Der u.a. für Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat des BGH hat über Ansprüche auf Rückzahlung des Reisepreises nach Rücktritt von Pauschalreiseverträgen wegen Covid 19 entschieden.
In den drei Verfahren nimmt die jeweilige Klagepartei die jeweilige Bekl. auf Erstattung der Anzahlung für eine Pauschalreise in Anspruch, nachdem sie vor Antritt der Reise wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurückgetreten ist.
Im Verfahren X ZR 66/21 buchte die Kl. im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29.6.2020 zu einem Gesamtpreis von 1.599,84 €. Die Kl. trat am 7.6.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 €. Die Bekl. berechnete weitere Stornokosten i.H.v. insgesamt 999,89 € (85 % des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift). Die Kl. bezahlte diesen Betrag nicht. Die Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt.
Im Verfahren X ZR 84/21 buchte der Kl. im Februar 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca im Zeitraum vom 5. bis 17.7.2020 für 3.541 €. Der Kl. trat am 3.6.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 €. Die Bekl. berechnete Stornokosten i.H.v. insgesamt 886 € (25 % des Reisepreises) und belastete die Kreditkarte des Kl. um weitere 177 €. Das vom Kl. gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt seines Rücktritts und im Reisezeitraum geschlossen.
Im Verfahren X ZR 3/22 buchte der Kl. eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29.8.2020 für 8.305,10 €. Der Kl. trat am 31.3.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung i.H.v. 3.194 €. Die Kreuzfahrt wurde von der Bekl. am 10.7.2020 abgesagt.
Die Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg.
Im ersten Verfahren sind das AG und das LG zu dem Ergebnis gelangt, schon im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung sei aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB hinreichend wahrscheinlich gewesen.
Im zweiten Verfahren hat das LG einen Rückzahlungsanspruch bejaht, weil das vom Kl. gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war und schon dieser Umstand dazu führe, dass der Kl. ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag habe zurücktreten können.
Im dritten Verfahren haben die Vorinstanzen offen gelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise bejaht.
In den drei Verfahren kam es zu unterschiedlichen Entscheidungen.
Die Begründetheit der Klagen hing in allen drei Verfahren davon ab, ob die jeweils bekl. Reiseveranstalterin dem Anspruch der jeweiligen Klagepartei auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 S. 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Eine erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn feststeht, dass die Durchführung der Reise nicht möglich ist oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden führen würde. Sie kann vielmehr schon dann zu bejahen sein, wenn die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken in Bezug auf solche Rechtsgüter verbunden wäre. Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen, erfordert regelmäßig eine Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden.
Im ersten Verfahren blieb die Revision erfolglos.
Nach Auffassung des BGH ist die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum (Sommer 2020) als Umstand i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet war, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Eine Anwendung von § 651h Abs. 3 BGB ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.
Das Berufungsgericht ist im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass im Zeitpunkt des Rücktritts eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war. Diese Würdigung hat der BGH als rechtsfehlerfrei bewertet.
Das Berufungsgericht hat eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung der Kl. insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid 19 bejaht. Es hat dabei das Hygienekonzept der Bekl. und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des Rücktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor Beginn der Reise ablief, berücksichtigt. Zulässigerweise hat es auch auf das Alter der Kl. Bezug genommen. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn erst solche Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei Vertragsschluss hätte das Alter der Kl. einer Teilnahme an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken haben den Charakter der Reise verändert.
Im zweiten Verfahren führte die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Vortrag des Kl. zu der durch Unsicherheit und Unwägbarkeiten geprägten pandemischen Lage in Europa ab Frühjahr 2020 und zu allgemeinen Maßnahmen zur Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit sowie die Bezugnahme auf ein für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erstelltes Gutachten nicht den Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung zulassen, weil daraus nicht hervorgeht, welche konkreten Infektionsrisiken im maßgeblichen Zeitraum (Juli 2020) auf Mallorca bestanden.
Eine erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB ergibt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht daraus, dass das vom Kl. gebuchte Hotel im Reisezeitraum geschlossen war. Zwar kann die Unterbringung in einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Ein zur Minderung berechtigender Reisemangel begründet aber nicht ohne Weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB. Ob eine solche Beeinträchtigung gegeben ist, ist aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine solche Würdigung auch dann erforderlich, wenn der Reisende in einem anderen Hotel untergebracht werden soll. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat das LG im Streitfall unterlassen. Der Senat kann diese im Wesentlichen dem Tatrichter überlassene Würdigung nicht selbst vornehmen.
Das dritte Verfahren hat der BGH entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des EuGH in dem dort anhängigen Verfahren C-477/22 (X ZR 53/21, Pressemitteilungen Nr. 85/2022 und Nr. 118/2022) ausgesetzt. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der dem EuGH bereits vorliegenden Frage ab.
BGH, Urt. v. 30.8.2022 – X ZR 66/21 und X ZR 84/21; Beschl. v. 30.8.2022 – X ZR 3/22