Unterbliebene Anpassung von AVB an das VVG 2008 – Totgeglaubtes wiederbelebt?

Unwirksame AVB bei Obliegenheitsverletzung

Im Zuge der VVG-Reform 2008 war bis zur grundlegenden Entscheidung des BGH vom 12.10.2011 (IV ZR 199/10, BGHZ 191, 159 = VersR 2011, 1550) lebhaft umstritten, welche Rechtsfolgen für Obliegenheitsverletzungen gelten, wenn der Versicherer von der ihm in Art. 1 Abs. 3 EGVVG eingeräumten Möglichkeit, für Altverträge (Art. 1 Abs. 1 EGVVG) bis zum 1.1.2009 die alten AVB dem neuen Recht anzupassen, keinen Gebrauch gemacht hatte. Mit der vorzitierten Entscheidung schien die Frage endgültig geklärt: Eine in den AVB enthaltene vertragliche, noch an § 6 VVG a.F. ausgerichtete Regelung über die Rechtsfolgen der Verletzung von Obliegenheiten sei wegen Verstoßes gegen die halbzwingende (§ 32 S. 1 VVG) Bestimmung des § 28 VVG unwirksam und werde insbesondere nicht durch die gesetzliche Rechtsfolgenregelung in § 28 VVG ersetzt. Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG könne auch nicht etwa gem. § 306 Abs. 2 BGB zur Lückenfüllung herangezogen werden. Denn – so der BGH – bei Art. 1 Abs. 3 EGVVG handele es sich um eine gesetzliche Sonderregelung, die in ihrem Anwendungsbereich die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB verdränge. Und auch eine ergänzende Vertragsauslegung, mit der die Rechtsfolgenanordnung „durch die Hintertür“ wieder hätte eingeführt werden können, scheide aus.

So weit, so klar! Wem das dann noch nicht der Erkenntnis genug war, der wurde in zwei weiteren (Nicht-)Bedingungsanpassungsentscheidungen zur Rechtsschutzversicherung vom 2.4.2014 (IV ZR 124/13, VersR 2014, 699 Rz. 22 und IV ZR 58/13, r+s 2015, 347 Rz. 22 m. Anm. Schimikowski) belehrt: Die Unwirksamkeit der Rechtsfolgenregelung gelte nicht nur für eine grob fahrlässige, sondern auch für die vorsätzliche und sogar arglistige Obliegenheitsverletzung. Denn: Nicht an das neue VVG angepasste Altbedingungen seien unabhängig von der Art des Verschuldens im konkreten Fall unwirksam.

Dem Versicherer blieb damit allein die Möglichkeit, sich auf die Verletzung gesetzlicher Obliegenheiten (etwa nach § 81 Abs. 2 VVG oder § 82 VVG) oder auf die Regelungen zur Gefahrerhöhung gem. §§ 23 ff. VVG zu berufen. Gerade dies stand dann auch einer ergänzenden Vertragsauslegung entgegen, obschon – so der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 12.10.2011 (aaO Rz. 52) ausdrücklich – diese Regelungen nicht das gesamte Spektrum möglicher vertraglicher Obliegenheiten abbildeten, von anderen Tatbestandsvoraussetzungen abhingen und für den Versicherer verglichen mit den vertraglichen Obliegenheiten prozessuale Nachteile wie das Fehlen gesetzlicher Vermutungen zu grober Fahrlässigkeit und Kausalität bei § 81 Abs. 2 VVG mit sich brächten. Insofern verschiebe sich das Vertragsgleichgewicht zu Ungunsten des Versicherers. Die genannten gesetzlichen Auffangregelungen verhinderten jedoch, dass das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört sei. Zudem spreche die bewusst getroffene Entscheidung, die gesetzlich eingeräumte Anpassungsmöglichkeit nicht wahrzunehmen, ebenfalls gegen die Unzumutbarkeit, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden.

Klarheit bestand hierbei in der Folge auch darüber, dass der (bewusst oder unbewusst) unterlassenen eine unwirksame Anpassung (mangels Einhaltung der Formalien des Art. 1 Abs. 3 EGVVG) oder der nicht beweisbare Zugang der Änderungsmitteilung des Versicherers gleichstehen (s. nur OLG Köln VersR 2011, 1439 [1441]; LG Berlin r+s 2011, 384; Armbrüster, VersR 2012, 9 [16]). Das OLG Celle (VersR 2012, 753 [755]) führte völlig zu Recht aus: „Für ebenso unvereinbar mit Art. 1 Abs. 3 EGVVG hält der Senat die Auffassung, der Versicherer habe bereits mit der Umstellung der AVB unabhängig vom Zugang alles Erforderliche zur Anpassung der AVB getan (so Wagner/Rattay, VersR 2010, 1271 [1276]; …).“

In einer Entscheidung des OLG Brandenburg vom 21.11.2018 (11 U 61/17, BeckRS 2018, 52031) wird Letzteres wieder in Frage gestellt. In einem obiter dictum führt der OLG-Senat, der zunächst – aus berufungsrechtlichen Erwägungen – zu dem Ergebnis gelangt, der VN habe den Zugang der Änderungsmitteilung nicht ausreichend bestritten, sich dieser Sache aber scheinbar nicht sicher wähnt, aus, es genüge, wenn der Versicherer durch Übersendung neuer AVB an den VN unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 3 EGVVG ausreichend dafür Sorge trage, dass eine Änderung der Bedingungen herbeigeführt werde. Sei ihm aus Beweisgründen der – bislang von der Instanzrechtsprechung völlig zu Recht verlangte – (Voll-)Beweis des Zugangs der Änderungsmitteilung nicht möglich, könne er sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung auf die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten unter Berücksichtigung der halbzwingenden Bestimmungen in § 28 Abs. 2 und Abs. 3 VVG berufen.

Das Ergebnis überrascht und ist in seiner Unterscheidung zwischen untätigem und beweisfälligem Versicherer auch nicht nachvollziehbar. Richtig ist zweifellos, dass Art. 1 Abs. 3 EGVVG nicht verlangte, dass der Versicherer seine Änderungsmitteilung dem VN förmlich zustellen müsse und die Beweisbarkeit des Zugangs auch nichts mit der Frage zu tun hat, ob der Versicherer die Möglichkeit der einseitigen Ersetzung der alten Klauseln hat wahrnehmen wollen. Auf einem anderen Blatt steht aber, wer das Risiko des fehlenden Zugangsnachweises zu tragen hat. Dies ist – und das wissen wir spätestens seit dem 1. Semester – derjenige, der sich auf den Zugang beruft (vgl. im Allgemeinen statt aller MünchKomm/BGB/Einsele, 8. Aufl., § 130 Rz. 46 und im Besonderen zu Art. 1 Abs. 3 EGVVG Muschner in HK-VVG, 4. Aufl., Art. 1 EGVVG Rz. 30; s. auch Schmitt, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl., Einl. Rz. 42 mwN).