Was ist maßgeblich?

Unterschiedliche Informationspflichten bei Prämien- und Bedingungsanpassung?

Viele Fragen ranken sich um die Durchführung einer Vertragsanpassung in der privaten Krankenversicherung, erst recht um eine am Ende erfolgreiche, also rechtswirksame Änderung. Zunächst stand die Unabhängigkeit des Treuhänders im Fokus. Was macht einen Treuhänder abhängig? Darf es sich um einen ehemaligen Angestellten handeln? Welchen Teil seines Einkommens darf er aus dem Treuhandauftrag generieren? Der BGH (VersR 2019, 283) hat sich in Bezug auf diese und ähnliche in den Instanzen heftig umstrittenen Fragen der Stimme enthalten und salomonisch geurteilt, dass sie von den Zivilgerichten nicht beantwortet werden können, weil sie Teil der aufsichtsrechtlich geregelten Treuhänder-Bestellung sind. Sodann ist die Wirksamkeit des § 8b Abs. 2 MBKK in den Fokus erst der Verbraucheranwälte und dann auch der Gerichte geraten (weil danach der Versicherer von einer Prämienanpassung absehen kann und nicht muss, wenn sich die Verhältnisse nur vorübergehend geändert haben; vgl. OLG Köln, BeckRS 2020, 21286, Rz. 44 ff. [45]; LG Bonn, r+s 2020, 646 mit einer teils kritischen Anmerkung von Rogler). Umstritten ist auch Frage nach dem Verhältnis zwischen Prämien- und Bedingungsanpassung. Muss der Versicherer die Prämien erhöhen, wenn die gesetzlichen Parameter dafür eingetreten sind? Oder darf er stattdessen – sozusagen als milderes Mittel – eine Leistung kürzen, um die gestörte Vertragsäquivalenz wiederherzustellen? Das kann ja durchaus im Interesse der Versicherungsnehmer liegen: lieber eine Therapiesitzung beim Psychotherapeuten weniger, dafür aber Geld gespart. Das gelegentlich behauptete „Primat der Prämienanpassung“ überzeugt nicht, vielmehr stehen beide Instrumente gleichwertig nebeneinander (zu diesem Problem vgl. Langheid, FS Kollhosser, 2004, S. 234 ff.). Beide Streitpunkte harren noch einer höchstrichterlichen Beilegung.

Anders ist das seit Neuestem bei den „maßgeblichen Gründe“ des § 203 Abs. 5 VVG. Deren Mitteilung ist Voraussetzung für die einseitige Anpassung des bestehenden Versicherungsvertrags. Darüber, was maßgeblich ist, herrschte „in Literatur und Rechtsprechung weitgehend Uneinigkeit“ (so Franz in VersR 2020, 449 [454]). Vertreten wird alles Denkbare. Für eine bloß formale Erfüllung plädiert Reinhard (in: Looschelders/Pohlmann, 3. Aufl., § 203 Rz. 1). Mehr, nämlich eine Darlegung, ob die verlangte Prämienerhöhung auf vermehrten Kopfschäden, eine veränderten Sterbewahrscheinlichkeit oder einem geänderten Rechnungszins beruht, erwarten OLG Celle (VersR 2018, 1179; in diese Richtung auch OLG Köln, BeckRS 2020, 21286, das die konkrete Benennung der ausgelösten Rechnungsgrundlage verlangt); Brand, VersR 2018, 453 [455]; Voit in: Prölss/Martin, 30. Aufl., § 203 Rz. 49; Muschner in: Langheid/Rixecker, 6. Aufl., § 203 Rz. 69 f. und Kalis, r+s 2018, 464 [469]).  Eine substantiierte Erläuterung der Rechnungsgrundlagen verlangen Brömmelmeyer (in: Schwintowski/Brömmelmeyer, 3. Auf., § 203 Rz. 47) und Klimke, VersR 2016, 22 f., letzterer gar eine namentliche Benennung des tätigen Treuhänders (ihm folgend LG Neuruppin, VersR 2018, 469).

