OLG Hamm: Patientenwunsch rechtfertigt keine Fehlbehandlung

In einer aktuellen Pressemitteilung befasst sich das OLG Hamm mit einer Entscheidung des 26. Zivilsentats. Hier ging es um eine fehlerhafte zahnärztliche Behandlung:

„Verlangt ein Patient eine Behandlung, die gegen medizinischen Standard verstößt, muss ein Arzt diese ablehnen. Auch eine eingehende ärztliche Aufklärung über die möglichen Behandlungsfolgen legitimiert kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen. Unter Hinweis auf diese Grundsätze hat der 26. Zivilsenat des OLG Hamm am 26.4.2016 die erstinstanzliche Verurteilung eines Zahnarztes aus H. durch das LG Bochum bestätigt.“

Tatbestand

„Die heute fünfzigjährige Klägerin aus H. ließ sich von Ende des Jahres 2008 bis Anfang des Jahres 2010 vom beklagten Zahnarzt behandeln. Sie war mit einer durch einen anderen Zahnarzt eingegliederten Krone im Seitenzahnbereich unzufrieden und äußerte den Wunsch nach einer Sanierung ihrer Frontzähne. Der Beklagte stellte in ihrer Funktion gestörte Kiefergelenke, eine craniomandibuläre Dysfunktion (CMD), fest. Diese wollte er zunächst mit einer Aufbissschiene therapieren, sodann die Seitenzähne stabilisieren, um erst dann mit der Sanierung der Frontzähne zu beginnen. Auf Wunsch der Klägerin  – so die Darstellung des Beklagten – begann er dann jedoch vorzeitig mit der Frontzahnsanierung. Infolge der Behandlung stellten sich bei der Klägerin eine zu niedrige Bisshöhe und eine Kompression der Kiefergelenke ein. Wegen der nach ihrer Auffassung fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung hat die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz verlangt, u.a. 25.000 Euro Schmerzensgeld, ca. 17.300 Euro Haushaltsführungsschaden sowie die Rückzahlung des an den Beklagten geleisteten Zahnarzthonorars von ca. 3750 Euro.

Das LG hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben, die Ersatzpflicht des Beklagten für weitere Schäden festgestellt und ihn zur Rückzahlung des Zahnarzthonorars verurteilt. Die Ermittlung der konkreten Schadenshöhe hat das Landgericht dem – noch durchzuführenden – Betragsverfahren vorbehalten.
Die Berufung des Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ist erfolglos geblieben.“

Aus den Günden:

„Der von einem zahnmedizinischen Sachverständigen beratene 26. Zivilsenat des OLG Hamm hat die vom LG dem Grunde nach festgestellte Schadensersatzpflicht des Beklagten bestätigt. Die Klägerin habe, so der Senat, unter einer CMD geglitten. Diese habe der Beklagte zunächst auch fachgerecht therapieren wollen. Hiervon habe er sich aber abbringen lassen und die notwendige Schienentherapie nicht im erforderlichen Umfang durchgeführt. Die endgültige Frontzahnsanierung habe er behandlungsfehlerhaft zu früh begonnen. Hierdurch sei die Bisshöhe falsch festgelegt worden, es habe sich eine Kompression der Kiefergelenke eingestellt, die durch die weitere Behandlung nicht beseitigt worden sei.
In diesem Zusammenhang könne sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass die Klägerin ein Vorziehen der Frontzahnsanierung ausdrücklich verlangt habe. Selbst wenn man ein solches Verlangen unterstelle, verstoße die gewünschte Behandlung gegen den medizinischen Standard und habe vom Beklagten abgelehnt werden müssen. Auch eine eingehende ärztliche Belehrung über die möglichen Behandlungsfolgen legitimiere kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen. Im Übrigen habe der Beklagte auch nicht hinreichend dargelegt, die Klägerin eindringlich auf die dauerhaften Beeinträchtigungen und Auswirkungen einer perpetuierten CMD hingewiesen zu haben.
Die Klägerin habe zudem Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Zahnarzthonorars. Die Leistung des Beklagten sei insgesamt unbrauchbar gewesen und könne bei der künftigen zahnärztlichen Behandlung der Klägerin keine Verwendung finden.
Rechtskräftiges Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26.04.2016 (26 U 116/14)“

Pressemitteilung des OLG Hamm vom 27.6.2016

OLG Hamm: Kündigung eines Bausparvertrags zur Zinsersparnis – OLG Hamm bestätigt seine bisherige Rechtsprechung

