VersR REPORT: Ausgewählte neuere Rechtsprechung zur Gewerbe- und Industrieversicherung

Von Dr. Christian Schneider und Dr. Thomas Fausten

Im Anschluss an die bisherige Online-Berichterstattung werden im Folgenden neuere Entscheidungen, insbesondere des BGH und der OLG, die im Bereich der gewerblichen und industriellen Versicherung ergangen sind, vorgestellt. Die Übersicht erstreckt sich auch auf in europäischen Nachbarländern ergangene Urteile und Rechtsstreitigkeiten, soweit von diesen eine Ausstrahlungswirkung auf das lokale Risikoumfeld erwartet wird.

In der jüngeren Vergangenheit war die Rechtsprechung insbesondere von den Themen Betriebsschließungsversicherung/Covid-19 und Abgas-Abschalteinrichtungen geprägt. Abseits davon ist die Palette der ergangenen und hier vorgestellten Entscheidungen breit gefächert. Sie reicht von Urteilen, die die Fallstricke von Führungsklauseln und Subsidiaritätsabreden vor Augen führen über den Erfüllungsschaden bis hin zur umweltbezogenen Aktionärsklage gegen einen Industriekonzern.

I. Betriebsschließungsversicherung und Covid-19

In Zusammenhang mit der während der Covid-19-Pandemie stark in den öffentlichen Fokus gerückten Betriebsschließungsversicherung erließ der BGH Anfang des Jahres 2022 ein erstes Grundsatzurteil (BGH v. 26.1.2022 – IV ZR 144/21, VersR 2022, 312). In diesem wurden zwei Kernprobleme erörtert: Zunächst war die Frage, ob der Eintritt des Versicherungsfalls die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden Infektionsgefahr (sog. intrinsische Gefahr) erfordert. Zwar war die Betriebsschließungsversicherung originär nicht darauf ausgerichtet, Schutz gegen Schließungen aufgrund von außerhalb des Betriebs entstandenen Infektionsquellen zu bieten, indes – so der BGH – hat diese Intention in den AVB keinen hinreichenden Ausdruck gefunden. Sodann leitet der BGH über zu der in der Instanzenrechtsprechung äußerst kontrovers diskutierten weiteren Frage, ob die Aufzählung von vom Versicherungsschutz erfassten Krankheiten bzw. Krankheitserregern in einer AVB-Klausel abschließend ist. Dem Versicherungsvertrag lagen die an den seinerzeitigen GDV-Vorschlag angelehnten „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008“ (ZBSV 08) zugrunde. Diese sicherten einen Ertragsausfallschaden bei dem Auftreten bestimmter, ausgewählter meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger ab, sofern diese in den Katalogen der §§ 6 und 7 IfSG enthalten waren. Nicht erwähnt wurden in den ZBSV 2008 indes die Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG, die als Generalnormen abstrakt auch neuartige Erreger wie etwa das SARS-CoV-2-Virus und daraus resultierende bedrohliche Krankheiten oder Gefahren beschreiben. Der klagende Unternehmer erachtete die in den AVB enthaltenden Regelungen als ihn benachteiligend und intransparent. Der BGH folgte dem indes nicht und legte im Rahmen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle mit jeweils ausführlichen Erwägungen dar, dass die infrage stehenden ZBSV 08 weder gegen das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verankerte Transparenzgebot verstoßen, noch darin i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB eine unangemessene Benachteiligung zu erkennen sei, insgesamt folglich eine wirksame Begrenzung des Deckungsumfangs des Versicherungsvertrages vorgenommen wurde. Abweichend von dieser Konstellation sind freilich Fälle zu beurteilen, in denen die Betriebsschließungsversicherung erst Anfang 2020 und nach dem Beginn der Pandemie – oder gerade deswegen – abgeschlossen wurden (so etwa OLG Oldenburg v. 15.11.2021 – 1 U 118/21, VersR 2022, 166).

