VersR REPORT: Neuere Rechtsprechung zur Haftpflichtversicherung

Heute setzen wir unsere Online-Berichterstattung fort mit einem Rückblick auf die neuen Entwicklungen in der Haftpflichtversicherung, im Anschluss an die Berichte zum allgemeinen Teil des VVG vom 15. Januar (Prof. Dr. Manfred Wandt) und zur Sach- und Schadenversicherung vom 15. Februar (Prof. Dr. Theo Langheid). Im nächsten Bericht am 15. April finden Sie die Personenversicherung von Prof. Dr. Dirk Looschelders.

I. Subsidiarität

Nach OLG Frankfurt (Urt. v. 2.2.2022 – 7 U 132/20, VersR 2022, 753) ist, wenn eine Subsidiaritätsklausel in einem Haftpflichtvertrag, nach der anderweitig bereits bestehende Versicherungsverträge dem fraglichen Vertrag vorgehen sollen, einen Schaden decken soll, zeitlich nicht auf die bereits bei Vertragsschluss bestehenden Primärverträge abzustellen, sondern es soll auf den Primärvertrag ankommen, der zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls existiert. Nur die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verträge kämen als vorangehende Primärversicherungen in Betracht. Soweit für die Frage der Subsidiarität auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls abgestellt wird und nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses der nur subsidiärer geltenden Versicherung, sollte das nur bei qualifizierten Abreden eine Rolle spielen können, denn bei einfachen Subsidiärabreden kommt es auf den tatsächlich bestehenden oder eben nicht bestehenden Deckungsschutz (und nicht auf die Existenz anderer Versicherungsverträge) an. Nur bei qualifizierten Klauseln (die auf das bloße Vorhandensein einer Primärversicherung abstellen) kann maßgeblich der Zeitpunkt sein, in dem die primäre Versicherung abgeschlossen wurde. (Das wird in der hier besprochenen Entscheidung verkannt: das OLG geht davon aus, dass der Verwender der Klausel nur dann haftet, wenn der VN aus dem anderen Vertrag keine Deckung erhält. Tatsächlich ist es andersherum, vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., § 78 Rz. 31). Nachträgliche Änderungen können an dem durch diesen Vertrag begründeten Deckung nichts ändern. Davon zu unterscheiden ist die Frage der Eintrittspflicht aus dem Subsidiärvertrag; bei diesem kommt es tatsächlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls an.

II. Benzinklausel

Das OLG Koblenz (Urt. v. 2.9.2020 – 10 U 391/20, juris.) hatte sich mit einem Fall zu beschäftigen, in dem eine reine Arbeitsmaschine (Radlader) einen Schaden verursacht hatte und der Haftpflichtversicherer sich auf den Ausschluss in der sog. Benzinklausel berief. Das OLG Koblenz meinte, „für den juristischen Laien“ käme es nicht darauf an, ob ein Radlader, der nicht am öffentlichen Verkehr teilnehmen könne, als Kfz i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 StVG zu qualifizieren sei. Der allein maßgebliche durchschnittliche Versicherungsnehmer (VN) könne das nicht wissen und würde eine solche Definition keinesfalls als selbstverständlich ansehen. Es dürfte schwerfallen, der Entscheidung zuzustimmen. Schimikowski weist in seiner Anmerkung (jurisPR-VersR 12/2021 Anm. 4) darauf hin, dass die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum jenseits von irgendeiner Laiensphäre auf die Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG zurückgreift. Danach sind Kfz Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein. Das gilt für alle VN, nicht nur die durchschnittlichen. Darauf sei das OLG nicht eingegangen, wobei Schimikowski zusätzlich moniert, dass auch ein nicht versicherungspflichtiger Radlader durchaus am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen könne.