Der 31. Zivilsenat des OLG Hamm hat mit drei heute verkündeten Urteilen die Klagen dreier Bausparer aus Meschede, Herzogenrath und Essen gegen eine in Münster ansässige Bausparkasse abgewiesen und damit die erstinstanzlichen Entscheidungen des LG Münster in den drei Prozessen bestätigt.
Die von den Bausparern erhobenen Klagen auf Feststellung des Fortbestehens der von ihnen jeweils mit der Bausparkasse abgeschlossenen Bausparverträge sind damit auch in 2. Instanz erfolglos geblieben. Die Bausparkasse hatte die Bausparverträge gekündigt, weil die Bausparer auch zehn Jahre nach der Zuteilungsreife der Verträge keine Darlehen in Anspruch genommen hatten und für die angesparten Gelder weiterhin den jeweils vereinbarten Sparzins von 2,5 % bzw. 3 % erhielten.
Nach Auffassung des Senats waren die Kündigungen gerechtfertigt, weil sich die Bausparkasse auf das in § 489 BGB geregelte Kündigungsrecht berufen konnte. Der Senat hat damit an seiner Rechtsprechung in früher entschiedenen Fällen mit einer vergleichbaren rechtlichen Problematik festgehalten und sich der hiervon abweichenden aktuellen Rechtsprechung des OLG Stuttgart (VersR 2016, 865 und vom 4. 5. 2016 – 9 U 230/15) nicht angeschlossen.
Wegen der derzeit unterschiedlichen obergerichtlichen Rechtsprechung hat der 31. Zivilsenat des OLG Hamm in allen drei Fällen die Revision zugelassen, sodass die unterlegenen Bausparer eine höchstrichterliche Entscheidung durch den BGH herbeiführen können.
OLG Hamm, Urteile vom 22. 6. 2016 (31 U 234/15, 31 U 271/15 und 31 U 278/15)
(Pressemitteilung vom 22. 6. 2016)

Drees/Koch/Nell, Aktuelle Probleme des Versicherungsvertrags-, Versicherungsaufsichts- und Vermittlerrechts

Das Hamburger Zentrum für Versicherungswissenschaft legt in der Hamburger Reihe D (Verlag Versicherungswirtschaft) die besten Abschlussarbeiten aus dem Masterstudiengang Versicherungsrecht der Universität Hamburg einem breiteren Fachpublikum vor. Der berufsbegleitende und praxisbezogene Studiengang vermittelt vertiefte Kenntnisse des deutschen und darüber hinaus Grundzüge des englischen, österreichischen und schweizerischen Privatversicherungsrechts. Die Dozenten sind renommierte Hochschullehrer und Praktiker aus dem In- und Ausland. Bd. 7 präsentiert Abschlussarbeiten des Jahrgangs 2013–2015, die von beiden Gutachtern überdurchschnittlich bewertet wurden.
Judith Klauner schreibt über „Die private Krankenversicherung im Spannungsfeld der Pflicht zur Versicherung“. Eine Arbeit mit dem Titel „Honorarvermittlung und die Vereinbarung von Abschlussentgelten mit dem Versicherungsnehmer“ legt Wolf Kindervater vor. Nadine Erke befasst sich mit dem Thema „Veränderungen des deutschen Lebensversicherungsmarktes durch das Lebensversicherungsreformgesetz 2014 – Chance und Herausforderungen für Versicherungsunternehmen, Verbraucher und Vertrieb“. Kai M. Schumacher verfasste eine „Kritische Stellungnahme zu den neuen Regelungen der Bewertungsreserven im Zuge des Lebensversicherungsreformgesetzes von 2014 – eine notwendige und ausgewogene Regelung?“. Kai Engelsberg ist mit einem Beitrag über „Die Insolvenzanfechtung im Rahmen der Warenkreditversicherung“ vertreten. Den „Sanktionen in der Warentransportversicherung“ widmet sich Ralf Röseler in seinem Beitrag. Abschließend behandelt Torsten W. Schanze „Die Grenzen des Verbots versicherungsfremder Geschäfte nach § 7 II VAG“.

Aktuelle Probleme des Versicherungsvertrags-, Versicherungsaufsichts- und Vermittlerrechts
Von Holger Drees, Robert Koch und Martin Nell (Hrsg.)
(Verlag Versicherungswirtschaft GmbH, Karlsruhe 2016, 638 S., kart., DIN A5, ISBN 978-3-89952-918-0, 74,99 Euro; Bd. 7 der Hamburger Reihe D – Hamburger Zentrum für Versicherungswissenschaft)

Rezension: Grenzüberschreitende Übertragung von Erst- und Rückversicherungsbeständen im Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht

Grenzüberschreitende Übertragung von Erst- und Rückversicherungsbeständen im Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht

Von Thomas Seemayer
(Verlag Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 2016, 332 S., kart., DIN A5, ISBN: 978-3-89952-905-0, 49,99 Euro; Bd. 28 der Düsseldorfer Reihe – Düsseldorfer Schriften zum Versicherungsrecht)
Nach Schmid (2010) und Bornschlegl (2014) kommt nun mit Seemayer (2016) die dritte Dissertation im noch jungen 21. Jahrhundert zu dem Thema „Bestandsübertragung“. Fast könnte man noch Müller-Magdeburg (1996) dazuzählen. Deutlich wird, dass es um wissenschaftlich hochinteressante Fragen geht. Weiterlesen…

OLG Hamm: 19-jähriger Feuerwehrmann als Brandstifter ist schadensersatzpflichtig

Zum Hintergrund:

