VersR BLOG: Jurastudium kann sich (doch) lohnen – Der „Kevin de Bruyne“ unter den englischen Advokaten

So manch einer macht sich bei der Berufswahl vielleicht Sorgen, dass es mit einer juristischen Kariere zu Ende gehen könnte, bevor sie überhaupt angefangen hat. LegalBots erledigen die Arbeit, Microsofts ChatGPT fertigt die Schriftsätze (und vorher die Examens- und Doktorarbeiten), Googles BARD kann das auch bald, Big Data erfasst die KI ohnehin sehr viel schneller als der Mensch, das gilt für die wissenschaftliche Recherche genauso wie für die Sachverhaltserfassung. Die Problematik von Massenklagen (die Registrierung der Massen, die Verteilung des Schadensersatzes, die ja viele tausend Anwaltsstunden verbrauchen kann, wenn man das nicht digital löst), die Erfassung und Auswertung von Großschäden, das Underwriting inklusive Preisfindung, alles das wird der Computer besser können als sein menschlicher Kollege. Der D&O-Anbieter VOV hat jetzt (s. Versicherungswirtschaft HEUTE vom 8.2.2023) einen vielleicht faustischen Pakt mit dem sog. Legal Tech Eagle Lsp (hinter dem sich nichts anderes verbirgt als ausgerechnet eine Anwalts-GmbH) geschlossen; man will mithilfe von sog. Data Analytics zu „datenbasierten Entscheidungsfindungen“ kommen, die Bearbeitung von über 3.000 Schäden im Rahmen technologiegestützter Business Intelligence optimieren, mit eDiscovery die Tatbestände effizient analysieren etc.

So weit, so erratisch. Aber dass sich die digitalen Systeme nutzbar einsetzen lassen werden, daran kann ja kein Zweifel bestehen. Legal Tech 1.0 hat sich ja allenthalben schon durchgesetzt (Dokumentenverwaltung), Legal Tech 2.0 ist vielfach bereits im Einsatz (automatisierte Dienstleistungen) und Legal Tech 3.0 (z.B. smart contracts) ist auf dem Vormarsch. Schon jetzt lesen ja selbst die digitalen Paläolithiker alle Entscheidungen und Kommentare eher in den Online-Netzwerken als dass sie den Weg in die Bibliothek antreten. So wie ja auch VersR ONLINE (unter versr.de) Arbeitshilfen anbietet, wie diesen VersR BLOG hier oder – seit Januar 2023 – den monatlichen VersR REPORT über die verschiedenen Versicherungssparten. Na gut, also kein Jurastudium. Und keine Referendarzeit. Und keine mühsame Besteigung der Karriereleiter mit höchst ungewissem Ausgang. Oder doch? Man kann ja Lord Pannick KC nacheifern, dem in jeder Hinsicht vielseitigen Anwalt der Barristerkanzlei Blackrock Chambers, der sowohl für Boris Johnson aktiv war (bei dessen am Ende vergeblichen Kampf in der Partygate Affaire) als auch gegen ihn, als er im Auftrag der Unternehmerin Gina Miller Johnson‘s Prorogation of Parliament beim Supreme Court gestoppt hat. Lebhaft in Erinnerung ist nicht nur die lebhafte Kritik an dieser Einmischung der Justiz in die Politik, sondern auch die TV-Lifeübertragung der mündlichen Verhandlung, jedenfalls die riesige silberne Spinne, die wie eine Botschaft an ihre Kritiker die Brust der Vorsitzenden Richterin Baroness Hale of Richmond zierte. „The Lawyer“ hat Lord Pannick jetzt als den Kevin de Bruyne der britischen Advokatur identifiziert. Wohl auch wegen beider Raffinesse im Umgang mit komplexen Spielsituationen/Sachverhalten, wegen ihrer Übersicht auf dem Spielfeld/im Gerichtssaal und ihrer Fähigkeit, den tödlichen Pass zu spielen/das ausschlaggebende Argument zu finden. Vor allem aber wegen ihrer Einnahmen. Kevin verdient 400.000 £, in der Woche wohlgemerkt, und Lord Pannick KC verlangt bis zu 10.000 £, pro Stunde versteht sich, 800.000 £ briefing fee nicht inkludiert. Da kommt man schnell auf vergleichbare Summen. Der Vergleich bot sich an, denn Pannick und seine Blackrock-Kollegen haben jetzt den Fall von de Bruynes Arbeitgeber übernommen, dem Premier League-Verein Man City, dem insgesamt 115 Verstöße gegen das Gebot des Financial Fair Plays vorgeworfen werden. Sheikh Mansour bin Zayed al-Nahyan, der Inhaber von Man City, hat schon angekündigt, eher „£30m on the 50 best lawyers“ auszugeben als eine Bestrafung seines Klubs zu akzeptieren. Also, goldene Aussichten. Wenn man Fußball kann. Oder Jura.