Schmerzensgeld – die schillernde Allzweckwaffe

Schmerzensgeld als Spiegel des Zeitgeists

Das Schmerzensgeld ist der am schwersten greifbare Bestandteil der Entschädigung für Personenschäden. Welche Summe bei einem Nichtvermögensschaden einer „billigen“ Entschädigung entspricht, lässt sich nun einmal nicht exakt bemessen. Damit bleibt viel Raum für Interpretation, sowohl im Hinblick auf den Anwendungsbereich als auch hinsichtlich der Höhe. In der Vergangenheit führte dies dazu, dass das Schmerzensgeld vielen deutschen Zivilrechtsdogmatikern anrüchig oder zumindest suspekt erschien. Entsprechend lange dauerte seine Eingliederung ins „reguläre“ Schadensersatzrecht: Erst seit 1990 sind Schmerzensgeldansprüche uneingeschränkt vererbbar. Die Verlagerung vom Deliktsrecht ins Schadensersatzrecht und damit die Erstreckung auf die Gefährdungshaftung erfolgte sogar erst 2002, zusammen mit der Beseitigung von Anachronismen wie dem Anspruch der „Frauensperson“, die durch „Hinterlist“ zur „außerehelichen Beiwohnung bestimmt“ wurde (§ 847 Abs. 2 a.F.). Letztes Relikt der dem Schmerzensgeld in Deutschland entgegengebrachten Skepsis ist § 253 Abs. 1 BGB („Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden“).

So alt wie die Diskussion um das Schmerzensgeld allgemein ist die Frage, wie es zu be­messen ist. Neben der Schwere der Verletzung und der Dauer der Beeinträchtigung werden hierfür je nach Einzelfall die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten, die Existenz und das (fehlende) Wohlverhalten eines beteiligten Haftpflichtversicherers (z.B. OLG Hamm NJW-RR 2018, 1181; OLG Schleswig NJW-RR 2019, 347) oder der Verschuldensgrad des Schädigers ins Spiel gebracht. Daran hat auch die verschuldensunabhängige Gewährung von Schmerzensgeld im Rahmen der Gefährdungshaftung seit 2002 nichts geändert. Vom Weiterleben des Endlosstreits über das Verhältnis von Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion ganz zu schweigen (hierzu bereits 1955: Großer Senat des BGH, BGHZ 18, 149 = VersR 1955, 615, bestätigt 2016 durch die Vereinigten Großen Senate des BGH, BGHZ 212, 48 = VersR 2017, 180). Neuester Ansatz für eine stärkere Objektivierbarkeit der Schmerzensgelder ist die Idee eines Tagessatzes, basierend auf der Dauer und Schwere der Beeinträchtigung und gekoppelt an das Durchschnittseinkommen (OLG Frankfurt VersR 2019, 435 = NJW 2019, 442). Wie damit eine adäquate Entschädigung für schwerstes, aber zeitlich begrenztes Leid (zum Beispiel mehrtägige Folter bis zum Tod des Opfers), erzielt werden soll, bleibt unklar. Ebenso, wie auf diesem Weg die vom BGH stets geforderte Würdigung aller Umstände (vgl. statt aller BGHZ 212, 48 = VersR 2017, 180), eben eine „billige“ Entschädigung, wie in § 253 Abs. 2 BGB festgelegt, erfolgen soll. Eindeutig ist dagegen die Tendenz zu höheren Schmerzensgeldern: Lag die Obergrenze lange Zeit bei 500.000 € für schwerste dauerhafte Schäden bei Kindern, werden mittlerweile bis zu 800.000 € zugesprochen (OLG Oldenburg VersR 2020, 1468 = MDR 2020, 673).