In einem ähnlich gelagerten, u.a. auf Schadensersatz gerichteten Fall entschied der BGH unter Bezugnahme auf das gerade erwähnte Grundsatzurteil, dass dem Versicherer keine Beratungspflichten aus § 6 Abs. 1 und 4 VVG im Hinblick auf mögliche Deckungslücken zukommen, wenn aus dem Wortlaut der Bedingungen unmissverständlich hervorgeht, wann Versicherungsschutz im Falle einer Betriebsschließung bestehe. In einem solchen Fall sei folglich kein erkennbarer Anlass für eine weiter gehende Beratung gegeben (BGH v. 18.5.2022 – IV ZR 467/21, VersR 2022, 1505). Im Übrigen hob der BGH in seinem Beschluss hervor, dass § 1a VVG keine Bestimmungen zum Inhalt und Umfang des Leistungsversprechens des Versicherers enthalte (bestätigend insoweit auch BGH v. 26.1.2022 – IV ZR 144/21, VersR 2022, 312 Rz. 40).

Ein Schadensersatzanspruch wurde vom OLG Frankfurt auch einer gewerblichen Ausstellerin im Fall einer Corona-bedingten Messeabsage abgesprochen. Die Durchführung der Veranstaltung im März 2020 sei zwar nicht objektiv unmöglich i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB gewesen, hingegen sei die Bekl. aus dem Institut der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) zu einer Verschiebung des Termins der Messe mit der für die Kl. verbundenen Möglichkeit, sich mit dem neuen Termin einverstanden zu erklären, berechtigt gewesen (Pressemitteilung des OLG Frankfurt v. 7.9.2022 – 4 U 331/21, VersR Aktuell Heft 19/2022 R4).

Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt nach Auffassung des BGH hingegen nicht in Betracht, wenn das Gesetz bereits in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt: Dem Inhaber eines Fitnessstudios war es aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie über einen gewissen Zeitraum nicht möglich, das Studio zu betreiben (BGH v. 4.5.2022 – XII ZR 64/21, VersR 2022, 887.) Aus dem Umstand resultiert gegenüber seinem Vertragspartner indes kein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage dahin gehend, dass die vereinbarte feste Vertragslaufzeit um den Zeitraum der pandemiebedingten Schließung des Studios verlängert wird. Dogmatisch korrekt lässt der BGH das Begehren des Kl. auf Heranziehung des § 313 BGB an der Subsidiarität der Rechtsfigur im Verhältnis zur rechtlichen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB scheitern.

Wiederum im Rahmen einer Deckungsklage lehnte der BGH in einem Revisionsverfahren Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung für einen Catering-Service ab, der seinen Betrieb aufgrund Wegfalls der Nachfrage schloss und gegenüber dem Risikoträger das Vorliegen einer faktischen Betriebsschließung geltend machte. Zwar war dieser Umstand nach den vereinbarten AVB sogar versichert, jedoch nur dann, wenn der Zustand einer „faktischen Betriebsschließung“ durch behördliche Anordnung, etwa in Form von Tätigkeitsverboten gegenüber Betriebsangehörigen, herbeigeführt wird. Diese bedingungsgemäße Voraussetzung war im Fall jedoch ersichtlich nicht gegeben, da der Betrieb nicht von einer regional wirkenden Allgemeinverfügung (SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung) betroffen war. Ausgelöst wurde der Zustand der faktischen Schließung unstrittig durch den Wegfall der Nachfrage bzw. das Wegbleiben der Kundschaft. Eine solche mittelbare Beeinträchtigung – so der BGH – sei aber etwas anderes und bedingungsgemäß nicht versichert (BGH v. 21.9.2022 – IV ZR 305/21, Revision nach Hinweisbeschluss zurückgenommen, VersR 2022, 1507) dem ist zuzustimmen.

In Zusammenhang mit Beratungspflichten gegenüber dem VN im Rahmen des Abschlusses einer Betriebsschließungsversicherung sei noch auf ein Urteil des OLG Köln (OLG Köln v. 3.3.2022 – 9 U 184/21, VersR 2022, 1227) hingewiesen, in dem ausgeführt wird, dass allein der etwaige Wunsch des VN nach einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz keine Pflicht zu einer weiter gehenden Beratung begründet, weil anderenfalls die Beratungspflichten „uferlos“ wären. Diese Feststellung ist nicht richtig bzw. greift zu kurz: der ausdrückliche Wunsch eines VN, „umfassenden“ Versicherungsschutz erhalten zu wollen, löst sehr wohl eine entsprechende Beratungs- und Hinweispflicht aus, wie das OLG Köln in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1986 und 1993 festgestellt hat. (OLG Köln, r+s 1986, 273 [Rohrreinigungsunternehmen] und OLG Köln v. 14.1.1993 – 5 U 175/91, VersR 1993, 1385 [Öltank]; vgl. auch Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 6 Rz. 8; zu Beratungspflichten gegenüber dem VN bei komplexen Vertragsgestaltungen instruktiv Armbrüster in Langheid/Wandt, MünchKomm/VVG, 3. Aufl., § 6 Rz. 47.) Für VN bedeutet dies in der Praxis, im Zweifel stets nach einer umfassenden Versicherungslösung zu fragen.

