AG München: Entschädigung für verpassten Hinflug

Das AG München gab am 18.9.2018 der Klage gegen eine Reiseveranstalterin auf Minderung und Schadensersatz in Höhe von 852,03 Euro statt.

Die Klägerin buchte für sich, ihren Partner und zwei Kinder für 2262 Euro eine All-Inclusive-Flugreise vom 29.9.2017 bis 9.10.2017 nach S. (Türkei). Die Beklagte hat im Voucherheft darauf hingewiesen, dass spätestens 30 Minuten vor dem Abflug die Eincheckzeit endet. Der Hinflug sollte am 29.9.2017 um 14.45 Uhr mit der Fluggesellschaft C. ab dem Flughafen L. (Deutschland) mit Ankunft in A. (Türkei) um 19 Uhr erfolgen. Am Flughafen wurde gleichzeitig mit dem gebuchten Flug nach A. (Türkei) auch ein Flug nach Griechenland abgefertigt. Um ca. 14.20 Uhr kam die Klägerin zu spät am Schalter zum Check-In an die Reihe. Das Flugzeug flog ohne die Klägerin und ihre Familie nach A.

Die Klägerin behauptet, alle seien ca. zwei Stunden vor Abflug am Abflugschalter auf dem Flughafen L. gewesen. Auf dem Bildschirm vor dem Check-In sei lediglich der Name der Fluglinie angegeben gewesen. Die Klägerin und ihre Familie hätten sich an der dort befindlichen Warteschlange angestellt, die zu drei Schaltern führte. Sie seien davon ausgegangen, dass sämtliche Wartenden das gleiche Ziel hätten. Sie hätten weder gehört, dass sie aufgerufen worden seien, noch seien sie darauf hingewiesen worden, dass man nicht mehr einchecken könne, wenn man nicht an der Schlange vorbeigehe. Es sei auch keiner aus der Schlange heraus nach vorne gegangen. Sie hätten einen neuen Flug ab B. (Deutschland) buchen müssen. Die Nacht hätten sie in L. bei Verwandten auf dem Fußboden geschlafen. Am 30.9.2017 seien sie mit dem Zug nach B. gefahren, um von dort über I. (Türkei) nach A. zu fliegen. Erst am 1.10.2017 gegen 3.00 Uhr sei man im Hotel angekommen.

Die Zeugin der Beklagten gab an, dass etwa eine Stunde vor dem Abflug die Passagiere für den Flug nach A. aufgerufen worden sein müssten, um sie vorzuziehen. Die Klägerin müsse unaufmerksam oder zu spät gewesen sein.

Die zuständige Richterin am AG München gab der Klägerin in weiten Teilen Recht.

Es sei „…die Art und Weise des geschilderten Aufrufens, indem ein Mitarbeiter an der Schlange entlanggeht und mehrmals laut ruft, nicht geeignet, um sicherzustellen, dass alle Fluggäste hiervon Kenntnis erlangen. Es ist davon auszugehen, dass die wartenden Personen in der Schlange am Check-In-Schalter sich auch miteinander unterhalten, während sie warten, und dass deshalb ein gewisser Geräuschpegel herrscht. Die ausrufende Person müsste dementsprechend sehr laut rufen, um sämtliche anderen Geräusche zu übertönen. Es ist auch möglich, dass Reisende für die kurze Zeit des Aufrufs unaufmerksam sind. Die volle Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor sich in und neben der Warteschlange während der hier 1,5 Stunden dauernden Wartezeit zu richten, kann von keinem Reisenden verlangt werden. Die Fluggesellschaft hätte entweder durch eine Durchsage per Lautsprecher oder durch ein Ansprechen aller Wartender in der Schlange sicherstellen müssen, dass alle Reisenden die Information erhalten. Es kann auch nicht von den Fluggästen erwartet werden, dass diese alle wissen, dass es auch sein kann, dass zwei Flüge gleichzeitig abgefertigt werden, und dass sie an der Warteschlange vorbeigehen – ein sozial zumeist unerwünschtes Verhalten – um bevorzugt eingecheckt zu werden. Diese Erwartung hat selbst die Fluggesellschaft nicht, da sie ansonsten gar keine Aufrufe machen würde. …Das Gericht hält dementsprechend eine Minderung in Höhe eines Tagesreisepreises in Höhe von 205,64 Euro (2262 Euro : 11 Tage) für angemessen.“

Die Richterin sprach ebenfalls in Höhe von 205,64 Euro Ersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit zu. Sie minderte jedoch den daneben geforderten Ersatz der durch den Ersatzflug entstandenen Schadens von insgesamt 881,50 Euro um 50 %:

„Die Klägerin trifft ein erhebliches Mitverschulden daran, dass sie zu spät zum Check-In am Schalter eintraf. Selbst wenn die Beklagte bzw. die Fluggesellschaft keinen hinreichenden Aufruf für den Flug nach A. vorgenommen hat, hätte die Klägerin selbst tätig werden müssen, um ein Verpassen des Fluges zu verhindern. … Dem Gericht erscheint es als grobe Sorgfaltspflichtverletzung in eigenen Angelegenheiten, sich sorglos in eine Warteschlange zu stellen und sehenden Auges den gebuchten Flug zu verpassen, ohne auch nur einmal eine Nachfrage zu stellen.“

AG München, Urteil vom 5.10.2018 (154 C 2636/18)

Das Urteil ist nach Rücknahme der Berufung seit 7.1.2019 rechtskräftig.

Pressemitteilung des AG München vom 15.3.2019