BVerfG: Rechtsbegriffe sind nur eingeschränkt gegendarstellungsfähig

Für einen Gegendarstellungsanspruch muss der Aussagegehalt der zu beanstandenden Äußerung eindeutig bestimmbar sein. Enthält die zu beanstandende Äußerung einen Rechtsbegriff, darf das Fachgericht nicht das eigene Fachwissen zugrunde legen. Es hat vielmehr auf das Verständnis des durchschnittlichen Zeitungslesers abzustellen. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG entschieden und der Verfassungsbeschwerde eines Verlags stattgegeben, die sich gegen die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung wendete.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin verlegt eine überregionale Zeitung. Mit der Schlagzeile „B. EXKLUSIV Millionen-Gläubiger packt aus – B. verpfändete auch das Haus seiner Mutter!“ kündigte diese ein Interview mit einem ehemaligen Geschäftspartner von B. an. Das Interview war auf Seite 3 der Ausgabe abgedruckt. Aus dem Interview ging zutreffend hervor, dass B. unter anderem ein Hausgrundstück, auf dem seine Mutter wohnte, auf eine Sicherheitenliste hatte eintragen lassen. Diese Sicherheitenliste verschaffte seinem Darlehensgläubiger einen schuldrechtlichen Anspruch auf Eintragung eines Grundpfandrechts an den gelisteten Grundstücken, begründet aber kein Pfandrecht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Auf Antrag von B. erließ das LG eine einstweilige Verfügung. Danach wurde die Beschwerdeführerin zum Abdruck folgender Gegendarstellung verpflichtet: “… Hierzu stelle ich fest: Ich habe das Haus meiner Mutter nicht verpfändet. …“.

Auf den Widerspruch der Beschwerdeführerin bestätigte das LG die einstweilige Verfügung. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführerin verwarf das KG. Zur Begründung führt es aus, die beanstandete Äußerung stelle eine dem Beweis zugängliche Tatsacheninformation dar und sei damit gegendarstellungsfähig. Für einen durchschnittlichen Bürger bedeute der Begriff „verpfänden“, dass der bisherige Eigentümer nicht mehr über die Sache verfügen könne und der Gläubiger diese Sache gegebenenfalls berechtigterweise verwerten dürfe. Auf der Grundlage dieses Verständnisses sei der Begriff „verpfänden“ nicht gleichbedeutend mit der Formulierung „als Sicherheit stellen“. Die tatsächlich erfolgte, rein schuldrechtliche Verpflichtung zur Bestellung eines Grundpfandrechts werde aus Sicht des Lesers daher nicht zutreffend beschrieben.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, dass es sich bei der Schlagzeile um eine wertende Stellungnahme handle, gegen die keine Gegendarstellung zulässig sei. Bereits die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs „verpfänden“ sei diffus. Die vorgenommene Würdigung des Inhalts der Schlagzeile risse diese aus ihrem Kontext. Die Gegendarstellung, die sie abdrucken müsse, sei zudem unzulässig mehrdeutig, da sie unterschlage, dass B. tatsächlich eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Bestellung eines Grundpfandrechts eingegangen sei.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

Das Gericht hat bei der Titelschlagzeile zu Unrecht eine gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung angenommen. Eine Titelschlagzeile ist als solche isoliert gegendarstellungsfähig, wenn sie ohne Berücksichtigung des damit betitelten oder angekündigten Berichts in ihrem Kern eine gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung enthält. Lässt sich eine Titelschlagzeile unterschiedlich verstehen, muss zumindest die für die Gegendarstellung maßgebliche Tatsachenbehauptung eindeutig bestimmbar sein. Ansonsten wird nicht klar, gegen welche Äußerung sich die betroffene Person mit ihrer Gegendarstellung zur Wehr setzen möchte. Vorliegend ist eine für juristische Laien eindeutig bestimmbare Tatsachenbehauptung nicht erkennbar. Es ist nicht auszuschließen, dass der in der Schlagzeile verwendete Begriff der „Verpfändung“ von einem durchschnittlichen Zeitungsleser auch als Beschreibung einer schuldrechtlichen Sicherungsbestellung verstanden werden kann. In einem solchen Fall dürfen die Fachgerichte nicht auf ihr eigenes juristisches Begriffsverständnis zurückgreifen, sondern müssen das Verständnis eines Laien zugrunde legen.

Auch der Inhalt der zugesprochenen Gegendarstellung ist zu beanstanden. Die als Gegendarstellung abgedruckte Erklärung “[…] Hierzu stelle ich fest: Ich habe das Haus meiner Mutter nicht verpfändet. […]“ ist ihrerseits interpretationsbedürftig und stellt eine bloße Negation der Titelschlagzeile dar. Ein verfassungsrechtlich zulässiger Gegendarstellungsanspruch muss jedoch der tatsächlichen Gegendarstellung und nicht der bloßen Gegenbehauptung oder Richtigstellung unvertretbarer Rechtsbehauptungen dienen.

BVerfG, Beschluss vom 20.11.2018 (1 BvR 2716/17)

(Pressemitteilung des BVerfG Nr. 88 vom 19.12. 2018)