III. Vorweggenommener Deckungsprozess

Im vorweggenommenen Deckungsprozess ist bei der Beurteilung der Frage, ob ein Versicherer (VR) seinem VN Deckungsschutz für eine Inanspruchnahme durch einen Dritten zu gewähren hat, vom Vortrag des Geschädigten auszugehen und nicht über den Haftpflichtanspruch zu entscheiden (OLG Düsseldorf v. 10.12.2021 – 4 U 252/20, juris). Das gilt nur, wenn zu diesem Zeitpunkt keine Tatsachenfeststellungen aus einem Haftpflichtprozess zugunsten des Anspruchstellers vorliegen, die für den Deckungsprozess Bindungswirkung haben würden. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Dem ist prinzipiell zuzustimmen, wirft aber Fragen auf: Zum einen wird bei der Entstehung des Deckungsanspruchs zunächst darauf abgestellt, ob der Dritte Tatsachen behauptet, die als solche prinzipiell dem Deckungsbereich des Versicherungsvertrags zuzuordnen sind. Für den zeitlichen, räumlichen und sachlichen Umfang des versicherten Risikos ist demgegenüber auf die Behauptungen des VN abzustellen, weil sonst der Dritte über Bestehen oder Nichtbestehen des Versicherungsschutzes entscheiden könnte. Im vorweggenommenen Deckungsprozess ist demgegenüber in toto vom Vortrag des Geschädigten auszugehen. Wenn dieser deckungsschädliche Dinge behauptet (Vorsatz), ist die Klage abzuweisen (ebenso BGH v. 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017, 683; BGH, VersR 2002, 90 unter 2a). Zum anderen fragt sich, warum nur Tatsachenbehauptungen „zugunsten des Anspruchstellers“ maßgeblich sein sollen. Auch Tatsachen zu dessen Nachteil können Bindungswirkung entfalten, gerade wenn er selbst deckungsschädliche Tatsachen vorträgt.

IV. Verjährung

Der Haftpflichtversicherer wird regelmäßig – so auch hier, es ging um einen Unfall der Kl. mit dem Pony der Bekl. – gem. Nr. 5.2 Abs. 1 AHB uneingeschränkt zu Verhandlungen mit dem Geschädigten bevollmächtigt. Er tritt daher in der Regel dem Geschädigten auch als Vertreter des Schädigers gegenüber. (OLG Hamm v. 27.5.2022 – 7 U 26/22, juris; mit Erläuterung von Fortmann, jurisPR-VersR 11/2022 Anm. 5). Solche Verhandlungen zwischen Anspruchsteller und Haftpflichtversicherer führen auch dem versicherten Schädiger gegenüber zur Verjährungshemmung gem. § 203 S. 1 BGB (BGH v. 11.10.2006 – IV ZR 329/05, BGHZ 169, 232 = VersR 2006, 1676 Ls. 1 und Rz. 20 ff). An die Frage, ob die Verhandlungen beendet sind, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dafür spricht aber eine Mitteilung, in der der Abschluss der Prüfung mitgeteilt und die Verweigerung der Leistung auch im Hinblick auf die geführten Verhandlungen begründet wird (im Anschluss an BGH v. 8.11.2016 – VI ZR 594/15, VersR 2017, 165). Eine Verjährungshemmung nach Ablauf der Verjährungsfrist ist nicht mehr möglich.

V. Vermögensschaden

1. Das OLG Frankfurt hat eine Serienschadenklausel in der D&O-Versicherung als intransparent verworfen, obwohl diese – wie üblich und von höchstrichterlicher Rechtsprechung unbeanstandet – nicht nur an den „rechtlichen, wirtschaftlichen und zeitlichen Zusammenhang“ anknüpfte, sondern auch an „denselben Sachverhalt“ (OLG Frankfurt v. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021, 1355).

Ferner hat es gemeint, dass eine wissentliche Pflichtverletzung nicht im Haftpflichtprozess festgestellt werden könne, wenn dies zugleich zu einem rückwirkenden Entfallen des Versicherungsschutzes führen würde. ( Außerdem sei ein solcher Ausschluss intransparent.) Und im Deckungsprozess könne die Leistungsfreiheit auch nicht festgestellt werden, weil dies nach den einschlägigen (üblichen) Bedingungen eine „rechtskräftige“ Entscheidung voraussetze, die aber zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits, in dem der Ausschluss festzustellen sei, zwangsläufig noch nicht vorliegen könne (weil für den Rechtskrafteintritt des Urteils dieses ja erst einmal verkündet worden sein muss, ein typischer Kobayashi-Maru-Test (vgl. dazu den VersR BLOG v. 1.10.2021 abrufbar unter https://www.versr.de/blog-langheid-nie-mehr-leistungsfreiheit-fuer-wissentliche-pflichtverletzungen/).

