Ein Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Transplantationsgesetz (TPG) bewirkt nicht automatisch, dass die Einwilligung des Organspenders zur Lebendspende unwirksam und die Organentnahme ein rechtswidriger Eingriff ist. Das hat der 3. Zivilsenat des OLG Hamm am 7.9.2016 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des LG Essen bestätigt.
Die im Jahr 1967 geborene Klägerin aus Dortmund, von Beruf Arzthelferin, entschied sich im Jahr 2008 dazu, ihrem unter einer unheilbaren Nierenschädigung leidenden Vater eine Niere zu spenden. Sie erhielt daraufhin eine schriftliche Patienteninformation zur Nierenlebendspende. In der Folgezeit wurde ihre Spenderfähigkeit ärztlich geprüft. Im Januar 2009 befasste sich die Kommission Transplantationsmedizin der Ärztekammer Nordrhein mit dem Fall und fand keine Anhaltspunkte für eine unfreiwillige Organspende. Ende Januar 2009 fand unter Beteiligung von Ärzten des – von der Klägerin später – beklagten Klinikums in Essen das in § 8 Abs. 2 TPG vorgesehenen Aufklärungsgespräch statt. Am Tag vor der Nierenentnahme im Februar 2009 wurde die Klägerin von einer weiteren Ärztin des Klinikums über den Eingriff aufgeklärt. Im Mai 2014 verlor der Vater der Klägerin die ihm 2009 transplantierte Niere.
Die Klägerin hat vom beklagten Klinikum und von den mit der Organspende befassten Ärzten des Klinikums Schadensersatz verlangt, u. a. ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro. Sie hat behauptet, infolge der Spende an einem Erschöpfungssyndrom und einer Niereninsuffizienz zu leiden. Ihre Nierenlebendspende sei kontraindiziert gewesen. Über die Folgen der Spende sei sie zudem nicht ausreichend aufgeklärt worden, den in § 8 Abs. 2 TPG geregelten formalen Anforderungen an das vorgeschriebene Aufklärungsgespräch sei nicht genügt worden.
Die Schadensersatzklage der Klägerin ist erfolglos geblieben. Nach der Anhörung eines medizinischen Sachverständigen konnte der 3. Zivilsenat des OLG Hamm die Voraussetzungen der von der Klägerin geltend gemachten zivilrechtlichen Haftung der Beklagten nicht feststellen.
Die Lebendnierenspende der Klägerin sei nicht kontraindiziert gewesen, sodass dieser von der Klägerin in der Berufungsinstanz noch gerügte Behandlungsfehler nicht vorliege.
Auch die von der Klägerin erhobenen Aufklärungsrügen griffen im Ergebnis nicht durch.
Es sei zwar richtig, dass die Beklagten den formellen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 TPG (in der seinerzeit geltenden Gesetzesfassung aus dem Jahr 2007) nicht genügt hätten, weil keine den inhaltlichen Anforderungen genügende und auch ärztlicherseits unterschriebene Niederschrift zu dem Aufklärungsgespräch existiere. Zudem sei fraglich, ob der an dem Gespräch beteiligte, federführende Nephrologe des beklagten Klinikums als Arzt im Sinne der gesetzlichen Vorschrift angesehen werden könne, der weder an der Organentnahme noch an der Organübertragung beteiligt sei. Allerdings führe der Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 TPG nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs bzw. zur Unwirksamkeit der Einwilligung des Spenders in die Organentnahme. Die in der Vorschrift niedergelegten allgemeinen Verfahrensregelungen seien Ordnungsvorschriften, sie regelten nicht die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung des Spenders in eine einzelne Lebendorganspende. Deswegen werde eine Organentnahme nicht bereits deswegen rechtswidrig, wenn die verfahrensregelnden Vorschriften des § 8 Abs. 2 TPG verletzt seien.
Eine Haftung der Beklagten folge auch nicht aus einer inhaltlich unzureichenden Aufklärung der Klägerin über die mit einer Lebendnierenspende verbundenen Folgen und Risiken. Die Klägerin sei insoweit zwar nicht ausreichend aufgeklärt worden. Dieses Defizit sei im vorliegenden Fall allerdings haftungsrechtlich irrelevant, weil der von den Beklagten erhobene Einwand einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin durchgreife. Eine hypothetische Einwilligung könne auch eine Lebendorganspende rechtfertigen, wobei der Spender – im Unterschied zu einem Patienten bei einem Heileingriff – keinen Entscheidungskonflikt geltend machen müsse, um diesen Einwand auszuschließen. Es genüge, wenn ein Spender plausibel darlege, dass er in seiner persönlichen Situation im Fall einer hinreichenden Aufklärung von einer Organspende abgesehen hätte. Im vorliegenden Fall sei das der Klägerin – auch bei ihrer erneuten Anhörung durch den Senat – nicht gelungen. Sie habe sich zur Lebendnierenspende entschlossen, weil sie den Tod ihres Vaters gefürchtet habe bzw. ihm eine Dialysepflicht habe ersparen wollen. Ihre Einwilligung habe sie in Kenntnis einiger – von ihr als Arzthelferin – durchaus als gravierend eingeschätzter, unter Umständen auch die Lebensqualität erheblich einschränkender Risiken erteilt. Deswegen sei davon auszugehen, dass sie sich auch bei einer ausreichenden Aufklärung zur Spende entschlossen hätte.
OLG Hamm vom 7. 9. 2016 (3 U 6/16) (rechtskräftig)
Pressemitteilung des OLG Hamm vom 28. 10. 2016