BGH: Beitragsforderung eines Wasserzweckverbandes gegen „Altanschließer“ in Brandenburg nicht verjährt

Der u.a. für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat des BGH hat über einen gegen einen brandenburgischen Wasser- und Abwasserzweckverband geltend gemachten Schadensersatzanspruch entschieden, der auf die Rückerstattung eines Beitrags für einen Trinkwasseranschluss gerichtet war. Der Senat ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beitragsforderung des Zweckverbands nicht verjährt war. Allerdings ist noch zu klären, ob in dem Bescheid unzulässig Beiträge für Maßnahmen verlangt wurden, die vor dem 3.10.1990 erbracht waren.

Die Kläger sind Eigentümer eines in Brandenburg belegenen Grundstücks, das vor dem 1.1.2000 an das kommunale Trinkwassernetz des beklagten Zweckverbandes angeschlossen wurde. Mit Bescheid vom 15.11.2011 setzte der Beklagte unter Bezugnahme auf seine 2009 erlassene Beitragssatzung einen Anschlussbeitrag von 1321,96 Euro gegen die Kläger fest. Ihr dagegen eingelegter Widerspruch blieb erfolglos. Von einer Klageerhebung sahen sie ab.

Nach 8 Abs. 7 S. 2 des brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung vom 31.3.2004 (= KAG Bbg n.F.) entsteht eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung. In § 8 Abs. 7 S. 2 der zuvor geltenden Fassung des Kommunalabgabengesetzes (= KAG Bbg a.F.) fehlte das Wort „rechtswirksamen“. Das OVG Brandenburg legte diese Fassung des Gesetzes dahin aus, dass für das Entstehen der Beitragspflicht für ein Grundstück der Zeitpunkt des Erlasses der ersten Satzung mit formellem Geltungsanspruch maßgeblich war, unabhängig von ihrer materiellen Wirksamkeit. Abgaben dürfen gem. § 2 Abs. 1 KAG Bbg nur aufgrund einer Satzung erhoben werden. War diese Satzung – wie es seinerzeit nach der Rechtsprechung der brandenburgischen VG häufig der Fall war – materiell unwirksam, musste nach Auffassung des OVG eine spätere (wirksame) Satzung auf den Zeitpunkt des Erlasses der ersten unwirksamen Satzung zurückwirken. Dies hatte zur Folge, dass die Beitragspflicht, die eine wirksame Satzung erforderte, in vielen Fällen nur für eine „juristische Sekunde“ entstand und wegen sofort eintretender rückwirkender Festsetzungsverjährung gleich wieder erlosch. Denn auch die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 12 Abs. 1 Nr. 4  b KAG Bbg i.V.m. § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO) begann danach mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem die Beitragspflicht (rückwirkend) entstanden war.

Dadurch war es den Aufgabenträgern in vielen Fällen von vornherein nicht möglich, Beiträge für die den Bürgern zugeflossenen Vorteile zu erlangen. Dem wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG Bbg entgegenwirken, die nunmehr eine rechtswirksame Satzung als Voraussetzung für das Entstehen der Beitragspflicht ausdrücklich vorsah.

Im Jahr 2015 entschied das BVerfG jedoch, dass die Anwendung der Neufassung des Gesetzes auf Fallgestaltungen, in denen unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des OVG zur früheren Fassung der Norm Verjährung bereits eingetreten sei, zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung führe.

Daraufhin erhoben die Kläger nach einem erfolglos gebliebenen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG Klage auf Schadensersatz in Höhe des geleisteten Beitrags nebst Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufungen des Beklagten und des auf seiner Seite dem Verfahren als Streithelfer beigetretenen Landes hat das OLG das Urteil des LG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat einen Anspruch der Kläger sowohl auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 StHG als auch gem. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG verneint. Das StHG sei nicht anwendbar, weil es nicht um einen Einzelfall rechtswidrigen Verwaltungshandelns gehe, sondern um legislatives Unrecht. Der Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB scheitere am fehlenden Verschulden der Amtsträger. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger.

Das Verfahren hat Pilotcharakter für zahlreiche noch anhängige Verfahren in Brandenburg.

