EuGH-Generalanwalt: Der Haftpflichtversicherungsschutz der PIP, einer Herstellerin von Brustimplantaten, konnte wirksam auf Frauen beschränkt werden, die in Frankreich operiert wurden

Das Unionsrecht stehe bei seinem gegenwärtigen Stand der Beschränkung des Haftpflichtversicherungsschutzes für Medizinprodukte auf das Hoheitsgebiet Frankreichs nicht entgegen.

Im Jahr 2006 wurden einer deutschen Patientin in Deutschland fehlerhafte Brustimplantate eingesetzt, die von der Poly Implant Prothèse SA (im Folgenden: PIP), einem inzwischen insolventen französischen Unternehmen, hergestellt wurden. Die Implantate waren nicht mit medizinischem Silikon, sondern mit nicht zugelassenem Industriesilikon gefüllt. Die Patientin klagt vor deutschen Gerichten gegen die französische Versicherungsgesellschaft Allianz IARD, bei der PIP die in Frankreich obligatorische Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, auf Schadensersatz. Der Versicherungsvertrag enthält allerdings eine Gebietsklausel, die den Versicherungsschutz ausschließlich auf in Frankreich begründete Schäden beschränkt (darüber hinaus sah der Vertrag vor, dass sich im Fall von Serienschäden die Deckungshöchstsumme auf 3.000.000 Euro pro Schadensfall und 10.000.000 Euro pro Versicherungsjahr beläuft). Daher sind PIP-Implantate, die in einen anderen Mitgliedstaat exportiert und dort eingesetzt wurden, nicht vom Versicherungsvertrag erfasst.

Vor diesem Hintergrund möchte das OLG Frankfurt/M. (Deutschland) (OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 11.9.2018 – 8 U 27/17 – VersR 2018, 1437) wissen, ob es mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vereinbar ist, dass PIP bei der Allianz nur für Schäden versichert war, die durch ihre Implantate in Frankreich begründet wurden.

In seinen Schlussanträgen vom heutigen Tag führt Generalanwalt Michal Bobek aus, dass der vorliegende Fall in den Geltungsbereich des Unionsrechts falle. Insbesondere seien die Medizinprodukte, durch die der Schaden der Patientin begründet sein solle, unionsweit vertrieben worden. Der Schaden sei somit gewissermaßen eine Folge des Warenverkehrs innerhalb der Union gewesen. Dass die Patientin nicht von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, sei für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts irrelevant.

Generalanwalt Bobek prüft zunächst, welche unionsrechtlichen Vorschriften auf die Rechtssache Anwendung finden könnten. Er weist darauf hin, dass das Sekundärrecht der Union keine besonderen Bestimmungen über die Haftpflichtversicherung für Schäden enthalte, die dem Endverbraucher von Medizinprodukten zugefügt würden. Die Richtlinie 85/374 über die Produkthaftung (Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte [ABl. 1985, L 210, S. 29]) sehe zwar eine strenge Haftungsregelung für Hersteller vor, enthalte aber keine Vorschriften über eine Pflichtversicherung. Die Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte (Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.6.1993 über Medizinprodukte [ABl. 1993, L 169, S. 1]) wiederum verlange nur von benannten Stellen den Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Für Hersteller gelte diese Pflicht nicht.

Nach Auffassung des Generalanwalts erfassen die Bestimmungen über den freien Verkehr nationale Vorschriften, die die Ein- oder Ausfuhr von Waren in einen oder aus einem Mitgliedstaat behinderten. Sie regelten jedoch nicht den späteren Ge- oder Verbrauch von Waren nach deren Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat. Sobald sich die Waren in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befänden, müssten sie den Vorschriften entsprechen, die dieser Mitgliedstaat in Ausübung seiner Regelungshoheit erlassen habe. Der Umstand, dass in diesem Fall die Versicherung nicht mit den Waren nach Deutschland „reise“, obwohl sie in Frankreich für den späteren Gebrauch dieser Waren im Inland verpflichtend sei, werde von den Bestimmungen über den freien Warenverkehr nicht erfasst.

In Bezug auf Art. 18 AEUV führt Generalanwalt Bobek sodann aus, dass dieser Artikel nicht als eine eigenständige Bestimmung verstanden werden könne, die durchsetzbare Verpflichtungen begründen könne, die noch nicht in einer der vier Grundfreiheiten oder in einer anderen unionsrechtlichen Maßnahme speziell vorgesehen seien. Insbesondere würde Art. 18 AEUV durch eine solche Auslegung zu einer unbegrenzten Harmonisierungsvorschrift, was eine Störung der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zur Folge hätte. Das Grundprinzip für die Regulierung des Binnenmarkts sei die Wahrung der Regelungsvielfalt in den durch das Unionsrecht nicht ausdrücklich harmonisierten Bereichen.

In der heutigen vernetzten Welt ergebe sich früher oder später zwangsläufig eine gewisse Interaktion zwischen Waren, Dienstleistungen oder Personen aus anderen Mitgliedstaaten. Dass Waren ursprünglich aus einem anderen Mitgliedstaat stammten, stelle keinen hinreichenden Grund für die Annahme dar, dass jede spätere streitige Angelegenheit in Bezug auf diese Waren in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Würde dies für eine eigenständige Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV ausreichen, würde jede beliebige Bestimmung eines Mitgliedstaats von dieser Vorschrift erfasst.

Dies hätte nicht nur zur Folge, dass jede Gebietsbezogenheit der Geltung von Gesetzen verdrängt würde, sondern würde auch zu Widersprüchen zwischen den Regelungssystemen der Mitgliedstaaten führen. Durch eine erweiternde Auslegung von Art. 18 AEUV könnten die Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats potenziell Geltung in ein und demselben Hoheitsgebiet erlangen, ohne dass es klare objektive Kriterien dafür gäbe, welchen Rechtsvorschriften in einem konkreten Streitfall Vorrang einzuräumen wäre, wobei die zu Schaden gekommene Person die Möglichkeit hätte, das für sie günstigste Recht zu wählen.

In Ermangelung einer Harmonisierung sei es daher Sache der Mitgliedstaaten, die Versicherung für die in ihrem Hoheitsgebiet verwendeten Medizinprodukte zu regeln, auch wenn diese Produkte aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt seien (Der Generalanwalt verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtssache Schmitt, die die Haftung benannter Stellen gegenüber Patientinnen betraf, denen fehlerhafte Brustimplantate eingesetzt wurden. Der Gerichtshof hat entschieden, dass es Sache des nationalen Rechts ist, die entsprechenden Haftungsvoraussetzungen zu regeln (Urteil vom 16.2.2017, Schmitt, C-219/15, EU:C:2017:128 = VersR 2017, 496; vgl. auch Pressemitteilung Nr. 14/17). Frankreich habe sich mit Recht dafür entscheiden können, ein höheres Schutzniveau für Patientinnen und Nutzerinnen von Medizinprodukten dadurch einzuführen, dass im eigenen Hoheitsgebiet günstigere Versicherungsverträge gelten.

Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-581/18 (RB / TÜV Rheinland LGA Products und Allianz IARD)

Pressemitteilung Nr. 13/20 des EuGH vom 6.2.2020