Martin Wittke, Haftungsfall Nierenlebendspende

Noch immer besteht die weit verbreitete Annahme, eine Nierenlebendspende könne – abgesehen von den mit jedem operativen Eingriff einhergehenden Gefahren – für den Spender folgen- und risikolos durchgeführt werden. So wirbt das Ärzte­blatt mit dem Slogan, dass Nierenlebendspender länger leben als der Durchschnitt der Allgemeinbevölkerung. Auch eine große Zahl von Transplantationszentren weist auf die möglichen negativen Folgen einer Organentnahme für die Spender nur unzulänglich hin. Dieser Verharmlosungseuphorie haben die Entscheidungen des OLG Düsseldorf und des OLG Hamm sowie des LG Düsseldorf ein Ende bereitet.
Denn die Wahrheit über die möglichen Folgen einer Nierenlebendspende sieht anders aus und beschäftigt deshalb nunmehr die Gerichte. So ist in der medizinwissenschaftlichen Literatur bereits seit den 1970er-Jahren immer wieder davon berichtet worden, dass es im Bereich der Nierenlebendspende zu erheblichen Einschränkungen in der Nierenfunktion kommen kann und dass eine signifikante Zahl von Spendern (hier schwanken die Zahlen zwischen 5 und 20% in der medizinwissenschaftlichen Literatur) nach der Spende auf Dauer über eine erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Erschöpfungszustände und chronische Müdigkeitssyndrome klagt.
Abseits von den medizinischen Aspekten, die für eine ordnungsgemäße Aufklärung der potenziellen Spender durch die Transplantationszentren von erheblicher Bedeutung sind, werfen die Verfahren eine Reihe von juristischen, bislang obergerichtlich noch nicht geklärten Fragen auf, weshalb es bedauerlich ist, dass das OLG Hamm die Revision zum BGH nicht zugelassen hat.
Der juristische Fokus der Entscheidungen aus Düsseldorf und Hamm liegt auf folgenden Aspekten:
1. Welche (grundsätzlichen) Anforderungen sind an die Aufklärung eines Organlebendspenders zu stellen?
2. Sind die in den §§ 8 und 5 des Transplantationsgesetzes (TPG) normierten besonderen Formvorschriften über die Aufklärung eines Organlebendspenders lediglich „verfahrensrechtliche Vorgaben“ zur „Verfahrenssicherung“, die im Fall ihrer Verletzung die Wirksamkeit der Einwilligung nicht ausschließen, ein Verstoß gegen diese Vorschriften also sanktions- und folgenlos bleibt oder führt ein Verstoß hiergegen zur Unwirksamkeit der Einwilligung in die Spende?
3. Welche Funktion darf der dritte, unbeteiligte Arzt, der nach § 8 Abs. 2 S. 3 TPG i. V. m. § 5 Abs. 2 S. 1 und 2 TPG an der Aufklärung des Spenders mitwirken muss, im Rahmen der Spende haben oder nicht haben?
4. Ist im Fall einer unzureichenden Aufklärung eines Spenders die Erhebung des Einwands einer hypothetischen Einwilligung möglich oder nicht?
5. Welche Anforderungen sind gegebenenfalls an die Darlegungen des Spenders zu stellen, dass er sich im Fall einer hinreichenden Aufklärung gegen die Spende entschieden hätte?

(Der vollständige Beitrag ist abgedr. in VersR 2017, 1181)