VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zum Allgemeinen Teil und zu den Schlussvorschriften des VVG und zu den Schlussvorschriften (§§ 1–58, 209–216 VVG, VVG-InfoV)

Im Folgenden werden Urteile aus dem Jahr 2022, vor allem des BGH, zum Allgemeinen Teil und zu den Schlussvorschriften des VVG vorgestellt.

I. Grenzen versicherungsvertraglicher Leistungspflichten (§ 1 VVG)

Zu den Grenzen versicherungsvertraglicher Nebenpflichten des Versicherers urteilte das OLG Nürnberg (OLG Nürnberg v. 14.2.2022 – 8 U 3825/21, VersR 2022, 1024). Nach Eintritt eines versicherten und ordnungsgemäß dem Versicherer gemeldeten Leitungswasserschadens „beauftragte“ der Versicherer im Rahmen der Schadensprüfung ein Fachunternehmen mit Maßnahmen der Feuchtigkeitsmessung und Trocknung. Das Fachunternehmen übersandte dem VN ein Angebot. Dieser unterließ die erbetene Rücksendung eines unterzeichneten Auftragsformulars, ließ aber die Durchführung der Werkleistungen widerspruchslos zu. Mit der Klage verlangte er vom Versicherer zusätzlich zur Versicherungsleistung Ersatz für Schäden infolge nicht fachgerechte Schadensbeseitigung durch das Fachunternehmen. Das OLG stellte klar, dass der Versicherer nicht Partei des Werkvertrags geworden ist und versicherungsvertraglich keine Reparatur geschuldet ist, sondern nur die ordnungsgemäße Auswahl eines geeigneten Unternehmens.

II. Vertriebstätigkeit des Versicherers (§ 1a VVG)

1. In der Leitentscheidung zur Betriebsschließungsversicherung hat der BGH klargestellt, dass § 1a VVG keine Bestimmungen zum Inhalt und Umfang des Leistungsversprechens des Versicherers enthalte, sich daraus aber Schadensersatzansprüche bei Pflichtverletzungen ergeben können (BGH v. 26.1.2022 – IV ZR 144/21, VersR 2022, 312 = BGHZ 232, 344; bestätigt durch BGH v. 18.5.2022 – IV ZR 467/21; BGH v. 22.6.2022 – IV ZR 488/21, Rz. 7–8, juris).

2. Eine Vereinbarung, wonach über eine Kulanzzahlung hinaus keine Ansprüche des VN wegen eines geltend gemachten Versicherungsfalls aus einer Betriebsschließungsversicherung bestehen, hat das OLG Nürnberg für wirksam und unangreifbar erachtet (OLG Nürnberg v. 24.1.2022 – 8 U 3108/21, juris). Der Versicherer sei zwar gem. § 1a Abs. 1 S. 1 VVG gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des VN auszunutzen. Der Versicherer habe sich aber nicht unredlich verhalten, wenn er der Empfehlung folgte, die unter Federführung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie verfasst wurde (vgl. Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums Nr. 87/20 vom 3.4.2020).

III. Versicherungsschein (§ 3 VVG)

§ 3 Abs. 3 S. 1 VVG gewährt über seinen Wortlaut hinaus keinen Auskunftsanspruch des VN hinsichtlich Anschreiben des Versicherers im Zusammenhang mit einer Prämienanpassung (OLG Nürnberg v. 14.3.2022 – 8 U 2907/21; ebenso OLG Brandenburg v. 4.5.2022 – 11 U 239/21, Rz. 3–13, juris).

IV. Beratung des VN, Erfüllungshaftung (§ 6 VVG)

1. Zur Betriebsschließungsversicherung hat der BGH (BGH v. 18.5.2022 – IV ZR 467/21, VersR 2022, 1505 = juris; BGH v. 22.6.2022 – IV ZR 488/21, juris) eine Beratungspflicht im Hinblick auf mögliche Deckungslücken i.S.v. § 6 Abs. 1 und 4 VVG verneint, wenn für eine entsprechende Beratung kein erkennbarer Anlass besteht, weil aus dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen unmissverständlich hervorgeht beim Auftreten welcher Krankheiten oder Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht.