Die Covid-19-Pandemie bewirkte einen Schub an AGB-rechtlicher Judikatur und die Überarbeitung zahlreicher Versicherungsprodukte sowie der dazugehörigen AVB, in die weitreichende Pandemie- und Viren-Ausschlussklauseln eingeflochten wurden. Auf prozessualer Ebene dürfte das Thema Corona weitestgehend erledigt sein.

II. Diesel-Klagen

In Zusammenhang mit dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in Kfz ergingen bereits in den Jahren 2019–2021 Entscheidungen des BGH von grundsätzlicher Bedeutung. In einem ersten Beschluss vom 8.1.2019 wurde festgestellt, dass eine nicht genehmigte, den Stickoxidausstoß lediglich auf dem Prüfstand und nicht im regulären Fahrbetrieb reduzierende Abschalteinrichtung dem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung nehme, da die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde bestehe, so dass ein weiterer ungestörter Betrieb des Fahrzeuges im öffentlichen Verkehr nicht gewährleistet sei. (BGH v. 8.1.2019 – VIII ZR 225/17, ECLI:DE:BGH:2019:080119BVIIIZR225.17.0 [VW, Modell Tiguan TDI, Motor Baureihe EA 189; das Aggregat unterlag einem im Oktober 2015 verfügten Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes – KBA). Der BGH ging folglich vom Vorliegen eines Sachmangels i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB und in weiterer Konsequenz daraus von einer Nachlieferung einer mangelfreien Sache gem. § 437 Nr. 1 BGB aus. Bei identischer technischer Sachlage bestätigte der BGH in seinem ersten Grundsatzurteil vom 25.5.2020 die Vorinstanz, die dem Kl. aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog einen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller zubilligte, auf den jedoch die gezogenen Nutzungsvorteile anzurechnen seien. (BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, ECLI:DE:BGH:2020:250520UVIZR252.19.0, VersR 2020, 988 [VW, Modell Sharan TDI, Motor EA 189]). Mit gleichlautender Begründung der BGH nachgehend in seinem Urteil vom 16.11.2021 (BGH v. 16.11.2021 – VI ZR 355/20, VersR 2022, 390 [VW, Modell Golf VI TDI, Motor EA 189]), wobei dieser nochmals hervorhob, dass der vom Kl. geltend gemachte Schaden nicht wegen eines nachträglich durchgeführten Software-Updates entfallen ist (so bereits BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, ECLI:DE:BGH:2020:250520UVIZR252.19.0, VersR 2020, 988 Rz. 44 ff.). Alternativ zu einer Rückabwicklung des Vertrags kann ein Geschädigter die Differenz zwischen dem Wert der Leistung und der Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liquidieren (sog. kleiner Schadensersatz), wie der als Hilfsspruchkörper zum 1.8.2021 eingerichtete VIa-Senat („Diesel-Senat“) urteilte (BGH v. 24.1.2022 – VIa ZR 100/21, ECLI:DE:BGH:2022:240122VIAZR100.21.0, VersR 2022, 890).

