Rezension: Das Äquivalenzprinzip im Privatversicherungsrecht

Die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung in einem Vertrag bezeichnet man als Äquivalenz. Rapp untersucht Fragen, die sich mit der Äquivalenz gerade im Versicherungsvertrag ergeben oder ergeben könnten. Dabei unterscheidet er eingangs zwischen der Individualäquivalenz bezüglich des Einzelrisikos und der Globaläquivalenz beim Versichertenkollektiv. Kernfrage seiner Untersuchung soll sein, „ob – und wenn ja, in welchem Umfang – die bei einer ersten Betrachtung konträr zu allgemeinen Vertragsrechtslehren und der Privatautonomie stehende Existenz einer Äquivalenzbeziehung im Sinne eines Äquilibriums der Leistungspflichten als Grundprinzip des Privatversicherungsrechts Bestand haben kann“. Rapp möchte dabei Leitlinien und Prinzipien erarbeiten, die zugleich als Argumentationstopoi in der versicherungsvertraglichen Dogmatik fungieren können.
Die Arbeit ist gegliedert in vier Teile mit den Kapiteln:
Prolegomena;
Historische, verfassungsrechtliche und rechtsvergleichende Rahmenbedingungen;
Ausprägungsformen und Rechtfertigung vertraglicher Äquivalenz;
Risikoäquivalenz als Strukturprinzip des Privatversicherungs-
rechts;
Anforderungen an die Prämiengestaltung im System vertraglicher Äquivalenz;
Die Grenzen der Risikoäquivalenz;
Die Erhaltung der Risikoäquivalenz im Vertragsvollzug;
Äquivalenzerhaltung bei der vertraglichen Rückabwicklung;
Die Justiziabilität des Äquivalenzverhältnisses und schließlich
Epilegomena. Daraus seien hier einige Punkte herausgegriffen.
Das Prinzip der Individualäquivalenz scheint für Rapp zunächst zu bedeuten, dass der Versicherer risikoorientierte Prämien kalkulieren und vereinbaren darf. Globaläquivalenz sieht er, wo die Summe der Prämien zur dauerhaften Insolvenzvermeidung geeignet ist. Hierin sieht er auch Strukturmerkmale des Privatversicherungsrechts, die unter dem Schutz der Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG stehen.
Im historischen Teil arbeitet Rapp besonders die Entwicklung der Versicherungsmathematik heraus, wie sie es für die verschiedenen Bereiche immer mehr vermag, Schadenshäufigkeit und -durchschnitt zu erfassen, schließlich in der Lebens- und Krankenversicherung zur über die Laufzeit im Prinzip gleichbleibenden Prämie und zur Auskehr von Überschussanteilen gelangt. Das wird bereichert um den Blick auf die entsprechende Entwicklung im US-amerikanischen und im britischen Recht.
Im Rahmen von Kap. 3 stellt Rapp präzise den Aufbau der Versicherungsprämie dar, wie er sein sollte, auch wenn das Ideal nicht immer erreicht wird. Hier geht er auch ausführlich auf den intertemporalen Ausgleich im Kollektiv und die Glättungsfunktion von versicherungstechnischen Rückstellungen ein. Das präzisiert er an der Lebens- und an der Krankenversicherung, wo beim jungen VN zunächst mehrere Jahre lang mehr Risikobeitrag erhoben wird, als zunächst erforderlich, später weniger. Das zunächst statisch begriffene Äquivalenzprinzip erfahre durch die Alterungsrückstellung eine dynamische Überformung und werde zugunsten einer intertemporal begriffenen Risikoproportionalität in den Hintergrund gedrängt.
Es folgen Ausführungen zu den betriebs- und volkswirtschaftlichen Aspekten für die Erhebung risikogerechter Prämien. Zwar muss jeder Kaufmann seine Preise an den Kosten orientieren, zu Recht weist Rapp aber darauf hin, dass der Versicherer nie vollständige Kenntnis aller letztlich risikorelevanten Faktoren hat. Er problematisiert in diesem Zusammenhang auch richtig die Fälle sehr intensiver Prämiendifferenzierung. Als Auftrag an den Gesetzgeber sieht er das Gebot der Erhaltung des Äquivalenzprinzips.