Das widerspricht nicht nur allem, was man bisher zu Trennungsprinzip und Bindungswirkung wusste, sondern auch der (eigenen) Entscheidung des Senats vom 7.7.2021, wo endgültige Deckung im summarischen Verfahren der einstweiligen Verfügung zugesprochen wurde (OLG Frankfurt v. 7.7.2021 – 7 U 19/21, VersR 2021, 1362; s. hierzu auch den VersR BLOG v. 1.11.2021 abrufbar unter https://www.versr.de/blog-langheid-schon-wieder-erneute-ueberraschungen-zur-do-versicherung/). Dort wird in contradictio davon ausgegangen, eine wissentliche Pflichtverletzung könne nur im Haftpflichtverfahren festgestellt werden. Und der D&O-VR sei ohnehin nicht berechtigt, sich auf den Ausschluss in Nr. 7.3 der AVB wegen vorvertraglicher Arglist zu berufen. Sonst würde der vorläufige Anspruch auf Abwehrdeckung in Nr. 7.1 AVB vereitelt, der zunächst auch bei einer wissentlichen Pflichtverletzung zu gewähren sei. Denn beiden Ausschlüssen (Arglist/Wissentlichkeit) lägen „deckungsgleiche Tatsachenbehauptungen“ zugrunde lägen. Das verkennt die Wirkungsweise des Arglistausschlusses, durch den die zugrunde liegende, zwingend vorvertragliche Tathandlung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen wird, um eine ansonsten notwenige Arglistanfechtung mit ihren weitreichenden Drittkonsequenzen zu vermeiden. Die vom OLG angenommene Präklusion widerspricht der Funktionalität beider Regelungen, denn die vom Gericht angenommene „Stoffgleichheit“ zwischen Wissentlichkeit (nach Vertragsschluss) und Arglist (vor Vertragsschluss) kann nicht vorliegen.

2. LG Bielefeld hat zutreffend entschieden, dass die VN ihren Geschäftsführer nicht wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch nehmen kann, wenn dieser zugleich alleiniger Gesellschafter ist ( LG Bielefeld v. 25.9.2020 – 18 O 301/19, VersR 2022, 1154 m. Anm. Vrzal). Eine Maßnahme des Geschäftsführers kann nicht als Pflichtverletzung angesehen werden, auch wenn er „als Gesellschafter“ mit seiner eigenen Entscheidung nicht einverstanden war.

3. Die Ersatzpflicht eines Geschäftsführers nach § 64 GmbHG a.F. ist mit der Ersatzpflicht eines organschaftlichen Vertreters gem. §§ 177a, 130 Abs. 2 HGB a.F. gleichzusetzen (OLG Köln v. 16.11.2022 – 9 U 253/20, juris). Die genannten Vorschriften dienen dem Erhalt einer verteilungsfähigen Vermögensmasse und sollen eine bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger verhindern. Der höchstrichterlich bestätigte Deckungsschutz im Rahmen der D&O-Versicherung für Inanspruchnahmen von Geschäftsführern aus § 64 GmbHG a.F. (BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, VersR 2021, 113) ist daher prinzipiell auf den Ersatzanspruch aus § 177a, 130 a HGB a.F. übertragbar.

4. In der gleichen Entscheidung hat das OLG Köln auch festgestellt, dass es an der Wirksamkeit des Deckungsausschlusses für wissentliche Pflichtverletzungen nichts ändert, wenn der später eingetretene Schaden nur das „Endglied“ einer Kausalkette ist, die durch die Pflichtverletzung ursprünglich in Gang gesetzt worden ist (OLG Köln v. 16.11.2022 – 9 U 253/20, juris).

5. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf handelt es sich ebenfalls um eine elementare Berufspflicht des Rechtsanwalts, zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsmittel eingelegt werden soll, die Weisung des Mandanten einzuholen ist (OLG Düsseldorf v. 10.12.2021 – 4 U 252/20, juris). Das gilt auch dann, wenn durch solche nachträglichen Weisungen eine ursprünglich erteilte Vollmacht beschränkt wird. Verletzt der VN eine solche Kardinalpflicht, ist eo ipso von einer wissentlichen Pflichtverletzung auszugehen, weil in einem solchen Fall ohne weiteres davon auszugehen ist, dass dem VN bewusst sein muss, dass er sich pflichtwidrig verhält. So hat es auch das OLG Köln für die Pflicht entschieden, bei Insolvenzreife einen Insolvenzantrag zu stellen (OLG Köln v. 16.11.20202 – I-9 U 253/20, juris). Und um einen Verstoß gegen eine solche Kardinalpflicht handelt es sich nach OLG Frankfurt (Urt.v. 6.7.2022 – 7 U 147/20, VersR 2022, 1287 = juris) auch, wenn ein D&O-Versicherter ohne die nach § 34f Abs. 1 S. 2 GewO erforderliche Erlaubnis Vermittlungsgeschäft betreibt.