Der III. Zivilsenat hat auf die Revision der Kläger das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Anders als die Instanzgerichte hat der III. Zivilsenat entschieden, dass der an die Kläger gerichtete Beitragsbescheid nicht deswegen rechtswidrig ist, weil die Beitragsforderung infolge Festsetzungsverjährung nicht mehr hätte geltend gemacht werden dürfen. Entgegen der Rechtsprechung des OVG Brandenburg setzte auch schon die alte Fassung von § 8 Abs. 7 S. 2 KAG Bbg für das Entstehen der Beitragspflicht und damit für den Beginn der Festsetzungsverjährung das Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung voraus. Dies hat im konkreten Fall zur Folge, dass der an die Kläger gerichtete Beitragsbescheid vom 15.11.2011 noch vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen war.

Anders als verschiedentlich geltend gemacht, ist der BGH an die Rechtsprechung des OVG Brandenburg zu § 8 Abs. 7 S. 2 KAG a.F. nicht gebunden, sondern hat eine eigenständige Auslegung dieser Norm vorzunehmen. Die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind im Schadensersatzprozess gegen die öffentliche Hand nur im Rahmen der Rechtskraftwirkung an verwaltungsgerichtliche Entscheidungen gebunden. Dies setzt grundsätzlich die Identität zwischen den Parteien des Verwaltungs- und des Zivilprozesses voraus, die hier fehlt.

Auch die eingangs erwähnte Entscheidung des BVerfG entfaltet insoweit keine Bindungswirkung. Ihr lag zwar die Auslegung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG Bbg a.F. durch das zuständige OVG zugrunde. Dessen Auslegung war aber aufgrund der Funktionsverteilung zwischen der Fachgerichtsbarkeit und dem BVerfG von diesem im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Rückwirkung der neugefassten Norm nicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Gerade für Konstellationen wie der vorliegenden hat das BVerfG entschieden, dass die spätere, insbesondere höchstrichterliche Auslegung durch die Fachgerichte – wie hier – ergeben kann, dass die in Rede stehende Norm (hier § 8 Abs. 7 S. 2 KAG Bbg a.F.) gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte, eine Rückwirkung der Neufassung der Vorschrift daher letztlich doch nicht vorliegt.

Die Auslegung von § 8 Abs. 7 S. 2 KAG a.F. durch den Senat ergibt sich nicht nur aus Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 7 S. KAG Bbg a.F. Im Gesetzgebungsverfahren zur ersten Fassung der Norm hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich an der wortgleichen Vorschrift im Landesrecht NRW orientiert. Nach der seinerzeitigen Auslegung dieser Norm durch die Rechtsprechung der nordrhein-westfälischen VG war es nicht zweifelhaft, dass das Entstehen der Beitragspflicht eine in formeller und materieller Hinsicht wirksame Satzung voraussetzte. Dementsprechend hat der Landesgesetzgeber in Brandenburg anlässlich der Neufassung des § 8 Abs. 7 KAG Bbg zutreffend „klargestellt“, dass er bereits bei Erlass der Vorgängernorm auch an die materielle Wirksamkeit der Beitragssatzung hat anknüpfen wollen.

Auch das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete verfassungsrechtliche Gebot der Beitragsklarheit und -vorhersehbarkeit gebietet keine abweichende Betrachtung. Vielmehr hält sich die Inanspruchnahme der Kläger in dem vom Landesgesetzgeber zur Umsetzung dieses Grundsatzes gem. § 19 Abs. 1 S. 1 KAG Bbg (i.d.F. des Sechsten Gesetzes zur Änderung des KAG Bbg) vorgegebenen Rahmen. Danach dürfen Anschlussbeiträge ungeachtet der Satzungslage nach Vollendung des 15. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage folgt, nicht mehr erhoben werden, wobei gem. § 19 Abs. 1 S. 3 KAG Bbg der Lauf der Frist bis zum 3.10.2000 gehemmt war, Beiträge damit erst ab dem 3.10.2015 nicht mehr festgesetzt werden durften.

Dies begegnet jedenfalls dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn Herstellungsbeiträge erst für nach der Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen erhoben werden. Dies wird durch die Vorschrift des § 18 S. 1 KAG Bbg sichergestellt.

Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung dieser Grundsätze noch zu klären haben, ob der Inanspruchnahme der Kläger § 18 KAG Bbg entgegenstand, mithin die mit dem Beitrag abzugeltenden Investitionen sich auf nach dem 3.10.1990 entstandenen Aufwand beziehen.

BGH, Urteil vom 27.6.2019  (III ZR 93/18)

Pressemitteilung des BGH vom 27.6.2019