Der Sachverhalt ist kurz und schnell erklärt: In unserem Online-Blog „Der Praxistest – Die Akkumulation diverser Pflichtverletzungen im VW-Dieselskandal“ vom 15.4.2021 habe ich die Frage der Managerhaftung im VW-Dieselskandal diskutiert, vor allem die Frage, wie die Parallelität von fahrlässigen und vorsätzlichen Pflichtverletzungen zu behandeln sein wird. Dabei habe ich meinen auf BGH VersR 2015, 1156 beruhenden Vorschlag wiederholt, solche Fallkonstellationen nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld zu lösen. Der Kerngedanke dieses Vorschlags kommt in folgendem Satz zum Ausdruck:
Tatsächlich genießen die versicherten Organe mit Ausnahme des wissentlich Handelnden uneingeschränkte Abwehrdeckung, während sie bei der Freistellung keinen Nachteil erleiden, weil ihre Haftung von vorneherein um den Anteil gekürzt wird, der auf die wissentliche Handlung entfällt. Auch die VN erleidet durch die vorgeschlagene Lösung keinen Nachteil. Denn auch ohne D&O-Deckung wäre ihr Anspruch gegen den fahrlässig Handelnden entsprechend zu kürzen.
Also uneingeschränkte Abwehrdeckung (außer bei Vorsatz) für die Organe, die auch bei der Freistellung keine Nachteile erleiden, weil die VN/Geschädigte von dem fahrlässig handelnden Organ keinen Ersatz des Teilschadens verlangen kann, für den nach der zu bestimmenden Quote der vorsätzlich Handelnde allein haftet. Auch die Rechtsposition der VN ändert sich nicht: sie kann von dem vorsätzlich handelnden Organ vollen Schadensersatz verlangen, hat aber insoweit keine Deckung aus dem D&O-Vertrag. So weit, so einfach.
Dazu hat der Autor Oliver Lange auf der Homepage der VOV, deren „Management“ er angehört, unter der Überschrift „Märchen und Mythen“ Stellung genommen und diese Stellungnahme auch bei Linkedin publiziert.
Dort behauptet Lange (wieder soll nur der maßgebliche Kernsatz wiedergegeben werden):
… meint Langheid unter Bezug auf ein schon etwas älteres Urteil des BGH (VersR 2015, 1156), dass dann, wenn ein Schaden von mehreren Versicherten pflichtwidrig verursacht wird, das wissentlich pflichtwidrige Handeln eines von ihnen genüge, um auch den nur fahrlässig oder sogar schuldlos handelnden anderen Versicherten den Versicherungsschutz zu verweigern … .
Das ist nichts anderes als das genaue Gegenteil von dem, was tatsächlich gesagt wurde. Da passt die Überschrift bestens: nichts als „Märchen und Mythen“. Weil nun jeder, der des Lesens mächtig ist, das auch ohne weiteres sofort erkennt, stellen sich zwei Fragen: Warum wird die Meinung anderer (in diesem Fall meine) auf so leicht zu durchschauende Art und Weise in ihr Gegenteil verkehrt? Und lohnt es sich, darauf zu reagieren?
Über die Beweggründe kann man nur spekulieren. Worin könnte ein Motiv für die unredliche Suggestion einer Versicherungsschutz-Gefährdung zu finden sein, wenn doch tatsächlich eine Lösung angeboten wird, die zwei Vorzüge miteinander kombiniert: sie kommt zu wirtschaftlich überzeugenden Lösungen und kann juristisch gut begründet werden, gerade auf der Basis der zitierten BGH-Rechtsprechung? Offenbar soll der Kundschaft gezeigt werden, dass sie nichts zu befürchten hat, wenn sie „richtig“ versichert ist. Lange will – seine Worte – eine „unangebrachte Verunsicherung“ verhindern. Wird hier wider besseres Wissen Verunsicherung geschürt, um Versicherung besser verkaufen zu können? Dass in Wirklichkeit er es ist, der statt Versicherung Verunsicherung betreibt und dabei ein Gespenst aufbaut, das es gar nicht gibt, wird dabei bewusst in Kauf genommen. Das ist eine Spekulation auf die Ignoranz des Publikums. Man kann nur hoffen, dass solche Verhaltensmuster nicht eine eingeübte Typizität widerspiegeln, weder bei Lange im speziellen noch in der Assekuranz allgemein.
Als weiteres Motiv kommt sicher auch ein Aufmerksamkeitsdefizit in Frage. Man sucht Beachtung und heischt Beifall, indem man eine (völlig zu Unrecht, s.o.) „gefährliche“ Meinung bekämpft. Dafür spricht ein Nebenaspekt: das in Bezug genommene Urteil des BGH wird als „schon etwas älter“ apostrophiert. Das dient der Herabsetzung und soll Gestrigkeit (der Idee und des Autors) suggerieren. Aber: das Urteil stammt ja nicht aus dem Jahr 1915, sondern aus 2015 und zusätzlich werden zwei wesentliche Aspekte ignoriert: das Urteil ist ein Meilenstein, weil Deckung verneint wird, wenn auch nur eine von mehreren Pflichtverletzungen vorsätzlich erfolgte. Nach der bis dahin vorherrschenden Instanz-Rechtsprechung war das genau andersherum (Deckung, wenn auch nur eine Pflichtverletzung nur fahrlässig war). Und weil die Entscheidung des BGH Fragen für die D&O-Versicherung aufwarf, wurde mit der „Gesamtschuldtheorie“ unverzüglich nach einer Antwort gesucht, nämlich schon in der 5. Auflage des Langheid/Rixecker im Jahr 2016 (vgl. dort § 103 Rn. 12 ff.) und dann – nachdem sich (seriöser) Widerspruch geregt hatte – vertiefend in VersR 2017, 1365. So viel zu „schon etwas älter“.
Die Suche nach dem Motiv führt zur Beantwortung der zweiten Frage. Natürlich kann man über solche Anwürfe einfach zur Tagesordnung übergehen, zumal der Popanz bei etwas genauerem Hinsehen sofort implodiert. Aber es bedarf doch eines Warnhinweises, damit eine derartige Form der „Auseinandersetzung“ sich gar nicht erst etabliert. Ist ein Beitrag auch noch so atroph, kann nicht hingenommen werden, dass deren Urheber einfach falsch zitiert und dadurch „Märchen und Mythen“ in die Welt setzt, nur um diese dann „widerlegen“ zu können. Bei den ohnehin vorhandenen Imageproblemen der Branche sollten solche Fehlleistungen nicht akzeptabel sein.