6. In der oben vorgestellten Entscheidung hat das OLG Düsseldorf ferner entschieden, dass der Leistungsausschluss für eine wissentliche Pflichtverletzung auch dann greift, wenn zusätzlich andere, bloß fahrlässig begangene Pflichtverletzungen vorliegen (OLG Düsseldorf v. 10.12.2021 – 4 U 252/20, juris). Damit schließt sich das OLG Düsseldorf der entsprechenden Rechtsprechung des BGH an, der ja mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2015 mit der bis dahin herrschenden, anderslautenden Instanzrechtsprechung Schluss gemacht hatte (BGH v. 27.5.2015 – IV ZR 322/14, VersR 2015, 1156). Diese Grundsätze sollten auch für die D&O-Versicherung gelten, allerdings unter Beachtung der Spezifika dieses Versicherungskonstrukts (vgl. Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 103 Rz. 12 ff.; die dort empfohlenen Konsequenzen werden allerdings heftig diskutiert; Fundstellen ebendort.)

7. Der Risikoausschluss für einen Pflichtenverstoß im Bereich eines unternehmerischen Risikos greift auch schon, wenn es sich um ein erst künftiges Risiko handelt (OLG Köln v. 5.7.2022 – 9 U 93/21, VersR 2022, 1498 = juris).

VI. Kfz-Haftpflicht

1. Das OLG Celle hatte sich mit einem wahrhaft komplizierten Sachverhalt zu befassen: Fa. A. hatte zwei Fahrzeuge bei unterschiedlichen Vermietern gemietet, die bei verschiedenen VR haftpflichtversichert waren. An einem der Lkw wurde bei einem Beladevorgang ein Schaden mit dem zweiten Lkw verursacht. Der Fahrer des zweiten Lkw trug die Alleinschuld. In diesem Fall, so dass OLG, greife der Haftungsausschluss nach Nr. A. 1.5.6 AKB 2015 (kein Versicherungsschutz für einen Schaden, den eine mitversicherte Person dem Eigentümer zufügt) nicht, weil nicht dasselbe Versicherungsverhältnis betroffen sei. Der Fahrer des zweiten Fahrzeugs sei nicht mitversicherte Person im Verhältnis zum Eigentümer des ersten Lkw, auch wenn beide zur Zeit des Unfalls von einer Dritten gemietet worden waren. Die fragliche Regelung in den Bedingungen stünde ohnehin nur dem Direktanspruch gegen den VR gem. § 115 VVG entgegen. Die Haftung des Schädigers bleibe davon unberührt.

2. Es soll (erstaunlicherweise) auch unter den Deckungsschutz einer Kfz-Haftpflichtversicherung fallen, wenn geerntete Weintrauben durch das austretende Hydrauliköl der Maschine, mit der die Trauben geerntet werden (für den der schöne Begriff „Traubenvollernter“ gebräuchlich ist) verschmutzt werden (OLG Koblenz v. 20.6.22 – 12 U 532/21, VersR 2022, 1158). Prinzipiell schließt § 8 Nr. 3 StVG solche Beförderungsschäden aus. Aber hier seien die Trauben eben erst einmal nicht befördert, sondern nach Vorstellung des OLG nur verwahrt worden. Eine Beförderung liege nämlich nur vor, wenn eine Sache aufgrund eines zweckgerichteten Handelns von A. nach B. bewegt würde. Werden jetzt Trauben geerntet, werden sie irgendwann auch einmal zu befördern sein (sonst wird ja kein Wein daraus). Aber zunächst liege der Schwerpunkt nicht auf der Beförderung der schon geernteten Trauben, sondern in der Ernte weiterer Trauben. Eine wahrhaft philosophische Erwägung. Man müsste allerdings wissen, wie voll der Traubenvollernter war; war er bereits so gefüllt, dass keine weiteren Trauben mehr zu ernten waren, dann müsste man ja wohl doch von einer Beförderung auszugehen haben. Wenn also – wie hier – der Hauptschaden dadurch entstanden ist, dass die verunreinigten Trauben bei der Weiterverarbeitung andere Trauben mit dem Öl infiziert haben, dann muss ja zuvor zwingend ein zweckgerichtetes Befördern der verschmutzten Trauben stattgefunden haben. Aber wenn dann wieder deren Verschmutzung vor der Beförderung eingetreten war? Dann dürften streng genommen auch nur die vorab verschmutzten Trauben zu ersetzen sein (und nicht die infizierten nach der Beförderung).

