Wohin führt die „Patientenreise“?
Was ist das überhaupt, die „Patientenreise“? Sie steht – angeblich – im „Fokus eines Gesundheitsökosystems“, wo sie „von einem Orchestrator“ angeführt wird, ein „klares Wertversprechen“ enthält und vom „Datenaustausch“ lebt. Nun weiß man bei „öko“ schon nie, welches „öko“ gemeint sein könnte, die Ökonomie oder die Ökologie. Hier aber steht das „Buzzword“ für ein Produkt der „digitalen Ökonomie“, das von einer „Gruppe weitgehend unabhängiger Wirtschaftsakteure“ betrieben wird, die „Produkte oder Dienstleitungen bereitstellen“, um so „eine kohärente Kundenlösung bereitzustellen“. Na also. Wer es genauer wissen will (also alle), sollten bei den Autoren Andreas Klar und Hannah Al-Sakati in der „Versicherungswirtschaft Heute“ vom 19.6.2023 nachlesen. Für die, die schon an der Heizungsmodernisierung und dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) oder an „Elster“ für die neue Grundsteuerberechnung scheitern, hier eine sicher unzureichende, aber hoffentlich halbwegs verständliche Zusammenfassung: es geht um den Patienten, der auf seinem Weg (der „Reise“) von der Prävention über die Diagnostik zur Akutbehandlung bis hin zur Nachsorge (alles wie früher) begleitet werden soll, aber jetzt von einem Orchester von Daten – Netzwerken, Telemedizinern (inkl. KI) und Digital – Therapeuten. Das konnte ja nicht gutgehen.
Oder doch? Das britische Unternehmen Babylon Health sammelte immerhin 1,2 Mrd. britische Pfund an Investmentkapital in insgesamt acht Finanzierungsrunden ein, ging dann an den New York Stock Exchange, wo sein Börsenwert rasch um 99 % (in Worten: neunundneunzig) fiel. Also, für die, die das Geld eingesammelt haben, ist das offenbar doch gut gegangen; das Geld ist ja nie weg, es ist nur woanders. Was die „Patientenreise“ und ihr vorzeitiges Ende angeht, weisen sich alle Akteure gegenseitig die Schuld zu: Die Investoren waren zu gierig, Babylon war zu langsam, der National Health Service (NHS), der noch nie richtig funktioniert hat, hatte zu große Einsparerwartungen, die Ärzte (hier Ärzt:innen genannt) zweifelten an der Qualität der KI und die Amerikaner wollten ohnehin nicht so recht mitmachen. Zu viele Dissonanzen im Orchester. Man hätte es ja ahnen können. Schon der Name Babylon hätte zur Warnung gereichen müssen. Babylon ist bekanntlich die Weltstadt aus vorchristlicher Zeit, die wegen des hebräischen, im Alten Testament auf den Turmbau zu Babel gemünzten Verbs balal = „verwirren, vermischen“ häufig als Synonym für eine „babylonische“ Sprachverwirrung benutzt wird. Aber hier ist ja nicht nur die Sprache verwirrt. Das Heilsversprechen, das gemeinhin mit solchen Worten wie KI, Werteversprechen, Nachhaltigkeit, digitale Ökonomie und/oder Transformation verbunden wird, scheint ja bei so manchem Manager und auch mancher Managerin das Blut an Stellen in Wallung zu bringen, wo es den für das rationale Denken vorgesehenen Hirnarealen entzogen wird. Das endet dann meistens eben so wie die „Patientenreise“. Balal!
Prof. Dr. Theo Langheid