Unterschiedlich dazu verhält es sich – jedenfalls bisher – bei Fahrzeugen der Firma Mercedes-Benz, bei denen in einzelnen Modellen eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems zum Einsatz kam. Anders als bei VW simulierte dieses System nicht Prüfbedingungen, sondern reduzierte die der Verringerung von Stickoxiden dienende Abgasrückführung bei niedrigeren Außentemperaturen (sog. „Thermofenster“). In einem ersten Beschluss aus dem Januar 2021 stellte der BGH fest, dass die Verwendung eines temperaturabhängigen Emissionskontrollsystems nicht schon per se eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB darstelle. (BGH v. 19.1.2021 – VI ZR 433/19, ECLI:DE:BGH:2021:190121BVIZR433.19.0, VersR 2021, 388 [Mercedes-Benz 220 CDI, Motor Baureihe OM 651; das Aggregat unterlag keinem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes – KBA]).) Diese Sichtweise bestätigte er in seinem Urteil vom 16.9.2021. (BGH v. 16.9.2021 – VII ZR 190/20, VersR 2022, 254 [Mercedes-Benz C 250 CDI, Motor Baureihe OM 651]) Zwar könne unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstelle, indes lasse sich allein aus dieser unterstellten objektiven Unzulässigkeit der Einrichtung (Thermofenster) kein Vorsatz des Fahrzeugherstellers hinsichtlich der Schädigung des Käufers herleiten, so dass keine sittenwidrige Schädigung vorliege. Diese Rechtsprechung gerät angesichts eines jüngsten Urteils des EuGH vom 21.3.2023 (C-100/21) allerdings ins Wanken, denn dieser entschied auf ein Vorabentscheidungsersuchen des LG Ravensburg, dass die genannte Verordnung dahingehend auszulegen sei, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern (i.e. Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus) auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers gegenüber dem Hersteller schütze. Aus diesem Gedanken lässt sich unschwer eine Qualifikation als Schutzgesetzte i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB entwickeln, zu dessen Verwirklichung einfache Fahrlässigkeit genügt (s. dazu auch die Pressemitteilung des BGH Nr. 69/2023 vom 18.4.2023). Das EuGH-Urteil könnte folglich zu einer neuen Klagewelle führen. Die nächste Entscheidung des BGH in diesem Zusammenhang steht für den 26.6.2023 an.

Zunächst aber knüpfte der BGH im Januar 2022 in einem Urteil betreffend eines mit der Motorbaureihe EA 189 ausgestatteten Fahrzeuges der Marke Audi an seinen grundlegenden Beschluss vom 8.1.2019 an, indem er in der latenten Gefahr einer Betriebsuntersagung nach § 5 Abs. 1 FZV auf einen Sachmangel erkannte, der den Käufer zu einem Rücktritt vom Vertrag berechtige. (BGH v. 26.1.2022 – VIII ZR 140/20, VersR 2022, 703 [Audi, Modell A4 2.0 TDI, Motor EA 189]). Das vom Hersteller zur Nachbesserung angebotene Software-Update wurde wiederum als unzumutbar i.S.v. § 440 S. 1 Alt. 3 BGB eingeordnet, so dass die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung entbehrlich war. Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB wird vom BGH indes zu Recht in Fällen abgelehnt, in denen ein Kauf zeitlich nach Pressemitteilungen des Herstellers im zweiten Halbjahr 2015 erfolgte, in der dieser auf „Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software“ hinwies, so dass das Verhalten gegenüber dem Käufer nicht mehr als objektiv sittenwidrig eingeordnet werden kann (so zuletzt BGH v. 5.4.2022 – VI ZR 485/20, VersR 2022, 771; Urteil anknüpfend an BGH v. 8.2.2022 – VI ZR 543/20, VersR 2022, 595; BGH v. 23.11.2021 – VI ZR 818/20 und weitere Urteile des erkennenden Senats, etwa BGH v. 12.10.2021 – VI ZR 879/20 und BGH v. 13.4.2021 – VI ZR 276/20). Soweit ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegeben ist, umfasst dieser auch die mit dem Fahrzeugerwerb verbundenen Finanzierungskosten (BGH v. 27.7.2021 – VI ZR 480/19, VersR 2022, 115; so bereits BGH v. 13.4.2021 – VI ZR 274/20, VersR 2021, 921).

Eine Sittenwidrigkeit lässt sich indes nicht über eine Verhaltens- und Wissenszurechnung im Konzernverbund konstruieren; dies ist eine wichtige Aussage des BGH von grundsätzlicher Bedeutung. So kann einem Hersteller, der einen fehlerbehafteten Motor von der Konzernmutter erwirbt, das positive Wissen der Letzteren über die Fehlerhaftigkeit des Aggregats nicht über § 166 BGB in analoger Anwendung zugerechnet werden. Der Grund liegt darin, dass ein verfassungsmäßig berufener Repräsentant i.S.d. § 31 BGB zur Tatbestandsverwirklichung des § 826 BGB stets persönlich handeln muss. (BGH v. 25.11.2021 – VII ZR 257/20, ECLI:DE:BGH:2021:251121UVIIZR257.20.0, VersR 2022, 521 (Verwendung eines von VW entwickelten und produzierten EA 189-Motors durch die Audi AG).