2. Der VN einer „Existenzschutzversicherung“ machte geltend, der Versicherungsvertreter habe bei Vertragsschluss unzutreffend erklärt, ein Burnout begründe einen Rentenanspruch. Das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe v. 22.2.2022 – 9 U 132/19, VersR 2022, 882) bejahte einen Beratungsfehler. Es schloss einen Schadensersatzanspruch aber gleichwohl aus, da der VN nicht nachweisen konnte, dass er bei zutreffender Beratung eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hätte. Eine Erfüllungshaftung, wie sie in der Rechtsprechung zum VVG a.F. gewohnheitsrechtlich angenommene worden sei, werde nach der VVG-Reform 2008 von der Rechtsprechung der OLG nicht mehr angewandt.

3. Die vertragliche Regelung, dass eine Krankentagegeldversicherung bei Bezug von Altersrente endet, ist weder überraschend i.S.d. § 305c BGB noch liegt darin eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB (OLG Saarbrücken v. 20.7.2022 – 5 U 72/21, VersR 2022, 1426 = juris). Wenn feststeht, dass der Versicherer den VN während des laufenden Vertrags schriftlich zutreffend auf Einschränkungen des Krankentagegeldbezuges bei Erreichen des Rentenalters hingewiesen hat, erfordert die Annahme einer Beratungspflichtverletzung, dass anderslautende Angaben, insbesondere des Vermittlers, bewiesen werden. Dies konnte der Kläger nicht beweisen. – Obiter dictum führte das OLG aus, dass auch nach der VVG-Reform Gründe für eine Fortgeltung der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung sprechen, um auch spezielle Konstellationen sachgerecht erfassen zu können, in denen zugesagter Versicherungsschutz sonst nicht zu erlangen wäre oder Ansprüche wegen Falschberatung an der kenntnisunabhängigen Verjährung scheitern.

V. Information des VN (§ 7 VVG und VVG-InfoV)

Der EuGH (EuGH v. 24.2.2022 – C-143/20 und C-213/20, VersR 2022, 485) hat für eine fondsgebundene Gruppenlebensversicherung die Informationspflichten gegenüber dem versicherten „Verbraucher“ verteilt auf den Versicherer und den VN als Gruppenspitze, der zugleich Versicherungsvermittler sei (EuGH v. 29.9.2022 – C-633/20, VersR 2022, 1372 = EuZW 2022, 950 m. Anm. Armbrüster, hat entschieden, dass der VN einer Gruppenversicherung zugleich Versicherungsvermittler im Sinne der Versicherungsvertriebsrichtlinie ist, wenn er freiwillige Mitgliedschaft in der zuvor abgeschlossenen Gruppenversicherung anbietet, für die er von seinen Kunden eine Vergütung erhält und die die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen berechtigt. Vgl. dazu Fischer/Lübcke, VersR 2022, 1477; Wandt, VersR 2022, 1481). Art. 36 Abs. 1 Lebensversicherung-RL 2002/83/EG – dies muss auch für die weitgehend wortgleiche Regelung des Art. 185 Solvency II-Richtlinie gelten – ist dahin auszulegen, dass die Informationen „dem Verbraucher“ mitzuteilen sind, der als Versicherter dem Vertrag über eine fondsgebundene Gruppenlebensversicherung beitritt, der zwischen einem Versicherungsunternehmen und einem als VN handelnden Unternehmen geschlossen wurde. Dem Versicherungsunternehmen obliege es, diese Angaben dem als VN handelnden Unternehmen mitzuteilen; der VN habe die Angaben dann dem Verbraucher vor dessen Beitritt zu diesem Vertrag zusammen mit allen weiteren Einzelheiten, die sich unter Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse des Verbrauchers als erforderlich erweisen, zu übermitteln.

