Sars-Cov-2 und die Semantik von Versicherungsbedingungen

Fällt die Pandemie unter den Schutz der Betriebsschließungsversicherung?

Sars-Cov-2 verursacht verheerende gesellschaftliche und ökonomische Schäden. Aber das Virus bewirkt auch Lernprozesse – bei der Entwicklung von Impfstoffen, der Digitalisierung, dem Verhältnis von Legislative und Exekutive und, vielleicht, auch der Auslegung und Gestaltung von Versicherungsbedingungen. Die Betriebsschließungsversicherung, lange Zeit ein Mauerblümchen juristischen Interesses, tritt ein, wenn die zuständige Behörde versicherte Betriebe aus infektionsschutzrechtlichen Gründen ganz (je nach den AVB auch teilweise) schließt, um die Verbreitung „meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ zu verhindern. Die Unsicherheiten der Einschätzung, ob Deckung besteht, ergeben sich aus der Buntheit der Klauseln, die zu benennen versuchen, was der jeweilige Vertrag als in diesem versicherungsvertraglichen Sinne „meldepflichtig“ (und damit als bakteriellen oder viralen Auslöser des Versicherungsfalls) betrachtet.

Die Auslegungsprobleme werden zunehmend in der Kasuistik deutlich. Da das Virus und ihm nicht immer hilfreich begegnende Lockdowns uns erhalten bleiben, lohnt sich daher ein Blick auf die Sprachkunst von Bedingungen. Dabei darf nicht verwirren, dass auch das IfSG in § 6 „namentlich“ zu meldende Krankheiten oder Erreger meint: Verlangt wird dadurch, wie sich aus § 9 IfSG ergibt, der Name ihres Opfers. Versicherungsvertraglich heißt das nach der Semantik der Bedingungen in keinem Fall, dass nur diese Seuchen versichert sind, weil nur sie den Gesundheitsbehörden „namentlich“ zu benennen sind. Die Funktionen des Wortes im Gesetz und in den Bedingungen unterscheiden sich erkennbar.

Keine Zweifel werfen Klauseln auf, die als „meldepflichtig(en)“ Anlass einer Betriebsschließung „nur“ die in dem Vertrag („im Folgenden“) selbst katalogartig („namentlich“) aufgezählten Erreger oder sie gar zusätzlich als „abschließend“ benannt bezeichnen (LG Bochum, VersR 2020, 1104). Jeder erkennt auch ohne versicherungsvertragliches und virologisches Sonderwissen: Sars-Cov-2 ist nicht gemeint. Insoweit bestehen auch weder Transparenzbedenken, noch kann diese im Interesse der Kalkulierbarkeit von Risiken erfolgende Beschränkung als unangemessene Benachteiligung betrachtet werden. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn zusätzlich („vgl.“) Bezug auf die §§ 6 und 7 IfSG genommen wird (OLG Hamm, VersR 2020, 1103). Der Einwand von Armbrüster (r+s 2020, 507; anders Fortmann jurisPR-VersR 8/2020 Anm. 2), der Klammerzusatz sei unklar und zugunsten des VN als dynamische Verweisung auf die Sars-Cov-2 benennende, seit 23.5.2020 geltende Neufassung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 t IfSG  auszulegen, ist allerdings für ab dann eingetretene Versicherungsfälle (anders für frühere zu Recht LG Ellwangen, CoVuR 2020, 63) beachtlich.

Dass zur Marktbeobachtung gehaltene Versicherungsmakler, denen die epidemische Entwicklung von Sars-Cov-1 2002 oder Mers 2012 ebenso wie weltweite Warnungen vor einer Pandemie nach dem Auftreten von Ebola bekannt sein mussten, eine Haftung schwerlich vermeiden können, wenn sie Kunden solche nur restriktiven Schutz bietenden Produkte ohne Hinweis auf andere vermittelt haben, liegt auf der Hand – die normative Erwartung an die Voraussicht von Versicherungsmaklern ist höher als jene an politisch Verantwortliche.