In drei jüngeren Urteilen befasste sich der BGH erneut mit der zivilprozessualen Rechtsfigur der sekundären Darlegungslast und bestätigte seine diesbezügliche bisherige Rechtsaufassung (BGH v. 8.3.2022 – VI ZR 475/19, VersR 2022, 654; BGH v. 28.9.2021 – VI ZR 29/20, VersR 2022, 63 und BGH v. 25.10.2022 – VI ZR 68/20, VersR 2023, 64). Zwar obliegt es im Rahmen eines Anspruchs aus § 826 BGB wegen sittenwidriger Schädigung grundsätzlich dem Kl., substantiiert darzulegen und zu beweisen, welche konkrete Person, deren Handeln sich ein Hersteller gem. § 31 BGB zurechnen lassen muss, den deliktischen Tatbestand verwirklicht hat. Eine Ausnahme gelte indes dann, wenn die darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von maßgeblichen Umständen, unternehmensinternen Abläufen und Entscheidungsprozessen hat und ihr wegen des Verbots von Beweisermittlungs- und Ausforschungsanträgen im deutschen Zivilprozess die Möglichkeit einer weiteren Sachaufklärung versperrt ist. Unter diesen Umständen trifft sodann den Prozessgegner die sekundäre Darlegungslast, zumutbare interne Nachforschungen anzustellen. Genügt er seiner Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Kl. nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (so bereits BGH v. 26.1.2021 – VI ZR 405/19, VersR 2021, 458 m.w.N.).

Schließlich befasste sich der BGH nochmalig mit einem Verjährungsfall: Bleibt einem Geschädigten trotz aller medialen Berichterstattung der sog. Diesel-Skandal verborgen, kann er sich bei einer verspätet erhobenen Klage gegen einen Verjährungseinwand des Herstellers nicht auf fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB berufen. Dabei geht der BGH, sich orientierend an Vorentscheidungen, von einer für den Verjährungsbeginn relevanten Kenntnis von Betroffenen spätestens ab Ende 2016 aus, so dass ab dann der Einwand grob fahrlässiger Unkenntnis erfolgreich erhoben werden kann. (BGH v. 10.2.2022 – VII ZR 692/21, VersR 2022, 1039. So bereits BGH v. 21.12.2021 – VI ZR 212/20; BGH v. 15.9.2021 – VII ZR 294/20 und BGH v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20. Zur Verjährung von Ansprüchen s. auch BGH v. 10.2.2022 – VII ZR 365/21, VersR 2022, 784).

Eine Amtshaftung der Bundesrepublik Deutschland für Schäden aus dem Kauf eines Dieselfahrzeugs wegen eines möglichen Verstoßes des Kraftfahrtbundesamts (KBA) gegen Unionsrecht kommt gemäß BGH übrigens nicht in Betracht (BGH v. 10.2.2022 – III ZR 87/21, VersR 2022, 579). Zur Begründung seines Anspruchs trug der Kl. u.a. vor, dass die Typengenehmigung im Jahr 2013 leichtfertig vom KBA erteilt und das entsprechende Verfahren nur unzureichend überwacht worden sei. Diese Vorwürfe haben vor dem Hintergrund des Gesamtausmaßes des Schadenskomplexes durchaus Gewicht. Dennoch wies der BGH die auf Schadensersatz gerichtete Klage des Kfz-Käufers zurück. Die Pflichten der Typengenehmigungsbehörde aus der EU Typengenehmigungsverfahrens-Richtlinie (46/2007/EG) und der Fahrzeugemissionen-Verordnung (715/207/EG) dienen – so der BGH – dazu, die Einhaltung der für die Fahrzeughersteller geltenden Pflichten zu sichern. Die fraglichen Normen schützen die Interessen der Erwerber jedoch lediglich in Bezug auf die Gewährleistung der Erstzulassung und hinsichtlich des Interesses am Fortbestand der Betriebserlaubnis. So verleihen die Normen zwar dem Einzelnen Rechte und entfalten eine drittschützende Wirkung (vgl. Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019; s. diesbzgl. BGH v. 10.2.2022 – III ZR 87/21 Rz. 13, VersR 2022, 579), bezwecken indes nicht den Schutz vor den im Verfahren vom Kl. geltend gemachten Schäden, die der Sphäre des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Käufers zuzurechnen sind (der III. Senat macht sich diesbezüglich ausdrücklich die Rspr. des VI. Zivilsenats zu eigen; im Einzelnen BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, ECLI:DE:BGH:2020:250520UVIZR252.19.0, VersR 2020, 988 und v. 30.7.2020 – VI ZR 5/20, VersR 2020, 1267 sowie ferner den BGH v. 1.9.2021 – VII ZR 59/21, juris).

