VersR BLOG: Vorenthaltung der AVB als Transparenzmangel? Neues vom EuGH zur Gruppenversicherung

Der EuGH ist bekanntlich bisweilen für eine Überraschung gut. Unlängst hat sich erneut mit der Gruppenversicherung beschäftigt. Man hat noch die Qualifikation der „Gruppenspitze“ als Vertreiber von Versicherungsleistungen vor Augen (EuGH v. 29.9.2022 – C-633/20, VersR 2022, 1372; s. auch VersR BLOG vom 22.3.2022 zu einem vorangegangenen Urteil), und schon geht es um das nächste große Thema, nämlich das AGB-Recht. Das Gericht nimmt in seinem Urteil vom 20.4.2023 (C-263/22, BeckRS 2023, 7663) einen bemerkenswerten Erst-recht-Schluss vor: Wenn schon mangelnde Klarheit oder Verständlichkeit einer Klausel bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit zu berücksichtigen sei, so gelte dies erst recht für den Fall, dass der Verbraucher die Klausel gar nicht habe zur Kenntnis nehmen können (Rz. 41). Diese Schlussfolgerung erstaunt, unterscheidet doch die Klauselrichtlinie – und ihr folgend der deutsche Gesetzgeber in den §§ 305 ff. BGB – klar zwischen Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle. Fehlt es an der zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme, so werden die AVB nach § 305 Abs. 2 BGB nicht Vertragsbestandteil; sind sie hingegen intransparent, so kann die – stets eine Gesamtwürdigung erfordernde – Transparenzkontrolle gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zur Unwirksamkeit führen. Tertium non datur. Allenfalls mag man darüber streiten, unter welchen Voraussetzungen eine Klausel derart kryptisch formuliert ist, dass sie bereits als nicht wirksam in den Vertrag einbezogen zu behandeln ist. Aber mangelnde Verfügbarmachung als Verstoß gegen das Transparenzgebot? Das klingt gewagt.

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Versicherungsnehmer als Vermittler? – Neues vom EuGH zur Gruppenversicherung

Ein aktuelles Urteil des EuGH lenkt den Blick auf die vieldiskutierte Frage, inwiefern der Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung zugleich als Versicherungsvermittler anzusehen ist. Bislang herrscht in Deutschland die Ansicht vor, dass bei der echten Gruppenversicherung, bei der die „Gruppenspitze“ Versicherungsnehmerin des mit dem Versicherer geschlossenen Gruppenvertrags ist und die Beitretenden die Stellung von Versicherten haben, der Versicherungsnehmer grundsätzlich kein Vermittler ist. Freilich hat der BGH (VersR 2021, 116) im Jahr 2020 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob diese Sichtweise mit den europarechtlichen Vorgaben der Vermittlerrichtlinie (IMD) und der Vertriebsrichtlinie (IDD) vereinbar ist. Zugrunde lag die Unterlassungsklage eines Verbraucherverbands, der die Tätigkeit des Versicherungsnehmers einer Gruppen-Rückholkostenversicherung wegen fehlender Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung nach § 34d Abs. 1 S. 1 GewO wettbewerbsrechtlich beanstandete. Weiterlesen…

Gruppenversicherung: wirtschaftsmächtig, aber rechtsdefizitär

Gruppenversicherungen sind wirtschaftlich sehr bedeutsam. In der betrieblichen Altersversorgung werden in Deutschland ca. 30 % der Lebensversicherungen als Gruppenversicherung abgeschlossen. Hinzu kommen Gruppen-Krankenversicherungen von Arbeitgebern für Arbeitnehmer, Gruppenversicherungen von (Berufs-)Verbänden und Gewerkschaften für ihre Mitglieder, von Banken für Kreditnehmer (Restschuldversicherung), von Vereinen für Vereinsmitglieder, von Veranstaltern für Veranstaltungsteilnehmer etc. Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Bedeutung steht eine gesetzgeberische Nichtbeachtung oder jedenfalls grobe Vernachlässigung der Gruppenversicherung.

Das gesetzgeberische Stückwerk – unlängst durch § 7d VVG über Gruppen-Restschuldversicherungen angereichert, aber keineswegs verbessert – ist in rechtssystematischer Hinsicht, vor allem aber unter dem Aspekt des Versichertenschutzes (als personell erweiterten Verbraucherschutz des VVG) in hohem Maße misslich. Die bestehende Rechtsunsicherheit – bereits über die Strukturen im Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Gruppenspitze als Versicherungsnehmer und Gruppenmitglied als versicherter Person – erschwert den Rechtsschutz und führt zu mancher ergebnisbedenklichen Gerichtsentscheidung. Weiterlesen…