VII. Betriebshaftpflicht

1. Nach OLG Hamm (Urt. v. 28.1.2021 – 20 U 215/20, VersR 2021, 954) ist eine Deckungserweiterung denkbar, wenn Versicherungsschutz für solche Schäden versprochen wird, die Folgen eines mangelhaften Werks (mangelhafte Sanitärabdichtungen) sind. Dieser Wiedereinschluss sei möglicherweise nicht auf Mangelfolgeschäden begrenzt. Allerdings sei der Regelung, dass der VR auf keinen Fall die Kosten für die Beseitigung des eigentlichen Mangels übernimmt, mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, dass kein Versicherungsschutz für solche Vermögensschäden besteht, die bereits mit der mangelhaften Werkleistung selbst entstanden sind.

2. Kein Anspruch aus Betriebshaftpflichtversicherung soll bestehen, wenn ein Dritter wegen behaupteter Sachmängel ein Beweissicherungsverfahren gegen die VN einleitet (OLG Nürnberg v. 16.1.2023 – 8 U 2921/22, juris). Es fehlt zum einen an einer konkreten Inanspruchnahme, aber auch an einem Anspruch auf Schadensersatz, wenn nur Nachbesserung auf Beseitigung festgestellter Mängelverlangt wird. Dass sich die Inanspruchnahme im Nachhinein auch noch anderes entwickeln könne, soll keine Rolle spielen. Nur am Rande sei vermerkt, dass mit dem in Rz. 12 der Entscheidung erwähnten „Versicherungsfall“ wohl der Schadens- oder Haftungsfall gemeint ist, denn der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung ist die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.

VIII. Prozessuales

1. Der BGH (Urt. v. 10.3.2022 – I ZR 70/21, VersR 2022, 911) hat entschieden, dass der Haftpflichtversicherer nicht zum Personenkreis des § 79 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zählt mit der Folge, dass ein von ihm für seinen in Anspruch genommenen VN eingelegter Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid unwirksam ist. Besser wäre gewesen, einen Anwalt für den VN zu bestellen oder auf Leistungsfreiheit zu vertrauen, weil der VN seine Obliegenheit, gegen den vorangehenden Mahnbescheid Widerspruch eizulegen, Ziff. 25.4. AHB-Musterbedingungen GDV, verletzt hat. Wenn die Obliegenheit so vereinbart ist und nicht trotzdem quotale Eintrittspflicht besteht.

2. Das OLG Nürnberg (Urt. v. 11.4.2022 – 5 W 2855/20, VersR 2022, 815) hat ein rechtliches Interesse des Haftpflichtversicherers, aufseiten des eine Vorsatztat des VN behauptenden Geschädigten dem Haftpflichtprozess beizutreten, bejaht. Ein Streit zwischen einem Rennrad- und einem Autofahrer war eskaliert. Der Rennradfahrer behauptete, der Autofahrer habe ihn aus Ärger über eine Behinderung vorsätzlich zu Fall gebracht und seine Verletzungen dabei in Kauf genommen. Der Haftpflichtversicherer teilte diese Einschätzung und versagte seinem VN die Deckung wegen Vorsatz. Sodann trat er dem Rechtsstreit aufseiten des Radfahrers bei. Das OLG Nürnberg meinte, der VR habe ein Interesse, prozessual darauf hinzuwirken, dass seine Deckungsablehnung Bestand habe. Versicherungsvertragliche Treue- und Rücksichtnahmepflichten seien in solchen Fällen suspendiert. (Koch, VersR 2022, 939, hat die Entscheidung scharf kritisiert: der VR habe auch bei Vorsatzvermutung Abwehrdeckung zu gewähren. Ein VR, der nicht seinen VN bei der Anspruchsabwehr, sondern den Anspruchssteller bei der Durchsetzung seiner Ansprüche unterstütze und ihm damit „gleichsam in den Rücken“ falle, „ordne seine Interessen nicht unter“, sondern stelle „diese vielmehr über die Interessen seines Versicherungsnehmers“; Fortmann, r+s 2022, 327 äußert hingegen Verständnis).

