VersR BLOG: Schlüsselklausel nach A § 3 Nr. 2 f VHB 2010, A 4.1.5.2 VHB 2016, A 4.1.52 VHB 2022, A § 1 Nr. 2 f AERB 2010 ist primäre Leistungsbeschreibung und keine verhüllte Obliegenheit

Von Prof. Dr. Peter Reusch

In einer wichtigen Entscheidung vom 5.7.2023 (BGH v. 5.7.2023 – IV ZR 118/22) hat der BGH eine seit Langem umstrittene Frage nach dem Rechtscharakter der sog. erweiterten oder einfachen Schlüsselklausel nun abschließend geklärt. Er hat festgestellt, es handele sich um keine verhüllte Obliegenheit, sondern eine primäre Leistungsbeschreibung, die nicht der Inhaltskontrolle unterliege und auch nicht gegen das Transparenzgebot verstoße.

Die oft als erweiterte oder einfache Schlüsselklausel bezeichnete Klausel ist schon systematisch etwas Besonderes, weil sie sowohl in den VHB als auch in den AERB Bestandteil des Paragrafen ist, der eigentlich die Tatbestände Einbruchdiebstahl, Raub und Vandalismus regeln soll. Der Entscheidung des BGH lag ein § 28 GWV der Bedingungen einer Hausratversicherung eines Versicherungsvereins zu Grunde, welcher vom Wortlaut her identisch mit der entsprechenden Klausel der Musterbedingungen des GDV zu den VHB 2010, 2016, 2022 ist.

VHB und die insoweit inhaltsgleichen AERB beinhalten allerdings zwei Schlüsselklauseln für Gebäude oder Räume von Gebäuden. Nach der ersten Klausel besteht Versicherungsschutz dann, wenn der Täter den richtigen Schlüssel nachweislich durch Einbruchdiebstahl oder Raub als sog. Schlüsselvortat erlangt haben. Dies bringen die Bedingungen deutlich zum Ausdruck, in dem dort im Hinblick auf Beschaffung des richtigen Schlüssels formuliert wird “ vorher durch Einbruchdiebstahl oder Raub“. Liegen diese Fallgestaltungen vor, so schadet dem VN oder dem Gewahrsamsinhaber leichte Fahrlässigkeit nicht. Es besteht Versicherungsschutz.

Anders ist es hingegen bei der zweiten Variante, der erweiterten oder einfachen Schlüsselklausel, die Gegenstand der Entscheidung des IV. Zivilsenates war. Sie lautet:

„Einbruchdiebstahl liegt vor, wenn der Täter in einen Raum eines Gebäudes mittels richtiger Schlüssel eindringt, die er ohne fahrlässiges Verhalten des berechtigten Besitzers durch Diebstahl an sich gebracht hat“.

Obwohl es sich um einen Paragrafen handelt, der nach seiner Überschrift den „Einbruchdiebstahl, Raub und Vandalismus“ regeln soll, betrifft die zweite Variante der Schlüsselklauseln nach dem eindeutigen Wortlaut nur den einfachen Diebstahl richtiger Schlüssel. Dies wird allgemein als Erweiterung des Versicherungsschutzes gegenüber der vorgenannten Klausel gesehen, die dann die Tatbestände Einbruchdiebstahl und Raub umfasst, während hier nun unter bestimmten Voraussetzungen auch Deckung für den einfachen Diebstahl geboten werden soll. Der Versicherungsschutz wird allerdings eingeschränkt, weil weder der Versicherungsnehmer (VN) noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht haben dürfen. Die Beweislast hierfür liegt beim VN.

Der Kläger behauptete, ihm sei im August 2017 aus seinem Firmenfahrzeug eine Aktentasche entwendet worden. Unter anderem habe sich in dieser ein Schlüsselbund mit Wohnungs- und Tresorschlüssel befunden. Daneben aber auch Rechnungen, aus denen sich die Wohnungsanschrift ergab. Kurze Zeit später hätten unbekannte Täter seine Wohnung betreten, den dort befindlichen Tresor geöffnet, diverse Wertgegenstände und Bargeld entwendet. Der Gesamtwert belaufe sich auf etwa 65.000 €.

Der Versicherer berief sich auf einen nicht versicherten Einbruchdiebstahl und auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls. In den Vorinstanzen war die Klage erfolglos geblieben. Der Kläger konnte dort den Beweis nicht erbringen, dass er das Fahrzeug ordnungsgemäß abgeschlossen hatte.

In der Revision hatte der Kläger vortragen lassen, die Klausel verstoße gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Er berief sich insoweit auf eine weitverbreitete Meinung in der Lehre, die auch vereinzelt in der Rechtsprechung vertreten wird. Zum einen sei es überraschend für den VN, dass im Paragrafen der den Einbruchdiebstahl regele, auch der einfache Diebstahl mitumfasst sei. Mit der Beschränkung des Versicherungsschutzes auf schuldloses Verhalten müsse der VN nicht rechnen. Die angebliche Erweiterung des Versicherungsschutzes sei wertlos und damit insgesamt auch intransparent. Hinzukomme zum anderen, dass wegen der Abweichung vom Verschuldens- und Beweismaßstab des § 81 VVG, sowie der Ausdehnung der Haftung des VN für das Verhalten Dritter, die nicht zugleich Repräsentanten des VN sind, die Klausel unwirksam sei.