Im Januar 2012 setzte der seinerzeit 19 Jahre alte Beklagte aus Kirchhundem, damals Mitglied der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr, die Gewerbehalle einer ortsansässigen Holzbearbeitungsfirma in Brand. Um einen Feuerwehreinsatz zu provozieren, bei dem er sich beweisen konnte, entzündete der Beklagte einen vor der Gewerbehalle stehenden Müllcontainer. Von diesem aus griff das Feuer auf die Halle über, die trotz des eingeleiteten Feuerwehreinsatzes bis zur Bodenplatte vollständig ausbrannte.
Für diese Tat und eine bereits zuvor begangene, weitere Brandstiftung verurteile das Amtsgericht Olpe den Beklagten im Juni 2012 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Vor dem Landgericht Siegen haben die geschädigte Holzverarbeitungsfirma, zugleich Grundstückseigentümerin, und ihre Gebäudeversicherung den Beklagten sodann zivilrechtlich auf Ausgleich der durch den Brand verursachten Schäden in Anspruch genommen. Die Gebäudeversicherung hat den von ihr mit ca. 228.000 Euro regulierten Gebäudeschaden geltend gemacht und die Holzverarbeitungsfirma ihre nicht durch Versicherungsleistungen abgedeckten Schäden, u. a. weitere Gebäudeschäden sowie Schäden an der Betriebseinrichtung und den Vorräten, die sich nach den insoweit bestehenden Versicherungen als Selbstbehalt tragen muss.
Das Landgericht Siegen hat den Beklagten in den Zivilprozessen dem Grunde nach für uneingeschränkt haftbar angesehen und ihm in der Höhe zur Zahlung nachgewiesener Schadensbeträge verurteilt, u. a. in Höhe von ca. 228.000 Euro an die Gebäudeversicherung (Urteil des LG Siegen vom 30. 4. 2015  – 8 O 133/12 -, beim OLG Hamm Az. 9 U 117/15) und in Höhe von 50.000 Euro an die Holzverarbeitungsfirma (Grund- und Teilurteil des LG Siegen vom 26. 10. 2015 – 8 O 43/13 -, beim OLG Hamm Az. 9 U 232/15).
Die Entscheidungen des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. 2. und 1. 4. 2016:
Nach den vom 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Berufungsverfahren getroffenen Entscheidungen haftet der Beklagte für die durch den Brand verursachten Schäden in vollem Umfang, weil er das Gebäude bedingt vorsätzlich in Brand gesetzt hat und seine zivilrechtliche Verantwortlichkeit dabei weder ausgeschlossen noch gemindert war.

Zu den Gründen:

Der Beklagte habe, so der 9. Zivilsenat, den Müllcontainer absichtlich entzündet und dabei das Abbrennen der Gewerbehalle mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen. In den erstinstanzlichen Klageverfahren habe er zugestanden, dass die Flammen vom Müllcontainer auf die Halle übergegriffen hätten und sei an diesen Vortrag im Berufungsverfahren gebunden. Seine weitere Einlassung, er habe nicht damit gerechnet, dass das Feuer vom Müllcontainer auf das Gebäude übergreife, sei widerlegt. Dafür sprächen die Erfahrungen aus seiner früheren Brandstiftung. Bei dieser habe er eine ca. 50 cm vor einer Holzvertäfelung stehende Kiste in Brand gesetzt, von der die Flammen dann auf das holzvertäfelte Gebäude übergriffen hätten und das Gebäude abbrennen ließen. Ausgehend hiervon habe der Beklagte gewusst, dass das Inbrandsetzen eines Gegenstands im unmittelbaren Bereich eines Gebäudes geeignet sei, auch das Gebäude in Brand zu setzen. Das jedenfalls dann, wenn das Gebäude – wie vorliegend die Gewerbehalle – in einer Holzbauweise errichtet sei. Zudem habe der Beklagte den Ort seiner Brandstiftung auch erst verlassen, als der Müllcontainer selbstständig brannte und nicht nur schmorte, wobei er in unmittelbarer Nähe gelagerte brennbare Materialien gesehen habe. Bei diesen Umständen habe es keinen Anhaltspunkt für die Annahme gegeben, der Brand werde der Gewerbehalle nichts anhaben können.
Für den Brandschaden sei der Beklagte verantwortlich, er habe schuldhaft gehandelt. Er leide an keiner schweren Persönlichkeitsstörung, die seine freie Willensbildung ausgeschlossen habe, sodass er seine Entscheidung zum Handeln nicht mehr von vernünftigen Erwägungen habe abhängig machen können. Soweit bei ihm von einem medizinischen Sachverständigen eine Pyromanie und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ diagnostiziert worden sei, sei dies keine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung, die seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben oder eingeschränkt habe.
Rechtskräftige Beschlüsse des 9. Zivilsenats des OLG Hamm in den Verfahren – 9 U 117/15 – und – 9 U 232/15- , jeweils vom 16. 2. 2016 und vom 1. 4. 2016.

Pressemitteilung des OLG Hamm vom 15. 6. 2016