Trotz zahlreicher vom BGH entschiedener Grundsatzfragen ist zu erwarten, dass die juristische Aufarbeitung des Diesel-Skandals noch geraume Zeit in Anspruch nehmen wird, dies insbesondere im Lichte des druckfrischen Urteils des EuGH. Den weiteren Entscheidungen der Gerichte, insbesondere des BGH und dessen VIa-Senats, darf mit Spannung entgegengesehen werden. Mit ersten höchstrichterlichen Urteilen wird Ende Juni dieses Jahres gerechnet.

III. Sachversicherung

In der Sparte Sachversicherung bedarf ein Urteil des OLG Saarbrücken zur Versicherung von „unbenannten Gefahren“ der Erwähnung; in diesem werden die Eckpunkte der Versicherung von sog. „unbenannten Gefahren“ besonders prägnant und instruktiv umrissen (OLG Saarbrücken v. 20.5.2022 – 5 U 60/21, VersR 2022, 1228) Insbesondere in Zusammenhang mit dem SARS-CoV-2-Virus bzw. der Covid-19-Pandemie entfaltete dieser Deckungsbaustein wegen der augenscheinlich sehr weitreichenden Deckung eine besonders hervorgehobene Bedeutung (s. etwa Werber, VersR 2020, 661 und Schreier, VersR 2020, 513.) Für das OLG stellt die Versicherung des Risikos der „unbenannten Gefahr“ eine Art All-Gefahren-Deckung dar, nach der im Grundsatz alles versichert sein soll, was zum einen nicht anderweitig versichert werden kann und zum anderen nicht explizit ausgeschlossen ist. Gleichwohl ergäben sich aus der Risikobeschreibung und den Risikoausschlüssen Deckungsbeschränkungen. Insofern ist das Produkt All-Gefahren-Deckung dann doch wohl nicht im buchstäblichen Sinne zu verstehen und der Versicherungsumfang erfährt seine Grenzen. Eine „Allgefahrendeckung“ sei nicht gleichbedeutend mit einer „Allschadendeckung“, so das OLG (und auch bereits BGH v. 1.6.1983 – IVa ZR 152/81, VersR 1983, 821). Als Versicherungsfall komme gem. den AVB jedenfalls nur ein von außen her einwirkendes, punktuelles und unvorhergesehenes Ereignis in Betracht, welches zu einer nachteiligen Veränderung der Sachsubstanz der versicherten Sache führe (hier: Verschmutzung einer Sickergrube mit Altöl). Zwar sei von einem Sachschaden auszugehen, jedoch sei dieser nicht unvorhergesehen eingetreten, wobei dem Versicherer die Substantiierungslast für das Fehlen dieses geforderten Deckungsmerkmals zukomme. Im Übrigen erfülle die Kontamination der streitbefangenen Grube den Ausschlusstatbestand der Verseuchung; insgesamt wurde der Anspruch vom OLG Saarbrücken korrekt zurückgewiesen.

