Die Einwilligung einer Patientin in eine Operation mit einer neuen, noch nicht allgemein eingeführten Methode (Neulandmethode) ist unwirksam, wenn die Patientin nicht besonders darauf hingewiesen wird, dass es sich um ein neues Verfahren handelt, bei dem auch unbekannte Risiken auftreten können. Die mit einer unwirksamen Einwilligung vorgenommene Operation ist rechtswidrig und kann Schadensersatzansprüche der Patientin begründen. Das hat der 26. Zivilsenat des OLG Hamm entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Siegen bestätigt.
Die heute 62 Jahre alte Kl. begab sich im April 2008 in ein Krankenhaus in Siegen, dessen Träger die Bekl. ist. Sie stellte sich wegen einer Belastungsharninkontinenz in der urodynamischen Sprechstunde vor. Der Kl. wurde nach Diagnosestellung das operative Einbringen eines Netzes vorgeschlagen. Hierbei handelte es sich um eine im Jahr 2008 nicht allgemein eingeführte, sogenannte Neulandmethode. Nach einem weiteren ärztlichen Aufklärungsgespräch stimmte die Kl. dem neuen Operationsverfahren zu. Der operative Eingriff erfolgte noch im April 2008. In der Folgezeit litt die Kl. an einer Dyspareunie und einer restlichen Harninkontinenz. Bis zum April 2009 unterzog sie sich fünf weiteren Operationen, bei denen weite Teile des Netzgewebes entfernt wurden. Danach verblieben persistierende Schmerzempfindungen.
Unter anderem mit der Begründung, unzureichend über alternative Behandlungsmethoden und Risiken der Neulandmethode aufgeklärt worden zu sein, hat die Kl. von der Bekl. Schadensersatz verlangt, insbesondere ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 Euro.
Nach dem Einholen eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens hat das LG der Klage teilweise stattgegeben und der Kl. ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 Euro zugesprochen. Die Berufung der Bekl. gegen die erstinstanzliche Verurteilung ist erfolglos geblieben.
Der 26. Zivilsenat des OLG Hamm hat den gynäkologischen Sachverständigen erneut angehört und über die mit der Kl. vor der Operation geführten ärztlichen Aufklärungsgespräche Beweis erhoben.
Der im Hause der Bekl. im April 2008 durchgeführte operative Eingriff sei rechtswidrig, so der Senat, und verpflichte die Bekl. zum Schadensersatz. Er sei nicht von einer wirksamen Einwilligung der Kl. gedeckt gewesen, weil diese zuvor fehlerhaft über die unzureichende Erfahrung mit den möglichen Folgen des neuen Operationsverfahrens aufgeklärt worden sei.
Zwar sei die Kl. neben der Neulandmethode auch über ein standardisiertes, klassisches Operationsverfahren aufgeklärt worden. Ihre Aufklärung über die Neulandmethode sei allerdings unzureichend gewesen, weil die Kl. nicht in hinreichender Weise auf die seinerzeit noch nicht abschließend bekannten Risiken der neuen Methode hingewiesen worden sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe das neue Verfahren im Jahr 2008 zwar als erfolgversprechender als die bisherige, klassische Methode gegolten. Allerdings habe es im Jahr 2008 in Deutschland noch keine belastbaren Informationen über konkrete Risiken der angewandten neuen Methode gegeben. Die klinische Erprobungsphase des seit dem Jahre 2005 zunächst in den USA eingesetzten Verfahrens sei noch nicht abgeschlossen gewesen. So sei auch noch nicht bekannt gewesen, dass das Einsetzen eines Netzes im Beckenbodenbereich massive gesundheitliche Probleme nach sich ziehen könne. Bei dieser Sachlage habe die Kl. explizit darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich um ein neues, noch nicht abschließend beurteilbares Verfahren handele. Ihr hätte ausdrücklich verdeutlicht werden müssen, dass auch unbekannte Komplikationen auftreten könnten. Als Patientin habe sie in die Lage versetzt werden müssen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob sie sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen wolle oder nach der neuen Methode unter Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren. Diesen gesteigerten Anforderungen habe die Aufklärung im Hause der Bekl. nicht genügt.
OLG Hamm, Urteil vom 23.1.2018 (26 U 76/17)
(Pressemitteilung des OLG Hamm vom 20.2.2018)