannten Riestervertrag gehe es um die Vermögensbildung und Vorsorge für das Alter, was sich mit der Möglichkeit negativer Grundzinsen per se nicht vereinbaren lasse. Die Angaben im Preisaushang würden von der Nichtigkeit der Zinsgleitklausel erfasst. Die Beklagte darf daher die entsprechenden Klauseln in ihren AGB im Zusammenhang mit Altersvorsorgeverträgen nicht mehr verwenden.

Die Verbraucherzentrale dürfe allerdings in ihren Pressemitteilungen und auf der Internetseite nicht die in der Kernaussage unwahre, weil bewusst unvollständige Tatsachenbehauptung aufstellen, dass die beklagte Bank von den Kunden ihrer Altersvorsorgeprodukte eine negative Verzinsung, also faktisch ein Entgelt einfordere, statt selbst Zinsen zu zahlen. Zu einem Einfordern eines Entgelts beim Kunden ist es wegen der höheren Bonuszinsen nie gekommen. Eine solche Presseberichterstattung könne zu einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Wertschätzung der Kreissparkasse führen. Daher wurde die Verbraucherzentrale vom Berufungsgericht auch zur Auskunft über die Verbreitungswege der Behauptung und zum Ersatz eines möglichen Schadens verurteilt.

Das OLG hat hinsichtlich der Untersagung der Klauselverwendung die Revision zum BGH zugelassen.

OLG Stuttgart, Urteil vom 27.03.2019 (4 U 184/18)

Rose/Schwilling: Die Bedeutung des Probable Maximum Loss in der deutschen Feuer-/EC-Erst- und Rückversicherung

Der PML eines Feuer-/EC-Risikos quantifiziert dessen Großschadenexponierung und ist eine wesentliche Entscheidungsgröße im Underwriting-Prozess des Erstversicherers und regelmäßig auch Grundlage der Rückversicherungsentscheidung. Dieses Buch zeigt die in der Praxis der deutschen Feuer-/EC Versicherung angewandte Methodik der PML-Schätzung auf.Dabei werden die bei der PML-Schätzung zu berücksichtigenden und insbesondere die vernachlässigbaren Sachverhalte erörtert.Ursachen und Wirkungen fehlerhafter PML-Schätzungen werden im Hinblick auf die sich in der Rückversicherung ergebenden Konsequenzen analysiert.

(VVW GmbH, Karlsruhe 2018, 116 S., kart., DIN A5, ISBN 978-3-96329-086-2, 39 Euro; Bd. 19 der Leipziger Schriften zur Versicherungswissenschaft)

(Der Buchhinweis ist abgedr. in VersR 2019, 149)

OLG Dresden: § 142 Abs. 1 StGB als Grenze der vertraglichen Aufklärungsobliegenheit

Versicherungsvertragsrecht
Kfz-Kaskoversicherung
§ 142 Abs. 1 StGB als Grenze der vertraglichen Aufklärungsobliegenheit
StGB § 142; AKB 15 Nr. E.1.1.3
* Versicherungsbedingungen, die den VN verpflichten, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die „gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten“, begrenzen auch die versicherungsrechtliche Obliegenheit auf die in § 142 Abs. 1 StGB genannten Pflichten. Eine Pflicht, den Versicherer entsprechend § 142 Abs. 2 StGB nachträglich unverzüglich zu benachrichtigen, lässt sich hieraus zumindest dann nicht ableiten, wenn in den AKB zugleich die Verpflichtung enthalten ist, jedes Schadenereignis innerhalb einer Woche anzuzeigen. *
OLG Dresden, Urteil vom 27. 11. 2018 (4 U 447/18)
Anmerkung der Redaktion: Vgl. zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort OLG Hamm VersR 2018, 929 und VersR 2016, 1365.

(Die vollständie Entscheidung ist abgedr. in VersR 2019, 349)

Rezension: Haftung und Versicherung bei Personenkraftwagen mit Fahrerassistenzsystemen

Fahrerassistenzsysteme gewinnen eine immer größere Bedeutung im Straßenverkehr. Sie dienen mehreren Zwecken, insbesondere der Steigerung des Fahrkomforts und des Sicherheitsgefühls des Fahrers, aber auch der Erhöhung der Verkehrssicherheit ganz allgemein. Außerdem bilden sie wichtige Entwicklungsstufen auf dem Weg zum vollautomatisierten und schließlich fahrerlosen Fahren (das in diesem den Assistenzsystemen gewidmeten Buch als „Sonderfall“ auf den Seiten 190 bis 209 auch mit angesprochen wird). Weiterlesen…

SG Karlsruhe: Versorgung mit Zahnersatz durch Berufsgenossenschaft nach Arbeitsunfall bei Vorschädigung der Zähne durch Parodontitis

Die Klägerin erlitt bei Sortierarbeiten im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in einem Postverteilungszentrum einen Arbeitsunfall. Ein Paket fiel von oben auf ihr Gesicht. Die dabei erlittenen Prellungen führten zunächst nicht zu ärztlicher Behandlungsbedürftigkeit. Einige Wochen später entwickelten sich Vereiterungen und starke Schmerzen; die Zähne 24 und 26 mussten gezogen werden. Die Klägerin begehrte von der zuständigen Berufsgenossenschaft unter Vorlage eines von ihrem Zahnarzt erstellten Heil- und Kostenplans die Versorgung mit einer Brücke im Oberkiefer von Zahn 23 auf Zahn 27. Dies lehnte die Beklagte, gestützt auf eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass bei der Klägerin eine fortgeschrittene Parodontitis bestehe. Die Zähne 24 und 26 seien schon vor dem Unfall als nicht erhaltungsfähig einzustufen gewesen.

Die deswegen zum SG Karlsruhe erhobene Klage hatte nach Einholung eines mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Fachgutachtens Erfolg:

Nach den Ausführungen des Sachverständigen erscheine nachvollziehbar, dass die Klägerin zunächst an den wurzelkanalbehandelten Zähnen nach dem erlittenen Trauma keine Schmerzen empfunden habe. Durch den Bruchspalt könnten aber Bakterien aus der Mundhöhle in tiefere Regionen des Zahns vordringen und eine eitrige Entzündung verursachen. Dies erkläre plausibel die bei der Klägerin erst nach einigen Wochen aufgetretenen Beschwerden, die dann zur Notwendigkeit der Extraktion der Zähne 24 und 26 geführt habe. Dem bestehenden Vorschaden Parodontitis komme kein derartiges Gewicht zu, dass das Unfallereignis dahinter im Sinne einer „Gelegenheitsursache“ zurückzutreten habe. Die parodontale Erkrankung sei therapeutisch kontrollierbar gewesen und hätte nicht in naher Zukunft (etwa durch eine alltägliche Kaubelastung) zu einem Verlust der Zähne 24 und 26 geführt. Das Unfallereignis sei jedenfalls wesentliche Teilursache für den eingetretenen Zahnschaden.

SG Karlsruhe, Urteil vom 17.12.2018  (S 15 U 3746/16) – nicht rechtskräftig –

Pressemitteilung des SG Karlsruhe vom 31.1.2019