Deckungsschutz zum Nulltarif?

Ansprüche aus der D&O-Versicherung bei Insolvenz des Versicherungsnehmers

Dieser „Zwischenruf“ betrifft ein aktuelles Urteil des BGH (VersR 2020, 541) zur Rechtsposition des Versicherten in der Insolvenz des D&O-Versicherungsnehmers. Das übergeordnete Thema „Insolvenz des Vertragspartners“ ist im Versicherungssektor ein recht einseitiges: Insolvenzen von Versicherern haben Seltenheitswert. Nur bei der gewerblichen Versicherung sind bisweilen kleinere Insolvenzen zu verzeichnen, die geräuschlos abgewickelt werden. Die Vorschriften der §§ 16 VVG, 311 ff. VAG zur Insolvenz des Versicherers haben also in der Praxis eine erfreulich geringe Bedeutung.

Auf Seiten des Versicherungsnehmers kommt es wesentlich häufiger zu einer Insolvenz. Sie löst bei beiderseitig nicht erfüllten Verträgen das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 Abs. 1 InsO aus. Schwierig wird die Lage, wenn ein Versicherter im Spiel ist. So war es hier: Die D&O-Versicherung ist hinsichtlich der sog. Side-A-Deckung eine ausschließliche Fremdversicherung zugunsten der potentiell Haftpflichtigen (Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853 [1856]). Der Versicherte kann fällige Prämien selbst zahlen und sich dadurch den Versicherungsschutz erhalten (§ 34 Abs. 1 VVG). Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlieren allerdings die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag ihre Durchsetzbarkeit (BGH, NJW 2002, 2783 [2785]). Der Insolvenzverwalter kann sich dann dafür entscheiden den Vertrag zu erfüllen und seinerseits Erfüllung zu verlangen. Lehnt er die Erfüllung ab, kann der Versicherer die Prämie nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 103 Abs. 2 S. 1 InsO). Damit soll sichergestellt werden, dass der Masse vorteilhafte Verträge zugute kommen, dass aber der Vertragspartner nur gegen eine vollwertige Gegenleistung leisten muss.

Hat der Versicherer einen Prämienrückstand nicht bereits vor Verfahrenseröffnung zum Anlass genommen, seine Rechte aus § 38 VVG wirksam auszuüben (was hier streitig blieb), fragt sich, ob er dem Versicherten auch dann leistungspflichtig ist, wenn der Insolvenzverwalter keine Erfüllung wählt. Der BGH (VersR 2020, 541 Rz. 12 f.) bejaht dies im Grundsatz. Zur Begründung hebt er darauf ab, dass die Verfügungsbefugnis über den Anspruch hier nach den AVB dem Versicherten zustehen sollte. Dadurch werde auch nicht das Wahlrecht des Insolvenzverwalters zu Lasten der Insolvenzgläubiger beschnitten, weil der Versicherungsanspruch ohnehin dem Versicherten und nicht dem Versicherungsnehmer zustehe.

Demnach soll es für die Anwendbarkeit von § 103 InsO auf die Fremdversicherung entscheidend darauf ankommen, ob der Versicherte abweichend von §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG verfügungsbefugt ist. Indessen wird mit einer solchen – in der D&O-Versicherung weit verbreiteten – Gestaltung der AVB nur der Regelzustand eines Vertrags zugunsten Dritter gem. § 328 BGB hergestellt (Buntenbroich/Schneider, r+s 2020, 370 [371]). Dem Versicherer stehen gegenüber dem Dritten nach § 334 BGB die Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag zu, einschließlich des § 320 BGB. Die Anwendbarkeit von § 103 InsO stellt dazu die konsequente Fortsetzung im Insolvenzverfahren dar, mit der sich der „Patt“ des Zurückbehaltungsrechts sachgerecht auflösen lässt. Lehnt man sie ab, so droht dem Versicherer, dass er die Versicherungsleistung in voller Höhe erbringen muss, während er seinen Anspruch auf die ausstehende Prämie nur quotal als Insolvenzforderung geltend machen kann.

Ein solcher „Deckungsschutz zum (nahezu) Nulltarif“ wird teils angenommen (s. etwa Fuchs, GWR 2020, 227). Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil § 320 BGB im Insolvenzverfahren fortgilt (BGH, NJW 2002, 2783 [2785]). Zu Recht geht zudem das LG Wiesbaden (r+s 2019, 455 [456]; s. auch OLG Celle, VersR 1986, 1099 [1100]) davon aus, dass § 103 InsO auch bei einem Vertrag zugunsten Dritter gilt, so dass das Erfüllungswahlrecht den Anspruch des Versicherten umfasst. Dies entspricht dem Grundgedanken, dass der Versprechende beim Vertrag zugunsten Dritter dann, wenn der Versprechensempfänger insolvent wird, nicht schlechter stehen soll als bei einem Vertrag für eigene Rechnung des Versprechensempfängers. Bei der D&O-Versicherung kommt hinzu, dass eine Freistellung gerade in einer Zahlung des Versicherers an die Masse liegen würde, während eine Abwehr der geltend gemachten Innenhaftung durch den Versicherer der Masse abträglich wäre. Die Ausübung des Wahlrechts – die dem Insolvenzverwalter eine Prognose über die Erfolgsaussichten des Innenhaftungsanspruchs gegen den Versicherten abverlangt – wirkt sich daher unmittelbar auf die Masse aus. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass der Versicherte seinen Freistellungsanspruch nach Ansicht des BGH (VersR 2016, 786 Rz. 19 ff.) an den Versicherungsnehmer abtreten kann. Einmal mehr bestätigt sich, dass die D&O-Versicherung, bei welcher der Versicherungsnehmer seinem künftigen potentiellen Prozessgegner (auch) dessen Abwehrschutz finanziert, sich aber zugleich für den Fall der Haftung einen liquiden Schuldner sichert, eine eigentümliche Gestaltung ist (näher Armbrüster in: FS K. Schmidt, 2019, Bd. I S. 23, 24 ff.). Unabhängig von diesen Besonderheiten bleibt festzuhalten, dass das Erfüllungswahlrecht nach § 103 Abs. 1 InsO in Übereinstimmung mit den allgemeinen für den Vertrag zugunsten Dritter geltenden Regeln auch den Anspruch des Versicherten erfasst.