Mit Fragen der Mitversicherung und damit zusammenhängend der Vertretungsmacht des führenden Versicherers hatte sich das OLG Hamm zu befassen (OLG Hamm v. 6.10.2021 – 20 U 133/19, VersR 2022, 877). Im Rahmen einer für den Hersteller von EPS-Dämmplatten bestehenden Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung kam es zu einem Austausch des mit einer Quote von 40 % am Risiko beteiligten Versicherers (Konsortialvertrag). Obschon der Vertrag keine Führungsklausel enthielt, reduzierte der Versicherer mit der größeren Beteiligung auf Mitteilung des Maklers die Versicherungssumme, um sie alsbald wegen verbesserter Geschäftszahlen der VN wieder deutlich zu erhöhen. Die diesbezügliche Bestätigung in Form eines Nachtrags wurde dem neuen Konsortialpartner lediglich zur Kenntnisnahme übersandt. Es kam zu einem Schaden. Der vorerwähnte Nachtrag erreichte die Minderheitsbeteiligte zwei Tage später; diese wollte sich nun jedoch die Erhöhung der Versicherungssumme nicht mehr zurechnen lassen und verweigerte eine entsprechend höhere Leistung. Das OLG gab dem Versicherer Recht. In Ermangelung einer Führungsklausel leiten sich die Rechtsanforderungen an eine Vertretungsmacht aus den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften her; ein diesbezüglicher Handelsbrauch bestehe nicht, so der Senat. Da auch eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht nicht in Betracht komme, wurde dem bekl. Versicherer die erhöhte Versicherungssumme nicht als wirksam vereinbart zugerechnet (s. zu dem Urteil des OLG Hamm auch bereits Langheid, VersR 2023, S3 und Gal, VersR 2023, 86; ausführlich zu den Fallstricken der Mitversicherung jüngst Gal, Die Mitversicherung, Monographie, Tübingen, 2022.) Konsortialverträge und die damit verknüpften Vollmachts- und Führungsbefugnissen sollten daher stets sorgsam geprüft werden.

Zum bedingungsgemäßen Sachverständigenverfahren entschied das OLG Hamm, dass eine Weitergabe von Informationen eines Sachverständigen an den von der Gegenseite benannten Sachverständigen allein noch nicht geeignet ist, einen Vertrauensverlust zu argumentieren, der zu einem Antrag auf Auswechslung des Sachverständigen berechtige (OLG Hamm v. 26.5.2021 – 20 U 3/21, VersR 2022, 510). Der Sachverständige sei kein Parteivertreter, sondern habe lediglich ein gewisses Näheverhältnis zum Benennenden, ist darüber hinaus aber unabhängig und nicht an dessen eventuelle Weisungen oder Handlungsvorgaben gebunden.

Ebenfalls in Zusammenhang mit einem in den AVB vereinbarten (optionalen) Sachverständigenverfahren urteilte das OLG Dresden, dass vor diesem Hintergrund einer auf die Eintrittspflicht des Versicherers abzielenden Feststellungsklage eines VN nicht die Möglichkeit einer Leistungsklage entgegengehalten werden kann (BGH v. 11.10.2022 – 4 U 36/22, VersR 2023, 43; i.A. an BGH v. 13.4.2022 – IV ZR 60/20, VersR 2022, 817). Insofern erfährt der eherne zivilprozessuale Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage vor einer Feststellungklage in der gewerblichen Gebäudeversicherung eine Ausnahme, wenn die AVB die Durchführung eines (außergerichtlichen) Sachverständigenverfahrens zur Klärung der Schadenshöhe vorsehen, der der VN die Feststellung der grundsätzlichen Ersatzpflicht des Versicherers vorschalten kann.

