OLG Hamm: Baulast ist nicht gleich Baulast

Vereinbaren Nachbarn, dass der eine Nachbar auf seinem Grundstück eine „Baulast“ für den Bau einer Windkraftanlage auf dem Grundstück des anderen Nachbarn übernehmen soll, ist die Vereinbarung unwirksam, wenn die Nachbarn den Begriff der „Baulast“ unterschiedlich verstanden haben und die Auslegung ihrer Erklärungen auf kein gemeinsames Verständnis schließen lässt. Das hat der 10. Zivilsenat – Senat für Landwirtschaftssachen – des OLG Hamm am 16.5.2017 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des AG – Landwirtschaftsgericht – Brilon bestätigt.

Tatbestand:

Beide Parteien stammen aus Marsberg. Der Kl., Architekt, beteiligt sich an der Projektierung von Windkraftanlagen. Der Bekl., Landwirt, ist Eigentümer von landwirtschaftlichen Flächen in Meerhof.

Zwecks Errichtung einer Windkraftanlage erwarb der Kl. im Jahr 2012 benachbarte Grundstücke zum Grundbesitz des Bekl. Der Kl. plante eine Windkraftanlage, die den bauordnungsrechtlich vorgeschriebenen Abstand zum Grundstück des Bekl. nicht einhalten sollte. Aus diesem Grund benötigte der Kl. zur Erlangung der – bauordnungsrechtliche Belange einschließenden – Genehmigung nach dem BImSchG (jedenfalls) die Bewilligung einer öffentlich-rechtlichen Abstandsflächenbaulast durch den Bekl. Nach der Planung des Kl. sollten die Rotorblätter seiner Windkraftanlage außerdem über das Grundstück des Bekl. streichen. Aus diesem Grund verlangte die zuständige Behörde, eine – über eine Abstandsflächenbaulast – hinausgehende Vereinigungsbaulast auf dem Grundstück des Bekl. einzutragen. Nur mit einer solchen Baulast hätte der Kl. die erforderliche Genehmigung erhalten können, weil er dann – aus bauordnungsrechtlicher Sicht – zur Errichtung seiner Windkraftanlage beide Grundstücke in Anspruch nehmen konnte.

Die Parteien streiten darüber, ob dem Bekl. der zuletzt genannte Umstand der überstreifenden Rotorblätter bekannt war, als er mit dem Kl. im Juni 2012 die Übernahme einer – im Vertrag nicht näher umschriebenen – „Baulast“ auf seinem Grundstück für den Bau der Windkraftanlage durch den Kl. vereinbarte. Zur Bestellung der erforderlichen Vereinigungsbaulast durch den Bekl. kam es in der Folgezeit nicht, u.a. deswegen, weil sich der Bekl. vor dem Vertragsschluss mit dem Kl. gegenüber einer anderen Gesellschaft verpflichtet hatte, dieser die Errichtung einer Windkraftanlage auf seinem Grundstück zu ermöglichen.

Die von ihm geplante Windkraftanlage konnte der Kl. mangels erteilter Genehmigung nicht errichten. Hierfür macht er den Bekl. verantwortlich, weil dieser die Vereinigungsbaulast nicht bewilligt habe. Den Bekl. nimmt er auf Schadensersatz für den ihm, dem Kl., entgangenen Gewinn in Anspruch, den er auf ca. 515.000 Euro beziffert. Der Bekl. meint, dem Kl. in dem im Juni 2012 abgeschlossenen Vertrag allenfalls die Bewilligung eine Abstandsflächenbaulast, nicht aber die einer Vereinigungsbaulast zugesagt zu haben, und deswegen keinen Schadensersatz zu schulden.

Nach der Entscheidung des 10. Zivilsenats des OLG Hamm ist das Schadensersatzbegehren des Kl. erfolglos geblieben. Dem Kl. stehe gegen den Bekl., so der Senat, kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Weigerung des Bekl. zu, die Eintragung einer Vereinigungsbaulast für das Bauvorhaben des Kl. zu bewilligen.

Aus den Gründen:

Es fehle bereits an einer vertraglichen Verpflichtung des Bekl., dem Kl. für sein Bauvorhaben eine solche Baulast zu bewilligen. Eine solche Verpflichtung werde durch den im Juni 2012 abgeschlossenen Vertrag der Parteien nicht begründet. Äußerlich übereinstimmend hätten die Parteien in dem Vertrag zwar vereinbart, dass der Bekl. dem Kl. die Eintragung einer „Baulast“ auf seinem Grundstück bewillige. Dabei hätten die Parteien der Bezeichnung „Baulast“ allerdings eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen, so dass der Vertrag einen versteckten Einigungsmangel (Dissens) aufweise. Das ergebe die Auslegung der Vertragserklärungen der Parteien.

Der Begriff der „Baulast“ sei objektiv mehrdeutig. Von den Parteien sei er beim Vertragsschluss unterschiedlich verstanden worden. Der Kl. habe den Begriff in dem Sinn verstanden, dass ihm der Bekl. die Baulast einräume, die er, der Kl., für sein Bauvorhaben benötige. Das schließe die Bewilligung einer Vereinigungsbaulast ein. Demgegenüber habe der Bekl. die Vorstellung gehabt, dass lediglich eine Abstandsflächenbaulast gemeint sei. Dafür, dass der Bekl. dem Kl. keine Vereinigungsbaulast habe zusagen wollen, mit der der Kl. – aus bauordnungsrechtlicher Sicht – das Grundstück des Bekl. unbeschränkt habe bebauen dürfen, spreche u.a., dass der Bekl. dann der zuvor gegenüber einer anderen Gesellschaft übernommenen Verpflichtung, den Bau einer Windkraftanlage dieser Gesellschaft auf seinem Grundstück zu dulden, zuwidergehandelt hätte.

Ein geschütztes Vertrauen der Parteien, dass der Begriff der „Baulast“ nur in einem einzigen Sinn aufgefasst werden könne, sei nicht festzustellen. Der Begriff der „Baulast“ sei nicht eindeutig, weil es mehrere Arten von Baulasten gebe, die damit gemeint sein könnten. Es gebe auch keine Verkehrssitte, nach der der Begriff immer in einem bestimmten Sinn gebraucht werde. Wortlaut und Zweckbestimmung des Vertrags der Parteien sprächen nicht eindeutig für ein Vertragsverständnis im Sinne einer der Parteien. Ein solches Verständnis ergebe sich auch nicht aus ihrer Interessenlage. Dem Interesse des Kl., die bauordnungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit seines Bauvorhabens sicherzustellen, entspreche das auf die Bewilligung einer Vereinigungsbaulast gerichtete Vertragsverständnis. Demgegenüber werde dieses Verständnis den Interessen des Bekl. nicht gerecht, weil er mit einer solchen Baulast gegen eine andere, bereits zuvor begründete vertragliche Verpflichtung verstoßen hätte.

Der versteckte Dissens bewirke, dass der von den Parteien im Juni 2012 intendierte Vertrag nicht zustande gekommen sei, und daher keine Rechtsgrundlage für das Schadensersatzbegehren des Kl. darstellen könne.

OLG Hamm, Urteil vom 16.5.2017 (10 U 24/16)

(Pressemitteilung des OLG Hamm Nr. 75 vom 12.6.2017)