Kern der Arbeit ist wohl ihr umfangreicher Teil 2. Hier untersucht Rapp praktisch alle Möglichkeiten risikogerechter Kalkulation im Versicherungsbereich. Dabei geht er ebenso auf die Besonderheiten der Erfahrungskalkulation (Beispiel: Schadenfreiheitsrabatt) wie auch auf gesetzliche Schranken der Kalkulation bzw. Vorschriften für sie ein. Herbe Kritik erfährt die Rechtsprechung des EuGH zur Geschlechterdiskriminierung in der Lebensversicherung. Hier seien Schlussantrag und Urteilsbegründung ersichtlich von dem Willen getragen, das gewünschte Ergebnis herbeizuführen, auch wenn keine tragfähige Begründung dafür geliefert werden könne. Naturgemäß unterlaufen dem Autor bei der Fülle der von ihm erörterten Gesichtspunkte auch einmal (kleine) Schnitzer. Ein Beispiel dafür findet sich bei der Erörterung der Staatsangehörigkeit als Tarifierungsmerkmal. Dies wollten Kfz-Versicherer in den 1980er-Jahren einführen, scheiterten damit aber am BAV und am BVerwG. Hierzu führt Rapp aus, BAV „und die Instanzgerichte“ hätten das abgelehnt, da dieses Merkmal „nicht zur Differenzierung geeignet“ sei. 1988 war aber das BVerwG für die Entscheidung über Verwaltungsakte des BAV erst- und letztinstanzlich zuständig. Es gab insofern keine instanzgerichtlichen Entscheidungen. Zudem gab es die Tarifverordnung, die bestimmte Tarifierungsmerkmale vorgab, nicht genannte wie z. B. die Staatsangehörigkeit aber akzeptiert hätte, wären sie „besonders“ geeignet. Diese besondere Eignung der Staatsangehörigkeit als Tarifierungsmerkmal sah das BVerwG nicht und lehnte das Klagebegehren deshalb zu Recht ab. Am Basistarif in der privaten Krankenversicherung übt der Autor ebenfalls heftige Kritik. Hier gehe es eigentlich um eine der Sozialhilfe obliegende Aufgabe. Aber die Sozialisierung innerhalb der Privatversicherung schone die Staatskasse. Auch beim Notlagentarif würden Aufgaben des Sozialstaats ins Privatrecht verschoben.
In Teil 3 untersucht Rapp praktisch alle Fragen, die sich bezüglich der Äquivalenz im Vertragsablauf ergeben können. Das beginnt mit den Anzeigepflichten, betrifft die Gefahrerhöhung oder Prämienanpassungsklauseln. Breiten Raum nehmen die Anpassungsrechte in der Lebens- und Krankenversicherung ein. In diesem Zusammenhang erörtert Rapp auch richtig die Überschussbeteiligung. § 153 sieht er als unmittelbaren Ausfluss des versicherungstechnischen Äquivalenzprinzips, da der Lebensversicherer durch die Erhebung konservativer Prämien erhebliche Gewinne realisieren könne.
Im Weiteren erörtert Rapp das Äquivalenzprinzip bei vertraglicher Rückabwicklung im Rückgewährschuldverhältnis. Da er die Gefahrtragungstheorie ablehnt schlägt er vor, das Problem ex post faktischer Gefahrtragung mit der Rechtsfigur des fehlerhaften Versicherungsverhältnisses zu lösen.
In der Zusammenfassung steht auch, dass Risikoäquivalenz kein starres Prinzip mit unveränderlichen Prämissen handele. Sie sei wirtschaftlich sinnvoll, aber kein notwendiges Element des Versicherungsvertrags im Einzelfall. Es handele sich um eine Chimäre, die Teilaspekte verschiedener Wissenschaftsdisziplinen vereine.
Insgesamt behandelt das Werk praktisch alle in den letzten Jahrzehnten problematisierten Fragen des Versicherungsrechts. Rapp dringt tief in die Probleme ein. Ein wichtiges Anliegen ist ihm wohl auch, dass Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Versicherungswesen die Sachgesetzlichkeiten dieses Wirtschaftszweigs sorgsam berücksichtigen mögen.
Die sehr kompliziert geschriebene Arbeit ist 2018 mit dem Helmut-Kollhosser-Preis ausgezeichnet worden.

Der Rezensent, Detlef Kaulbach, ist Rechtsanwalt in der Kanzlei DLA Piper UK LLP, Köln.

Das Äquivalenzprinzip im Privatversicherungsrecht
Von Julian Philipp Rapp
(Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2019, 445 S., geb., DIN A5, ISBN 978-3-16-156790-2, 109 Euro; Bd. 22 der Freiburger Rechtswissenschaftlichen Abhandlungen)

(Die Rezension ist abgedr. in VersR 2019, 340)