Subsidiarität und Attachment Point

Kann der Grundlayer die Eintrittspflicht des Exzedenten durch Deckungsverweigerung „triggern“?

In der Industrieversicherung werden große Risiken durch aufeinander aufbauende Mitversicherungen gedeckt, was zu einer Doppelmatrix von horizontaler und vertikaler Mitversicherung führt. Geringere Kapazitäten führen zu vermehrter Risikodiversifikation und mithin zu mehr Mitversicherung. Ob das auch zu größeren Problemen bei der horizontalen und vertikalen Interaktion der beteiligten Risikoträger und bei der Abwicklung von Schäden führt, bleibt abzuwarten. Stand hier bislang im Fokus, ob die zuunterst vereinbarte Versicherungssumme neben dem Schaden auch durch Kosten und/oder Zinsen verbraucht werden kann, könnte der sog. Attachement Point nach einem obiter dictum des OLG Düsseldorf (VersR 2020, 683) auch dadurch erreicht werden, dass die primäre Eintrittspflicht des Grundlayers (oder eines vorangehenden Layers) dergestalt abbedungen wird, dass die Subsidiarität des jeweils nachfolgenden Exzedenten hinter der Eintrittspflicht des Primärversicherers entfällt.

Die dortige Versicherungssumme betrug insgesamt 10 Mio. €, wovon 7,5 Mio. € auf den Grund- und 2,5 Mio. € auf den Exzedenten entfielen. Im Grundlayer war die übliche Subsidiaritätsabrede enthalten, nach der Deckung aus dem fraglichen Vertrag „erst im Anschluss an die Deckungssumme der anderen Versicherung“ greifen sollte, wenn Deckung unter einer früher abgeschlossenen Versicherung bestand. Allerdings sollte diese Subsidiaritätsabrede entfallen, wenn in dem früher abgeschlossenen Versicherungsvertrag die Deckungspflicht ganz oder teilweise bestritten wurde. Das OLG Düsseldorf hat – ohne dass letztlich entscheiden zu müssen – angedeutet, dass auch in dem Grundlayer im Verhältnis zum Exzedenten ein derartiger „früher abgeschlossener“ Vertrag zu erkennen sein könnte, weil der Exzedent sich den Vertragsbestimmungen des Grundlayers durch die Klausel „follow form“ angeschlossen hatte. Danach würde die Subsidiaritätsabrede also nicht nur im Verhältnis des Grundlayers zu einem dritten Primärversicherer greifen, sondern auch im Verhältnis des Exzedenten zum Grundlayer.

War eine solche Überlegung überraschend, schien sie aber prima facie deswegen nicht weniger überzeugend. Durch die Klausel „follow form“ übernimmt der Exzedent auch die Subsidiaritätsregel des Grundvertrags. Und weil dieser zweifellos früher abgeschlossen wurde, tritt der Exzedent an die Stelle des Primärversicherers, wenn dieser seine Deckungspflicht verneint. Beim 7. Versicherungsforum der Donau Universität Krems am 9.11.2021 sind jetzt aber Bedenken gegen dieses Konstrukt geltend gemacht worden. Und diese Bedenken überzeugen: Wenn nämlich zunächst nur gehaftet werden soll „im Anschluss an die Deckungssumme der anderen Versicherung“ steht das in einem letztlich unauflöslichen Widerspruch zum Wegfall der Subsidiarität bei schlichter Deckungsverweigerung des vorangehenden Layers. Dann wird nämlich von der „unteren“ Deckungssumme gerade nichts verbraucht. Der Grundsatz, dass erst der sog. Attachment Point erreicht werden muss, um den nachfolgenden Exzedenten in Anspruch nehmen zu können, muss aber Priorität haben, schon weil er wirksam vereinbart wurde.

Sodann würde die Funktionalität der Layerbildung konterkariert, wenn der untere Layer durch schlichte Deckungsverweigerung den oberen Layer „triggern“ könnte. Der Grundlayer erhält höhere Prämien, weil er die Führung bei der Prüfung von Schadensfällen übernimmt und weil die Wahrscheinlichkeit, in Anspruch genommen zu werden, mit jedem nachgeschalteten Layer sinkt. Wenn man den Grundsatz „unten vor oben“ ganz einfach dadurch aushebeln könnte, dass der vorangehende Layer seine Eintrittspflicht leugnet und dadurch die Eintrittspflicht des oberen Layers „triggern“ könnte, würde die Turmbildung umgekehrt, die Pyramide stünde auf dem Kopf. Zu Ende gedacht, würde dann nicht der Grundlayer zuerst haften, sondern der letzte Exzedent, weil dieser als Einziger keine Verweisungsmöglichkeit auf einen nachfolgenden Layer hätte. Einen solchen gibt es nämlich nicht.

Im Fall des OLG Düsseldorf haben diese Erwägungen keine Rolle mehr spielen müssen, denn es hat die Klage trotz seiner Erwägungen zur Subsidiarität abgewiesen, weil in dem von ihm zu entscheidenden Einzelfall die Schadenssumme mit 7,4 Mio. € abgegolten worden war, sodass der Attachment-Point von 7,5 Mio. € aus der Grundversicherung nicht erreicht war. Die Voraussetzung für die Eintrittspflicht des Exzedenten als Subsidiärversicherer, dass der Primärversicherer seine Deckung bestritten hatte, seien also nicht erfüllt. Und der Attachement Point sei eben (noch) nicht erreicht. Die Auffassung des Klägers, der Exzedent würde die Differenz zwischen den geltend gemachten 8,2 Mio. € und den verglichenen 7,4 Mio. € schulden, wurde damit zurückgewiesen. Unerörtert blieb aber, dass der Grundversicherer seine Deckung zumindest teilweise bestritten hatte, was nach den Hilfserwägungen des OLG Düsseldorf an sich zur prinzipiellen Eintrittspflicht des Exzedenten hätte führen können oder sogar müssen.