Jemand muss nur vage die Aussicht darauf in Betracht ziehen und alle gehen in Deckung: Oh, ein Shitstorm! Rette sich, wer kann! Ganz egal, wer da was zu sagen hat, ganz egal, ob der Shit (nomen est omen) auch von der äußeren Form her Shit ist (in der Anonymität des Internetz wagen sich ja meist die ganz nach vorne, die früher auf dem Schulhof die meiste Dresche abgekriegt haben) und es ist auch ganz egal, dass hier ein weises pro und contra in Form eines gescheiten Diskurses (Diskuss? Was für’n Diskuss?) nicht einmal ansatzweise denkbar ist.
So auch bei Herrn Ulrich Leitermann, Chef der Signal Iduna, der es gewagt hatte, angesichts der 100 Millionen, die sein Unternehmen dafür ausgibt, dass der Spielplatz der Borussia in Dortmund bis 2031 Signal Iduna Stadion heißen darf, den Spruch von ein paar Ultras (die ja nicht umsonst so heißen) „Für immer Westfalen Stadion“ zu kritisieren.
Es ist für diesen Blog ganz egal, wie man zur Teilhabe von kommerziellen Interessen am Sport steht, es geht um die Meinungsäußerung von Herrn Leitermann, die Reaktion darauf (Shitstorm) und die Reaktion auf die Reaktion (Panik). Die VW heute titelt am 20.4.2023 „Wie kann man so unsouverän sein Herr Leitermann?“ – BVB-Fans senden unmissverständliche Botschaft an Signal Iduna – Chef. Im Text steht dann als Konsequenz für den Leitermann-Spruch: „Ein Shitstorm, den die Signal Iduna nun unter Kontrolle bringen muss“. BILD kommt mit der Überschrift „Jetzt schießen die BVB – Fans gegen den Sponsor“ und schreibt anschließend was zur „überraschenden Kritik“ von Leitermann, die „bei BVB-Fans nur für Kopfschütteln“ sorge. Es sei doch eigentlich eine „harmlose Choreografie der Süd-Kurve“ gewesen, Leitermann habe unnötigerweise „teils heftige Reaktionen mancher Fans in den sozialen Medien“ ausgelöst. Ran spricht von einem „doppelten Eigentor“: die Kritik sei zwar berechtigt, aber es sei „unsouverän und überzogen“, so etwas „in der Öffentlichkeit“ zu tun. Das doppelte Eigentor sei auf den Streisand-Effekt (?) zurückzuführen: durch eine Aktion, die Ruhe bringen solle, werde das Thema erst richtig interessant. So sei jetzt das „Westfalen Stadion“ wieder in aller Munde und die Fans würden neue Aktionen planen. Leitermann sei „überheblich“ und er habe „die Fan-Kultur in Deutschland nicht verstanden“.
Aha! Jetzt wissen wir es genau. Eine allseits als berechtigt akzeptierte Kritik darf nicht in der Öffentlichkeit geäußert werden, offenbar wird das nur bei unsachlicher Kritik geduldet, wie die der Fans. Der Shitstorm als solcher hat Aufmerksamkeitswert, ob berechtigt oder nicht. Den muss man „unter Kontrolle“ bringen, egal, welcher Unsinn da verbreitet wird. Ausgerechnet BILD ist da wenigstens konsequent, wenn die Leitermann-Reaktion für „überraschend“ erklärt wird. Aber auch das kann ja nicht rechtfertigen, dass völlig unkritisch nicht über den Inhalt des Shitstorms nachgedacht wird, sondern nur das Faktum berichtet wird. Shitstorm? Das muss man unter Kontrolle bringen, egal, welcher Mist da verzapft wird. Besonders verrückt wird es, wenn einzelne Sprüche kolportiert werden und diese in eine überwältige Mehrheitsmeinung umgefälscht werden. Das kennt man bis zur Überdrüssigkeit: wenn dem Kommentator etwas persönlich nicht passt, beruft er sich auf anonyme Stimmen „aus der Opposition“ oder „aus renommierten Wissenschaftskreisen“, ohne Ross und Reiter zu nennen. Keine Nachfrage möglich: „Quellenschutz“! Man kann den Beteiligten nur raten, nicht weg zu ducken. Auch ein Wirtschaftsboss hat das Recht auf eine eigene Meinung, er darf sie sogar öffentlich äußern. Kritik daran muss er hinnehmen, aber nicht um ihrer selbst willen, selbst wenn sie massenhaft geäußert wird. Auf die Inhalte kommt es an. Und den Kommentatoren an der Seitenlinie wäre dringend zu raten, sich mit diesen Inhalten zu befassen anstatt hämisch auf „Eigentore“ (passt ja feinsinnig zum Fußball, aber wir haben ja die Seitenlinie) hinzuweisen. Nur durch eine solche Berichterstattung wird dem Shitstorm nämlich seine eruptive Kraft verliehen. Aber wahrscheinlich ist das alles falsch. Herr Leitermann wird sich von seinen Marketingfachleuten, von seinen Öffentlichkeitsberatern, von seiner Generation TikTok-Sachverständigen und seiner Inklusionsbeauftragten schon belehren lassen, dass er sich mit Bedauern öffentlich zu entschuldigen haben wird. Damit der Mob wieder Ruhe gibt.