VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zum Allgemeinen Teil und zu den Schlussvorschriften des VVG (§§ 1–58, 209–216 VVG, VVG-InfoV

Im Folgenden werden Urteile des BGH und der OLG – vornehmlich – aus dem Jahr 2023 zum Allgemeinen Teil des VVG vorgestellt. Berichtsfähige Urteile zu den Schlussvorschriften des VVG sind im Berichtszeitraum nicht ergangen.

I. Versicherungsvertrag (§ 1 VVG)

1. Abgrenzung zu anderen Vertragstypen

Das OLG Hamburg (Urt. v. 24.11.2022 – 15 U 103/21 Kart, VersR 2023, 1382) stellte fest, dass ein Vollwartungsvertrag für Windenergieanlagen („Integriertes Service-Paket“), der neben Wartungs- und Überwachungspflichten auch die Instandsetzung von Verschleißschäden und eine durch pauschalierten Schadensersatz abgesicherte Verfügbarkeitsgarantie enthält, kein Versicherungsvertrag sei. Unter Hinweis auf die (ständige) Rechtsprechung des BGH (zuletzt BGH v. 26.11.2015 – VI ZR 488/14, VersR 2017,188) stellte es darauf ab, dass die vereinbarten (lediglich) versicherungsartigen Vertragspflichten dem Vertrag nicht sein eigentliches rechtsrechtliches Gepräge geben, sondern in einem inneren Zusammenhang mit einem anderen Rechtsgeschäft stehen und in dessen Rahmen lediglich unselbstständige Nebenabreden sind. Kern des Vertrags sei die langfristige Gewährleistung der technischen Funktionsfähigkeit der Anlage, nicht die zu ihrer Absicherung getroffenen ergänzenden Zusagen. Das OLG hat die Revision u.a. auch hinsichtlich der Frage zugelassen, ob auf den Vollwartungsvertrag versicherungsrechtliche Bestimmungen (gegebenenfalls analog) anzuwenden sind.

2. Abgrenzung von Aufhebungsvertrag und Kündigung, Neuabschluss und Aufhebung eines Altvertrages als einheitliches Geschäft

Eine von einem Versicherungsvertreter initiierte Umdeckung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwecks Umstellung auf ein neues Bedingungswerk erfolgte durch Kündigung des bestehenden Vertrags und Neuabschluss eines neuen Vertrags. Vom Neuvertrag trat der Versicherer wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht rechtskräftig zurück. Das OLG Saarbrücken (Urt. v. 15.2.2023 – 5 U 36/22, VersR 2023, 425) gab der Feststellungsklage der VN statt, dass der Rücktritt des Versicherers vom Neuvertrag zur Folge habe, dass der vorbestehende Vertrag nicht beendet worden sei. Bei angemessener Würdigung aller Umstände durfte der Versicherer die von der VN erklärte „Kündigung“ nur als ein Angebot auf einvernehmliche Aufhebung des alten Versicherungsvertrags ansehen, um diesen nahtlos durch den neuen Versicherungsvertrag zu ersetzen. Da die Aufhebungsvereinbarung für den Versicherer erkennbar mit dem Bestand des neuen Vertrags „stehen und fallen“ sollte, erstreckt sich die Wirkung des Rücktritts vom neuen Vertrag auch auf die Aufhebungsvereinbarung des Altvertrags.

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