Wer jedoch meint, das Schmerzensgeld sei ein eher altertümlicher Schadensposten, dominiert von dogmatischen Grundsatzdiskussionen, irrt. Vielmehr spiegelt sich in der Schmer­zensgeldrechtsprechung das pralle Leben in allen seinen Facetten. Längst geht es nicht mehr nur um Körperverletzungen, Sittlichkeitsdelikte oder Freiheitsberaubung. Insbesondere psychische Beeinträchtigungen gewinnen seit Jahrzehnten an Bedeutung. So können seit 2017 auch in Deutschland Angehörige Getöteter ein Hinterbliebenengeld verlangen (§ 844 Abs. 3 BGB). Zuvor war eine Entschädigung in diesen Fällen nur beim Nachweis eines (eigenen) Schockschadens oder posttraumatischer Belastungsstörungen möglich. Damit dürfte hoffentlich die Notwendigkeit entfallen, darüber zu befinden, wann etwa die Trauer von Eltern, die den qualvollen (Unfall-)Tod ihres Kindes miterleben mussten, noch normal ist und wann schon krankhaft (vgl. dazu etwa noch BGH VersR 2006, 1653). Ob sich Gerichte dafür künftig häufiger mit der Frage befassen müssen, wie man ein „persönliches Näheverhältnis“ im Sinne des § 844 Abs. 3 BGB nachweist oder widerlegt, bleibt abzuwarten. Ein Schmerzensgeld für gegen den (mutmaßlichen) Willen des Patienten vorgenommene lebenserhaltende Maßnahmen gibt es dagegen weiterhin nicht, da das Weiterleben keinen Schaden im Rechtssinne darstellt (BGH VersR 2019, 760 = NJW 2019, 1741).

Aber auch Schmerzensgelder für weniger existenzielle Verluste beschäftigen die Rechtsprechung: Während Schmerzensgelder in Verbindung mit fehlgeschlagener Verhütung (BGH VersR 2007, 109; VersR 2008, 1265) oder auf Grund fehlerhafter ärztlicher Beratung unterbliebener Abtreibung (BGH VersR 1995, 1060) schon länger anerkannt sind, musste sich das OLG Hamm 2018 mit einer neuen Variante befassen: Eine Frau, bereits Mutter eines durch künstliche Befruchtung gezeugten Kindes, wollte ein zweites Kind von dem­selben (ihr unbekannten) Samenspender. Die zweite künstliche Befruchtung führte zur Geburt eines gesunden Kindes, das nach dem Ergebnis einer Blutuntersuchung aber einen anderen genetischen Vater hatte als das erste Kind. Dieser Umstand soll bei der Mutter zu Schuldgefühlen gegenüber beiden Kindern, Erschöpfungszuständen und weiteren psychi­schen Beeinträchtigungen geführt haben. Das OLG Hamm bestätigte das bereits vom LG zuerkannte Schmerzensgeld von 7.500 € (NJW 2019, 523). Zweifel am Kausalzusammenhang zwischen dem Pflichtverstoß der Ärzte (Verwendung eines anderen als des vertraglich vereinbarten Spermas) und den psychischen Problemen der Mutter sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Andere Schmerzensgeldurteile werden bei näherer Betrach­tung plausibler, als es auf den ersten Blick den Anschein hat: Reißerische Überschriften wie „5.000 € Schmerzensgeld für missglückte Blondierung beim Friseur“ lassen amerikanische Verhältnisse vermuten. Grundlage der Entscheidung des OLG Köln (v. 19.6.2020 – 20 U 287/19) war jedoch nicht eine unerwünschte Blondvariante. Vielmehr hatte die von der Friseurin aufgetragene Blondierungscreme bei der Klägerin zu handtellergroßen Verbrennungen und Verätzungen am Hinterkopf geführt, die eine mehrmonatige ärztliche Behandlung erforderlich machten, bleibende Schäden nicht ausgeschlossen.

Abzuwarten bleibt schließlich, inwieweit der durch Art. 82 Abs. 1 DSGVO 2018 eingeführte An­spruch auf Entschädigung immaterieller Schäden bei Datenschutzverstößen künftig an Bedeutung gewinnt. Die bislang spärliche Rechtsprechung hierzu ist uneinheitlich (vgl. einerseits OLG Dresden v. 11.6.2019: keine Entschädigung für Bagatellschäden, MDR 2019, 1193, andererseits ArbG Düsseldorf v. 5.3.2020: 5.000 € für eine unzureichende Auskunft über gespeicherte Daten, NZA-RR 2020, 409). Da im Datenschutzrecht die von Art. 84 Abs. 1 DSGVO geforderte abschreckende Wirkung von Sanktionen – im Gegensatz etwa zu Verstößen gegen das AGG – bereits durch die Geldbußen nach Art. 83 DSGVO gewährleistet ist (Höhe bis zu 4 % des weltweiten Jahresumsatzes!), sprechen jedenfalls gute Argumente für die restriktivere Auslegung der Entschädigungsregelung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO.