VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zum Versicherungsvermittlerrecht

Dieser Beitrag berichtet über acht OLG Urteile zum Versicherungsvermittlerrecht (§§ 59-73 VVG), die im Zeitraum von Dezember 2022 bis November 2023 ergangen sind, sowie ein  LG Urteil aus dem Jahr 2023 mit berufsrechtlichem Hintergrund.

I. Versicherungsvertreter (§ 59 Abs. 2 VVG)

  1. Beratungsanlass (§ 61 Abs. 1 S.1 VVG)

Die Beratungspflicht des Versicherungsvertreters nach § 61 Abs. 1 VVG setzt ebenso wie die des Versicherers nach § 6 Abs. 1 VVG einen Beratungsanlass voraus. Das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Urt. v. 5.10.2023 – 12 U 66/23, VersR 2024, 164; anhängig beim BGH unter AZ. IV ZR 226/23) hat in einer Entscheidung zu einer Gebäudeversicherung einen solchen Beratungsanlass bejaht. Der Kläger hatte das Eigentum am versicherten Grundstück im Scheidungsverfahren von seiner damaligen Ehefrau erhalten. Der geplante Übergang des Gebäudeversicherungsvertrages scheiterte aber an der erforderlichen Mitwirkung der VN, seiner Ehefrau. Diese zahlte die Prämien trotz Mahnung gem. § 38 Abs. 1 VVG nicht. Als ein Wasserschaden eintrat, lehnte der Versicherer wegen des Prämienverzuges die Deckung ab. Der Kläger verlangte vom Versicherer und seinem Versicherungsvertreter als Gesamtschuldnern Schadensersatz in Form der sog. „Quasideckung“. Die Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg. Das OLG Karlsruhe meinte, die Beklagten hätten zumindest über die Möglichkeit des Neuabschlusses einer zusätzlichen Gebäudeversicherung beraten müssen. Den erforderlichen Beratungsanlass sah das OLG darin, dass sich der Kläger noch vor Eigentumserwerb an den Versicherungsvertreter gewendet hatte und seinen Willen zum Ausdruck brachte, die bestehende Gebäudeversicherung vorzeitig zu übernehmen und ab sofort für die Beitragszahlung aufzukommen. Hierdurch habe er ihm und dem Versicherer deutlich gemacht, dass er den unbedingten Fortbestand des Versicherungsschutzes sichern und den Einfluss der VN, seiner Ehefrau, hierauf nach Möglichkeit ausschließen wollte. Aufgrund dieser Situation habe für die die Beklagten hinreichender Anlass bestanden, den Kläger auf die Möglichkeit zum Abschluss eines eigenen Versicherungsvertrages hinzuweisen.

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VersR REPORT: Neue Rechtsprechung zum Versicherungsvertriebsrecht

I. Gruppenspitze als Versicherungsvermittler

Die Praxis kennt zahlreiche Gruppenversicherungsverträge, bei denen der Gruppenorganisator, die sog. Gruppenspitze, selbst Versicherungsnehmer (VN) ist. Beispielhaft sei der Fall genannt, dass eine GmbH ihren Kunden, wenn sie in eine „Mitgliedergemeinschaft“ eintreten, Leistungen für den Fall von Krankheit oder Unfall im Ausland anbietet und sie selbst VN eines Gruppenversicherungsvertrags mit entsprechenden Versicherungen ist (OLG Koblenz v. 19.12.2018 – 9 U 805/18, WRP 2019, 658). Nach bislang ganz h.M. lag in solchen Fällen keine Vermittlung vor, weil der VN nicht zugleich auch Vermittler sein könne (OLG Koblenz v. 19.12.2018 – 9 U 805/18, WRP 2019, 658; OLG Frankfurt v. 27.6.2019 – 6 U 108/18, NJW-RR 2019, 1381). Am 29.9.2022 entschied aber der EuGH auf Vorlage des BGH, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 Versicherungsvertriebs-Richtlinie seien so auszulegen, dass unter den Begriff „Versicherungsvermittler“ auch eine juristische Person falle, deren Tätigkeit darin besteht, eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, wenn sie hierfür von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die Mitgliedschaft die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen, namentlich im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland, berechtigt (EuGH v. 29.9.2022 – C-633/20, VersR 2022, 1372. Nachfolgend dann BGH v. 15.12.2022, VersR 2023, 446). Dass die juristische Person in diesen Fällen als VN selbst Partei des Gruppenversicherungsvertrags sei, stehe dem nicht entgegen. Ebenso wie ein Versicherer beim Direktvertrieb zugleich auch Versicherungsvertreiber sein könne, so könne auch der VN zugleich Versicherungsvermittler sein (EuGH v. 29.9.2022 – C-633/20, VersR 2022, 1372 Rz. 46 mit Hinweis auf EuGH v. 24.2.2022 – C-143/20 und C-213/20, VersR 2022, 485 Rz. 87 und 88).

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OLG Hamm: Grenzen der Pflicht zur Beratungsdokumentation

Vertriebsrecht
Versicherungsvermittler
Grenzen der Pflicht zur Beratungsdokumentation
VVG §§ 61, 62, 63; ZPO §§ 286, 287
* 1. Ist der Versicherungsvermittler (hier: Makler) zu einer Besichtigung des zu versichernden Objekts nicht verpflichtet, so hat er keine Pflicht, zu dokumentieren, ob im Rahmen der Beratung eine Besichtigung stattgefunden hat. Das Fehlen einer solchen Dokumentation führt zu keiner Beweiserleichterung für den VN. *
* 2. Wenn der VN Antragsfragen in einem Formular beantwortet (und dieses selbst ausfüllt oder auch durch den Versicherungsvermittler ausfüllen lässt), muss der Versicherungsvermittler dazu grundsätzlich (und auch hier) keine Dokumentation erstellen. *
OLG Hamm, Urteil vom 20.6.2018 (20 U 16/18) – nicht rechtskräftig –

(Die vollständige Entscheidung ist abgedr. in VersR 2019, 421)

Prof. Dr. Michael Gruber und Dr. Julia Baier, Vergütungen nach der IDD

Die Versicherungsvertriebsrichtlinie (Insurance Distribution Directive [IDD]) enthält anders als ihre Vorgängerin, die Versicherungsvermittlungsrichtlinie (Insurance Mediation Directive [IMD]), auch Normen zur Vergütung des Vertreibers. Das ist zum einen deshalb von Bedeutung, weil der Anwendungsbereich der IDD erheblich erweitert wurde: War von der IMD bislang nur die Versicherungsvermittlung betroffen, regelt die IDD nunmehr den gesamten Versicherungsvertrieb. Dazu gehört auch der Direktvertrieb durch Versicherungsunternehmen. Weiterlesen…