Das alles dürfte jetzt (Rechts)Geschichte sein: Der BGH hat am 16.12.2020 entschieden, dass aus dem Wort „hierfür“ abzuleiten ist, dass die Veränderung der für die Prämienanpassung maßgeblichen Rechnungsgrundlage zu nennen sind, mehr nicht (aber auch nicht weniger, vgl. die Pressemitteilung des BGH Nr. 161/2020). Roma locuta, causa finita? Man wird sehen. Unbeachtet geblieben ist bisher, worauf das Mitglied der seinerzeitigen VVG-Reformkommission Boetius aufmerksam gemacht hat, dass es nämlich einen Unterschied geben muss zwischen den „maßgeblichen Gründen“ des Abs. 5 und den „maßgeblichen Rechnungsgrundlagen“ des Abs. 2. Aber welchen? Die Nennung der wichtigsten Gründe seien die, die die Rechtsposition des VN am stärksten veränderten (Boetius, in: Langheid/Wandt, MünchKomm/VVG, 2. Aufl., § 203 Rz. 1156 und 1156 b). Hilft das? Es entbrennt natürlich sogleich ein innerer Diskurs, was denn präzise die Rechte des Versicherungsnehmers „am stärksten“ im Boetiusschen Sinne verändert. Ein Blick in den Entwurf der Reformkommission 2008 könnte helfen. Dort war nämlich vom Maßgeblichen noch keine Rede, sondern nur von einer Nachricht. So lautete § 195 Abs. 4 VVGE: „Soweit nichts anderes vereinbart ist, werden Änderungen nach den Abs. 2 und 3 zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Benachrichtigung des Versicherungsnehmers folgt“ (Abschlussbericht der Kommission, VersR-Schriftenreihe Nr. 25, S.272; für eine Veränderung gegenüber dem alten § 178g Abs. 4 wurde kein Anlas gesehen, S. 413). Eine Benachrichtigung des Versicherungsnehmers reichte also. Was könnte den Gesetzgeber veranlasst haben, den weisen Vorschlag der Kommission auf so interpretationsfähige Weise zu ändern? Klar scheint zu sein, dass sich die Informationspflicht gem. Abs. 5 nicht auf die Prämienanpassung beschränkt, aber es stellt sich die Frage, ob das Wort „oder“ nicht eine Zäsur zwischen Prämien-Neufestsetzung und Bedingungsänderung darstellt und das nachfolgende Wort „und“ dann ausschließlich mit der Bedingungsänderung verklammert ist. Wirksam wird die Anpassung zu Beginn des zweiten Monats, der „auf die ‚Mitteilung der Neufestsetzung‘ oder ‚der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe‘“ folgt. Maßgeblich für die Prämienanpassung ist die Änderung einer oder mehrerer Rechnungsgrundlagen. Diese steht fest und kann – auch ohne Erörterung der mathematischen Feinheiten – einfach mitgeteilt werden. Das scheint auch der BGH so gesehen zu haben. Eine Änderung der Verhältnisse im Gesundheitswesen i.S.d. Abs. 3 – was hat sich geändert und warum ist das relevant? – muss demgegenüber schon erläutert werden Das aber legt nahe, dass die nachträgliche Einfügung der „maßgeblichen Gründe“ in den ursprünglichen Vorschlag der Reformkommission darauf beruhte, dass der Gesetzgeber es vor allem in Ansehung der Bedingungsanpassung für erforderlich hielt, den Versicherungsnehmer nicht nur „einfach“ zu benachrichtigen, sondern diesem auch eine größtmögliche Transparenz zu verschaffen, indem ihm die wesentlichen Gründe für die Bedingungsanpassung offenzulegen sind. Das spricht dafür, dass die maßgeblichen Gründe nur bei der Bedingungsanpassung zu substantiieren sind, während bei der Prämienanpassung die Angabe der Veränderungen bei den (maßgeblichen) Rechnungsgrundlagen ausreicht.