Die Entscheidung verdient Zustimmung. Ein Vorsatztäter, der einen Dritten vorsätzlich verletzt, soll von seinem Haftpflichtversicherer dafür keine Deckung verlangen können. Dessen Abwehranspruch ist zunächst einmal davon abhängig, dass der Dritte behauptet, der VN sei ihm aus einer Tatsache verpflichtet, die in den Deckungsbereich des Haftpflichtversicherungsvertrags fällt. Das muss nicht tatsächlich zutreffen, andernfalls würde der Rechtsschutzanspruch des VN ins Leere laufen (OLG Hamm v. 21.3.2007 – 20 U 29/06, VersR 2007, 1645). Zunächst also muss der VR dem VN helfen, einen unbegründeten Anspruch abzuwehren. Folgerichtig ist bei Tatsachen, die für die Eintrittspflicht des von Bedeutung sind, primär auf die Angaben des VN, der hier ja Vorsatz bestritt, abzustellen. Allerdings muss der VR die Angaben beachten, er muss sie aber nicht unkritisch hinnehmen. Bei falscher Sachverhaltsdarstellung des VN oder bei einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung (Fahrlässigkeit statt Vorsatz) ist der VR durch nichts gehindert, die Deckung zu versagen. Kommt es daraufhin zum Haftungsprozess, entfalten die dortigen Feststellungen Bindungswirkung. Deswegen kann der VR nicht gehindert sein, diesem Prozess auf Seiten des geschädigten Dritten beizutreten, weil er nur so auf den Rechtsstreit Einfluss nehmen und seine rechtliche Position vortragen kann (Fortmann, a.a.O., weist in diesem Zusammenhang zutreffend daraufhin, dass es im Rahmen des § 103 VVG auch auf den Nachweis ankommt, dass der VN neben der Tathandlung auch den Handlungserfolg vorsätzlich gewollt haben muss). Hätte der VN vor dem Haftpflichtprozess einen vorweggenommenen Deckungsprozess angestrengt, wäre ohnehin die Darstellung des geschädigten Dritten maßgeblich gewesen (BGH v. 5.4.2017 – IV ZR 360/15, VersR 2017, 683; BGH v. 15.11.2000 – IV ZR 223/99, VersR 2001, 90; s. oben Fn. 5 [OLG Düsseldorf v. 10.12.2021 – 4 U 252/20, juris]; weitere Detailargumente in unserem VersR BLOG v. 4.8.2022 abrufbar unter https://www.versr.de/blog-langheid-baeumchen-baeumchen-wechsel-dich-die-richtige-seitenwahl-ist-entscheidend/).

3. Ungewöhnlicherweise wollte ein Sachversicherer, der einen Schaden zu ersetzen hatte, den ein haftpflichtversichertes, inzwischen auch insolventes Elektrounternehmen verursacht hatte, den Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, weil diesem seinem VN (dem Elektrounternehmen) gegenüber ein Beratungsfehler dergestalt unterlaufen sei, dass er nicht auf eine zu geringe Deckungssumme hingewiesen habe. Sowohl LG als auch OLG haben die Feststellungklage abgewiesen; nur mit einer entsprechenden Abtretung bestünde insoweit eine Aktivlegitimation (OLG Hamm v. 11.11.2022 – 20 U 213/22, VersR 2023, 309).

4. Mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs gem. § 308 Abs. 2 VVG und deren Folgen befasst sich Robert Koch in einem ausführlichen Aufsatz (Koch, VersR 2023, 283.), der zugleich als eine Art Buchbesprechung der Schrift von Julian Gimpel „Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 Abs. 2 VVG“ (Gimpel, Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 Abs. 2 VVG, erschienen im Verlag Versicherungswirtschaft, 2022) dient. Es geht um die üblichen Fragen, was aus dem Freistellungsanspruch wird, wenn er sich mit dem Haftungsanspruch in einer Hand, nämlich der des Geschädigten (in der D&O-Versicherung zugleich auch die VN) vereinigt, was geschehen soll, wenn die Klage wegen fehlender Haftung oder alternativ wegen fehlender Deckung abgewiesen wird und welche Beweismaßstäbe gelten sollen. Als „innovativ“ wir der Vorschlag Gimpels bezeichnet, nach dem der VR im Rahmen seiner Pflicht zur Anspruchsabwehr zur Erhebung einer negativen Zwischenfeststellungsklage verpflichtet sein soll; allerdings weist Koch gleich selbst darauf hin, dass das nur Sinn macht, wenn sich die Beweislast nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG nicht durch die Abtretung dreht (weil es dann um den versicherungsrechtlichen Deckungsanspruch geht und nicht mehr um den aktienrechtlichen Haftungsanspruch). Insoweit, so Koch, müssen wir erst auf eine höchstrichterliche Klärung warten.