VI. Vertragslösungsrecht (§ 8 VVG, § 5a VVG a.F.)

1. Die Widerrufsbelehrung nach § 8 VVG muss die Angabe, dass im Fall einer Rückabwicklung auch Nutzungen herauszugeben sind, nur für den Fall enthalten, dass der Versicherungsschutz erst nach dem Ende der Widerrufsfrist beginnt, nicht aber für den Fall, dass der VN einem sofortigen Beginn des Versicherungsschutzes zugestimmt hat. Ein VN, der dem sofortigen Beginn des Versicherungsschutzes zugestimmt hat, kann sich nicht darauf berufen, dass die Belehrung hinsichtlich der für ihn nicht einschlägigen Fallkonstellation des Versicherungsschutzes erst nach dem Ende der Widerrufsfrist unvollständig ist (OLG Hamm v. 10.2.2022 – 20 U 5/22, VersR 2022, 1012).

2. Der BGH stellte klar, dass die Übertragung eines „ewigen“ Lösungsrechts bei einer Lebensversicherung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung unvereinbar mit deren Versorgungszweck ist, der durch das gesetzliche Verbot einer Abtretung, Beleihung oder Inanspruchnahme des Rückkaufswerts durch den ausgeschiedenen Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 2 S. 4 und 5 BetrAVG) abgesichert wird (BGH v. 4.5.2022 – IV ZR 201/20, VersR 2022, 1266; Hinweisbeschluss, danach Rücknahme der Revision).) Ein eigenes Widerspruchsrecht des ausgeschiedenen Arbeitnehmers folgt auch nicht aus der Übernahme des Vertrags als VN, da kein neuer Versicherungsvertrag abgeschlossen wird und daher weder die Pflicht zur Widerrufsbelehrung noch das Widerspruchsrecht selbst neu entstehen (BGH v. 23.2.2022 – IV ZR 150/20, juris).

3. Ob bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung besonders gravierende Umstände vorliegen, die einen Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. ausschließen, ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH v. 20.7.2022 – IV ZR 463/21, juris; BGH v. 20.7.2022 – IV ZR 448/21, juris) vom Tatgericht nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten.

4. Die OLG-Rechtsprechung ist hinsichtlich der Rechtsmissbräuchlichkeit der Ausübung eines ewigen Widerrufsrechts mit der Umsetzung der Rust-Hackner-Entscheidung des EuGH vom 19.12.2019 (EuGH v. 19.12.2019 – C-355/18, C-356/18, C-357/18, C-479/18, VersR 2020, 341) befasst. Keine Gefolgschaft fand die Entscheidung des OLG Rostock (OLG Rostock v. 8.3.2022 – 4 U 51/21, juris), dass ein Rechtsmissbrauch mit Blick auf die zu Verbraucherkreditverträgen ergangene Entscheidung des EuGH (EuGH v. 9.9.2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20, VersR 2022, 1098) ausscheide, wenn eine der vorgesehenen zwingenden Verbraucherinformationen weder in dem betreffenden Vertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist (Gegen die Maßgeblichkeit der EuGH-Rechtsprechung zu Verbraucherkreditverträgen ausdrücklich OLG Hamm v. 25.8.2022 – 20 U 155/22, VersR 2022, 1215; OLG Hamm v. 3.5.2022 – 20 U 73/22, VersR 2022, 1075; OLG Dresden v. 28.4.2022 – 4 U 2762/21, juris; vgl. auch OLG Brandenburg v. 17.8.2022 – 11 U 237/21, juris [Zurückweisungsbeschluss] und OLG Brandenburg v. 5.7.2022 – 11 U 237/21, juris [Hinweisbeschluss])

5. Wegen Unverhältnismäßigkeit scheidet die Ausübung eines ewigen Widerrufsrechts aus, wenn sich ein Belehrungsmangel nicht wesentlich auf die Möglichkeit der Ausübung des Lösungsrechts auswirkt. In diesem Sinne entschieden: OLG Frankfurt ( OLG Frankfurt v. 9.3.2022 – 7 U 30/21, VersR 2022, 807) für eine Widerspruchsbelehrung, die auf die „rechtzeitige Absendung“, nicht aber darauf hinwies, dass die Schriftform einzuhalten sei; OLG Stuttgart (OLG Stuttgart v. 31.3.2022 – 7 U 221/21, juris) bei Angabe einer Widerspruchsfrist von 1 Monat anstelle von 30 Tage; OLG Dresden (OLG Dresden v. 28.4.2022 – 4 U 2762/21, juris [Zurückweisungsbeschluss], zuvor OLG Dresden v. 11.4.2022 – 4 U 2762/21, juris [Hinweisbeschluss]) bei unzureichender Belehrung, die sich auf ein Schriftformerfordernis bezogen, während lediglich Textform erforderlich war.

6. Dagegen liegt keine Unverhältnismäßigkeit vor, wenn der VN unzutreffend und zudem widersprüchlich über die einzuhaltende Form belehrt wurde und die Gestaltung der Widerspruchsbelehrung schon nicht sicherzustellen vermochte, dass der VN überhaupt Kenntnis vom Bestehen des Widerspruchsrechts erlangte (OLG Stuttgart v. 7.4.2022 – 7 U 342/21, juris).

7. Bei einer unvollständigen Verbraucherinformation mangels Angaben über die Zugehörigkeit des Versicherers zu einem Sicherungsfonds, übt der VN sein Widerspruchsrecht aus § 5a VVG a.F. rechtsmissbräuchlich aus, da die Zugehörigkeit zum Sicherungsvermögen einem Versicherungsinteressenten in keinem Fall Anlass gegeben hätte, vom Vertragsschluss abzusehen, weil es sich um eine für ihn ausschließlich vorteilhafte Einrichtung handelt (BGH v. 22.6.2022 – IV ZR 14/21, juris; so auch schon BGH v. 10.2.2021 – IV ZR 32/20, VersR 2021, 437).

8. Unterschiedliche OLG-Rechtsprechung gibt es zu der Frage, ob in Fällen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Widerspruchsbelehrung eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Widerspruchsrechts gem. § 5a VVG a.F. schon infolge langer Vertragsdurchführung und üblichen Vertragsänderungen bejaht werden kann. Dies verneinten das OLG Köln (OLG Köln v. 10.6.2022 – 20 U 252/21, juris. So im Grundsatz bereits OLG Köln v. 11.2.2022 – 20 U 107/21, juris; OLG Köln v. 6.5.2022 – 20 U 253/21, juris) für einen Widerspruch ca. 17 Jahre nach Vertragsschluss und fast 10 Jahre nach der kündigungsbedingten Abwicklung und das OLG München (OLG München v. 29.9.2022 – 14 U 2690/21, juris) für einen Widerspruch 21 Jahren nach Beginn des Versicherungsvertrags und 9 Jahre nach Auszahlung der Versicherungsleistung aufgrund ausgeübten Kapitalwahlrechts. Dagegen beurteilte das OLG Brandenburg (OLG Brandenburg v. 5.7.2022 – 11 U 237/21, VersR 2022, 1573 = juris [Zurückweisungsbeschluss] und OLG Brandenburg v. 5.7.2022 – 11 U 237/21, juris [Hinweisbeschluss]) einen Widerspruch des VN nach 16-jähriger störungsfreier Durchführung eines Lebensversicherungsvertrags für rechtsmissbräuchlich.

9. Rechtsmissbrauch wegen besonderer Umstände wurde bejaht bei Einbindung des Versicherungsvertrags in ein Kapitalanlagemodell. So entschied das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe v. 9.2.2022 – 12 U 80/21, VersR 2022, 352) für den Fall, dass der der VN die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag unmittelbar vor Vertragsschluss an ein Kreditinstitut zur Darlehenssicherung abgetreten hatte und das Darlehen der Fremdfinanzierung der Einmalzahlung auf den Lebensversicherungsvertrag diente. Ebenso entschied das OLG Brandenburg (OLG Brandenburg v. 8.6.2022 – 11 U 273/21, juris) bei ca. 10-jähriger aktiver Durchführung zweier Versicherungsverträge mit verknüpfter Anlagestrategie mit Inanspruchnahme steuerrechtlicher Vorteile und Widerspruch erst ca. 6 Jahre nach Ausspruch der Kündigung und Vertragsabrechnung. Besondere Umstände bejahte auch das OLG Hamm, wenn ein als Versicherungsmakler fachkundiger VN nicht einmal ein Jahr nach Vertragsschluss ein Rechtsgeschäft tätigt, das zwingend die (weitere) Wirksamkeit des Vertrags voraussetzt (OLG Hamm v. 3.5.2022 – 20 U 73/22, VersR 2022, 1075).