Den Gegenpol bilden Klauseln, die als Anlass einer Betriebsschließung pauschal nach dem IfSG meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger (ohne nähere Spezifizierung) bezeichnen, oder „namentlich“ auf jene verweisen, die in § 6 IfSG genannt sind. Das öffnet die Deckung für alle infektionsschutzrechtlich gegenwärtig oder künftig zu meldenden Erreger oder Krankheiten. „Namentlich“ ist dann adverbial verwendet und meint nichts anderes als „insbesondere“ (Rolfes, VersR 2020, 1021; Rixecker in Schmidt, COVID-19, 2. Aufl. § 11 Rz. 60 ff.).

Keine wirklichen rechtlichen Probleme entstehen auch, wenn die im Vertrag enthaltenen Kataloge und jene des IfSG, auf die der Vertrag gleichfalls Bezug nimmt, nicht identisch sind oder in anderer schwer entwirrbarer Reihenfolge dargestellt werden (so im Fall LG München I CoVuR 2020, 640). Verwirrender und intransparenter können Bedingungen kaum sein. Dass der Versicherer seinen Vertriebspartner dort sogar schriftlich informiert hatte, er werde Deckung für Sars-Cov-2-Ereignisse gewähren, und dieses Schreiben dem Kunden vorgelegt wurde, stellt für Traditionalisten die Frage nach der Auferstehung der Erfüllungshaftung, ist aber auch für deren Leugner unschwer als Vertragserweiterung zu beherrschen und lässt nur fragen, warum das streitig gestellt wurde.

In eine Grauzone können demgegenüber Bedingungen führen, die „namentlich“ in der Bedeutung „mit Namen bezeichnet“ gebrauchen. Sie versprechen Deckung, wenn die (folgenden) „in den §§ 6, 7 IfSG“ namentlich (= mit Namen) aufgeführten Krankheiten und Erreger auftreten. Stimmen die im Vertrag genannten mit den in den §§ 6 und 7 IfSG enthaltenen nicht überein, sind Klauseln intransparent und Covid-19-Betriebsschließungen sind eingeschlossen. Beschränken sich Verträge auf eine schlichte Verweisung auf die in den §§ 6 und 7 IfSG bezeichneten Infektionsursachen, ist Sars-Cov-2 für Versicherungsfälle seit dem 23.5.2020 (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 t IfSG) naturgemäß gleichfalls eingeschlossen: Die Verweisung ist notwendigerweise dynamisch; eine Festschreibung auf einen Gesetzgebungsstand, der nur mithilfe juristischer Informationssysteme erschließbar wäre, müsste Wirksamkeitsbedenken begegnen. Zählen die vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung verfassten AVB die Verursacher der Betriebsschließung dann „sicherheitshalber“ gleichfalls auf, sind sie seit dem 23.5.2020 unsicher geworden und wegen Unklarheit zu verwerfen.

Was aber gilt für Versicherungsfälle der ersten Welle? Manche meinen, die Verweisung auf die in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Infektionsursachen sei weiter zu verstehen (LG Mannheim, VersR 2020, 904) und meine auch die nicht mit dem Namen des Befallenen zu meldenden „unbenannten“ Krankheiten und Erreger. Das folge auch aus der Ausnahme für Prionenerkrankungen (§ 3 Nr. 4 AVB) (Armbrüster a.a.O.). Indessen fällt es schwer, einen Verweis auf Namen als Verweis auf Namenlose zu verstehen. Das ist auch gar nicht erforderlich. Denn die Verordnung 30.1.2020. (BAnz AT 31.1.2020 AT V1) enthält eine „Ausdehnung der Meldepflicht“ auf das Sars-Cov-2-Virus und ergänzt damit die §§ 6 und 7 IfSG; der Name des Virus wird auf diese Weise den Namen der anderen Schreckensbringer an ein wenig versteckt aber rechtserheblich hinzugefügt.

Sars-Cov-2 wird uns lange begleiten, gewiss aber auch unwürdige Nachfolger finden. Das sollten auch die Autoren von Versicherungsbedingungen bedenken.