Dieser Auffassung hat sich der BGH nicht angeschlossen. Vielmehr handele es sich um eine eigenständige Regelung einer versicherten qualifizierten Begehungsform des Diebstahls und damit um keine der Inhaltskontrolle unterliegende Modifizierung oder Änderung einer bestehenden Hauptleistungspflicht, sondern es liege eine kontrollfreie Bestimmung vor. Damit hat der BGH die Klausel auch nicht als Risikoausschluss angesehen, der ja kontrollfähig wäre. Als Definition des Versicherungsfalls gehöre sie zum Kern der Leistungsbeschreibung, weshalb sie sich einer inhaltlichen AGB-Kontrolle unterziehe. Es liege auch keine verhüllte Obliegenheit vor. Die Klausel sei soweit sie den Versicherungsschutz davon abhängig mache, dass die Schlüsselvortat ohne fahrlässiges Verhalten des berechtigten Besitzes erfolgt sein müsse, für den durchschnittlichen VN hinreichend verständlich. Auch der durchschnittliche VN könne der Klausel entnehmen, dass der Versicherer hier nur ausschnittsweise Deckung gewähren wolle und dem VN nicht einen bereits gegebenen Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens des berechtigten Schlüsselbesitzers wieder entziehen wolle.

Der BGH hält die Formulierung „fahrlässiges Verhalten“ in der Klausel für unproblematisch. Es handele sich um einen definierten Begriff der Rechtssprache nach § 276 BGB. Der Senat weist insoweit darauf hin, dass für den durchschnittlichen VN im Einzelfall nicht immer vorhersehbar sei, ob eine bestimmte Verhaltensweise als fahrlässig eingestuft werde. Das sei aber nicht Folge eines unklaren Begriffsverständnisses, sondern beruhe auf den tatsächlichen Schwierigkeiten, denen jeder Rechtsanwender bei der Feststellung des für die Subsumtion maßgeblichen Sachverhalts unterliege.

Der Kritik, wonach wegen der angeblich fehlenden hinreichenden Bestimmtheit der verwendeten Begriffe der Versicherer gehalten wäre, diese durch typische Beispielsfälle zu konkretisieren, hat der BGH eine deutliche Absage erteilt. Das ist gerade für die Praxis von besonderer Bedeutung, weil insbesondere in der Bedingungsarbeit des GDV immer wieder Wünsche erhoben werden, durch Beispielsfälle vermeintlich unklare Begriffe zu verdeutlichen. Z.B. in den ARB ist man dem in der inzwischen bereits gefolgt und versucht Begriffe durch Beispielsfälle zu verdeutlichen.

In bemerkenswerter Klarheit hält der BGH indessen fest, beispielhafte Aufzählungen, welche Verhaltensweisen als fahrlässig einzustufen seien, bzw. welche Person als berechtigter Besitzer anzusehen wäre, würden nicht zur zusätzlichen Klarheit beitragen. Vielmehr Abgrenzungsfragen nur verlagern und unter Umständen sogar erschweren, weil derartige Aufzählungen in der Gewichtung der Beispiele zusätzlichen Wertungen Raum geben können könnten, die dem an sich geläufigen Verständnis der verwendeten abstrakten Umschreibungen zuwiderlaufen würden.

Auch damit, dass der Paragraf eigentlich den Einbruchdiebstahl behandelt, hat der BGH kein Problem. Es gebe einen in seinen Konturen eindeutig festgelegten Begriff des Einbruchdiebstahls nur in § 242, § 243 StGB, darüber hinaus aber nicht. Unter Berufung auf den Duden meint der Senat, der Begriff Einbruchdiebstahl umfasse nur den nach Einbrechen in ein Haus oder einen Raum verübten Diebstahl. Der durchschnittliche VN werde nach dem Wortlaut der Klausel Leistungen jeweils nur für solche Begehungsweisen erwarten, bei denen der Täter gewaltsam und widerrechtlich unter Überwindung eines Hindernisses in ein versichertes Gebäude eindringe, worunter der Zutritt mit einem zuvor entwendeten Schlüssel nicht falle. Hier wäre aber anzumerken, dass in der Klausel der VN sehr wohl als Tatbestandsvoraussetzung die Worte „vom Eindringen in ein Gebäude mittels richtiger Schlüssel“ zur Kenntnis nehmen muss.

Der Schlüsseldiebstahl nach dieser Klausel kann innerhalb oder außerhalb des Versicherungsorts verübt worden sein. Damit muss der Täter das Gebäude nicht betreten. Ein Schlüsseldiebstahl kann damit auch bei einer Entwendung wie hier aus einem Kfz, oder beispielsweise auch durch Taschendiebstahl begangen werden.

Dogmatisch bedeutsam ist im Übrigen, dass der BGH die erweiterte Schlüsselklausel als primäre Leistungsbeschreibung ansieht und nicht als sekundären Risikoausschluss. Das hat auch für die Praxis erhebliche Bedeutung und kommt den Versicherern entgegen.

Bei einer primären Risikobeschreibung muss der VN den Eintritt des Versicherungsfalls „Diebstahl“ beweisen. Es ist damit Sache des VN zu beweisen, dass ihn im Hinblick auf den Schlüsselverlust keine Fahrlässigkeit trifft. Das wird ihm nur selten gelingen. Ist hingegen die Beschreibung der Gefahr als sekundäre Risikobeschreibung bzw. als Risikoausschluss formuliert, dann liegt die Beweislast dafür, dass die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, beim Versicherer. Der Risikoausschluss unterliegt im Übrigen auch vollumfänglich der Inhaltskontrolle nach 307 Abs. 3 S. 1 BGB.

Der BGH hat zwar nur zu sog. erweiterten oder einfachen Schlüsselklausel in den VHB judiziert. Da der Wortlaut der entsprechenden Klausel in den AERB identisch ist, gelten die Feststellungen des BGH gleichermaßen für A § 1 Nr. 2 f AERB 2010.

Der Autor, Prof. Dr. Peter Reusch, ist Honorarprofessor an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main und Leiter Recht & Compliance, Helvetia Versicherungen, Frankfurt am Main, i.R.