Der Vorsitzende Richter hatte es auf den Punkt gebracht: „Der Gendergap muss weg“, so wurde das Petitum des VW-Mitarbeiters Alexander B. gegen die Fa. Audi auf die einfachst mögliche Weise zusammengefasst. Dieser klagt gegen Audi vor dem LG Ingolstadt gegen die Belästigung durch inklusive Sätze wie „Der_die BSM-Expert_in ist qualifizie_r Fachexpert_in … .“ (83 O 1394/21). Ein Urteil ist am 29.7.2022 gefällt worden und es ist gegen den Kläger ausgefallen, obwohl die Kammer einen von der Stimme der Vernunft getragenen Einigungsvorschlag („dann schreiben Sie ihm doch halt normal“) unterbreitet hatte, der auf ein anderes Ergebnis hoffen ließ.
Unabhängig davon, dass die Autokorrektur von word derartige Unsinnigkeiten wie den oben zitierten Audi-Satz rot anstreicht (was gemeinhin Anlass zu Kontrolle und Verbesserung ist), hatten wir an dieser Stelle auch schon auf die Problematik hingewiesen (VersR BLOG v. 21.12.2021: „In the Bubble – Wie die Rechtssprache gegendert wird“). Aber die jetzt in Ingolstadt verhandelte Klage, die u.a. vom „Verein Deutsche Sprache“ unterstützt wird, war soweit ersichtlich der erste Fall, in dem das Gendern zur gerichtlichen Disposition gestellt wurde. Was erstaunlich ist, wo doch zum Beispiel in unseren öffentlich-rechtlichen und mithin beitragsfinanzierten Rundfunk- und Fernsehanstalten wie auch in den steuerfinanzierten Verwaltungen in selbstinduzierter Trance gegendert wird, was das Zeug hält, ganz offensichtlich, um das unmündige Publikum auf den rechten linken Weg zu bringen. Ist das nicht so erstaunlich (wenn man bedenkt, dass unter den Volontären beispielsweise des WDR nur 0,7 % CDU-Wähler sind (oder so ähnlich, jedenfalls im kaum mehr messbaren Bereich), wundert man sich aber doch, dass kein Verwaltungs-, Bei- oder Aufsichtsrat Anlass zum Eingreifen sieht, ganz zu schweigen von der Politik, die in permanenter Wiederwahlsorge Angst vor der kleinen, aber militanten Minderheit der Genderaktivisten hat. Dabei könnte man durchaus auf die Wählervernunft vertrauen. Der „Verein Deutsche Sprache“ weist auf seiner Homepage auf eine Umfrage von „Galileo“ hin, nach der geschlechts- und schichtenneutral 86 % der Bevölkerung das Gendern ablehnen. Aber die sind nicht wichtig; meinungsbildend sind solche mit an sich besonnen Menschen bestückten Gremien wie die „Kölner Juristische Gesellschaft“, die glaubt, sich in einer Einladung zu einem Vortrag des Bundesjustizministers an „die Expert:innen“ wenden zu müssen. Aber vielleicht (hoffentlich) war es ja nur die beauftragte „Eventagentur“.
Das Ingolstädter Gericht sah sich aber nicht dem Volkswillen oder gar dessen mehr oder weniger gesunden Empfinden unterworfen, sondern dem in strikter Neutralität anzuwendenden Recht. Die Rechtskraft des Urteils vorausgesetzt lohnt sich ein Ausblick auf die Genderzukunft. Sicher ist, dass die Aktivisten jetzt den zwingenden Schluss ziehen werden, dass gendern nicht nur nicht ver-, sondern von Rechts wegen sogar geboten ist. Aber wie würde sich ein solches Gebot auf unseren Alltag auswirken? Auf die Öffentlich-rechtlichen gar nicht, die tun das ja schon ungefragt und ungebeten von sich aus („Goldene Bär*Innen-Gewinner*Innen“ [Kulturzeit auf Arte]).
Die Assekuranz hat da noch Nachholbedarf. Die hoffnungslos anachronistische Fassung des § 1 VVG lautet derzeit noch:
„Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls zu erbringen hat. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.“
Selbst wenn man nicht personenbezogene Wörter wie „Vertrag“, „Leistung“ oder „Prämie“ einmal ausklammert, ist ja die Frage, ob das Gendern – sei es durch ein Gendersternchen (*) oder durch einen Binnenstrich (–) oder durch Unterstreichung (_) – auch für Rechtspersonen gilt, also für „den Versicherer“. Berücksichtigt man, dass fast alle Versicherer weiblichen Geschlechts sind – von der Aktiengesellschaft bildet nur der VVaG eine Ausnahme – sollte man hier zu einer positiven, also genderverpflichtenden Auffassung gelangen. § 1 VVG hieße dann:
„Der_die Versicherer_in verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des_r Versicherungsnehmer_in_s oder eines_r Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er_sie bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls zu erbringen hat. Der_die Versicherungsnehmer_in ist verpflichtet, an den_die Versicherer_in die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.“
Und das ist nur der Anfang. Das gesamte VVG muss gegendert werden. Ganz zu schweigen von AVB. Aber noch besteht Hoffnung: Alexander B. hat Berufung eingelegt.