VII. Fälligkeit der Versicherungsleistung (§ 14 VVG)

Nach OLG Bremen (OLG Bremen v. 13.5.2022 – 3 U 16/21, VersR 2022, 935) schuldet der Versicherer einer Assistanceversicherung die Organisation eines medizinisch sinnvollen Krankentransports im Ausland erst dann, wenn die versicherte Person bei objektiver Betrachtung transportfähig ist. Die Entscheidungsverantwortung für den medizinisch gebotenen Behandlungsweg liegt nicht beim Versicherer. Wenn der Versicherer – wie hier – keine Geldzahlung schuldet, so bestimmt sich die Fälligkeit der Versicherungsleistung nicht nach § 14 VVG, sondern – sofern keine vorrangige Regelung existiert – nach § 271 BGB, d.h. die Versicherung hat die geschuldeten Leistungen sofort bei Eintritt des Versicherungsfalls zu bewirken.

VIII. Vorvertragliche Anzeigeobliegenheit (§ 19 VVG)

1. Das OLG Stuttgart beurteilte die Antragsfrage eines Berufsunfähigkeitsversicherers nach „Beschwerden“ infolge Multiple Sklerose als zulässig. Der VN, bei dem knapp 20 Jahre vor Antragstellung Multiple Sklerose diagnostiziert worden war, litt im Zeitpunkt der Antragstellung unter Kraftverlust bei bestimmter Handstellung und Sensibilitätsstörungen in der rechten Hand und er wusste um – teils schmerzhaften – Ermüdungserscheinungen im rechten Bein. Gesundheitsbeeinträchtigungen müssten, so das Gericht, nur dann nicht offenbart werden, wenn diese offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. Dass der Antragsteller sich bei Beantwortung der Antragsfragen nicht krank gefühlt haben mag, sei unerheblich, wenn er den anzeigepflichtigen Umstand kennt.

Das OLG Dresden (OLG Dresden v. 5.4.2022 – 4 U 172/22, juris) sah es trotz umstrittenen Ablaufs des Antragsgesprächs als bewiesen an, dass der VN den Versicherer durch bewusst unrichtig beantwortete Gesundheitsfragen arglistig getäuscht hatte. Zu dieser Überzeugung gelangte das Gericht, indem es aus der glaubhaften Bekundung einer allgemein praktizierten Übung des Versicherungsvertreters Rückschlüsse auf ihre Anwendung im konkreten Einzelfall zog. Das Gericht stellt auch klar, dass Fragen in Textform gestellt worden sind, wenn der VN über den Monitor die Gesundheitsfragen im Antragsformular mitlesen kann.

IX. Gerichtszuständigkeit (§ 119a GVG)

Das BayObLG hatte über den Streit zweier Senate des OLG Bamberg über die funktionale Gerichtszuständigkeit zu entscheiden (gem. § 36 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 9 EGZPO). Es ging um die Zuständigkeit für eine Klage zwischen Versicherern auf Ausgleich wegen Mehrfachversicherung nach § 78 Abs. 2 VVG. Das Gericht bejahte die Zuständigkeit der allgemeinen Zivilsenate. Eine „Streitigkeit aus Versicherungsvertragsverhältnissen“ i.S.v. § 119a Abs. 1 Nr. 4 GVG liege nicht vor, da dies voraussetze, dass der streitige Anspruch aus einem Versicherungsvertrag abgeleitet werde. Diese Regelung sei anders als die Regelung des § 215 VVG nicht weit, sondern eng auszulegen. Unerheblich sei, dass erstinstanzlich die für Ansprüche aus Versicherungsverträgen zuständige Kammer tätig war (vgl. dazu Langheid, VersR BLOG „Jott & Pott – Echte Freunde stehen zusammen“ vom 17.11.2022, https://www.versr.de/versr-blog-langheid-jott-pott-echte-freunde-stehen-zusammen)