IV. Produkthaftung, Betriebshaftpflicht, Allgemeine Haftpflicht

Das OLG Karlsruhe hatte sich mit dem Produkthaftungsfall eines Herstellers von Reinigungsmitteln für Kraftfahrzeuge zu befassen; dieser vertrieb u.a. Felgenreiniger (OLG Karlsruhe v. 4.6.2021 – 9 U 117/19, VersR 2022, 517.) Das streitbefangene, säurehaltige Produkt war als Mittel zur Säuberung von säureunempfindlichen, lackierten Alu- und Stahlfelgen deklariert. Die Gebrauchsanweisung enthielt verschiedene Hinweise zu Gesundheitsgefahren und zur Gefahr von Schäden an säureempfindlichen Materialien. Der bei dem konkreten Gebrauch des Produktes erzeugte Sprühnebel geriet – wie zu erwarten – nicht nur auf die Felgen des betroffenen Motorrades, sondern auch auf andere Karosserieteile, an denen es zu Schäden durch Korrosion und Verfärbungen kam. Gestützt auf das ProdHaftG klagte der Geschädigte auf Schadensersatz, da zum einen das Produkt fehlerhaft sei und zum anderen eine Aufklärung über die Vorteile von nicht säurehaltigen Konkurrenzprodukten nicht stattgefunden habe. Das OLG entschied mit überzeugender Begründung, dass weder ein Konstruktions- noch ein Instruktionsfehler vorliege. Zwar seien auch säurefreie Felgenreiniger auf dem Markt, indes mache dieser Umstand das Produkt nicht schon fehlerhaft i.S.v. § 3 Abs. 1 ProdHaftG (Konstruktionsfehler); auch müsse der Verbraucher bei Reinigungsprodukten grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, dass diese latente Gefahren für bestimmte Materialien in sich tragen. Ein Instruktionsfehler i.S.v. § 3 Abs. 1 ProdHaftG wurde vom Gericht ebenso abgelehnt, da der bekl. Hersteller durch entsprechende Hinweise auf dem Produkt seinen Instruktions- und Warnpflichten in ausreichender Weise nachgekommen sei (zu den Anforderungen an Gefahrenhinweise bei Reinigungsmitteln s. auch OLG Hamm, VersR 1984, 243 und OLG Celle, VersR 1985, 49). Schließlich lehnte das OLG zutreffenderweise einen vertraglichen Schadensersatzanspruch, gestützt auf die Nichthinweisung des Käufers auf erhältliche, säurefreie Konkurrenzprodukte, ab.

In einem zur Pharma-Haftpflicht vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall ging es um einen Auskunftsanspruch nach § 84a Abs. 1 S. 1 AMG. (OLG Frankfurt v. 19.8.2021 – 26 U 62/19, VersR 2022, 20.) Das Gericht sah eine begründete Annahme für einen entsprechenden Auskunftsanspruch, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine mögliche Rechtsgutsverletzung durch das streitbefangene Arzneimittel spreche. In der Sache ging es um den Blutdrucksenker Valsartan, den die Kl. unstreitig im Zeitraum 2013 bis 2018 eingenommen hatte. Wegen im Ausland aufgetretener produktionsbedingter Verunreinigungen des Arzneimittels mit dem potentiell krebserregenden Stoff N-Nitrosodiethylamin (NDEA) erfolgte in Deutschland im Jahr 2018 ein Chargenrückruf. Bereits im Mai 2016 wurde bei der Kl. ein Karzinom diagnostiziert. Zwar konnte die Kl. einen Vollbeweis, dass sie Medikamente aus der betroffenen Charge genommen hatte, nicht führen, jedoch war dieser auch nicht notwendig, denn richtigerweise reicht – wie auch der erkennende Senat ausführt – im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Kausalität für die Annahme des Vorliegens von Tatsachen i.S.d. § 84a Abs. 1 S. 1 AMG aus. Zu Recht wies das OLG den von der Bekl. erhobenen Einwand, die Kl. habe das Medikament nicht bestimmungsgemäß gebraucht, zurück, denn Fragen der Anwendung sind im Auskunftsverfahren grundsätzlich nicht zu klären (BGH v. 12.5.2015 – VI ZR 328/11, VersR 2015, 891). Die Gewährung eines entsprechenden Auskunftsanspruchs kommt auch nicht einem unzulässigen Ausforschungsbeweis gleich, denn die Hürden für einen Auskunftsanspruch nach dem AMG dürfen nicht zu niedrig angesetzt werden, (So bereits BT-Drucks. 14/7752.) da der Anspruch sonst ins Leere liefe, wie die Klage eindrücklich vor Augen führt und wie dies vom OLG Frankfurt zu Recht erkannt wurde.

Im Rahmen der allgemeinen Haftpflicht haftet nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe ein Discobetreiber für eine rutschige Tanzfläche; dies insbesondere, wenn dort die Mitnahme von Getränken gestattet sei (Pressemitteilung des OLG Karlsruhe v. 16.3.2022 – 7 U 125/21, VersR Aktuell Heft 8/2022 R4). Um dem Vorwurf der Fahrlässigkeit zu entgehen, obliege es dem Betreiber, ausreichende Anordnungen zur Kontrolle und Reinigung zu treffen; insgesamt müsse eine effektive Kontrolle des Fußbodens in gewissen Zeitabständen erfolgen, was indes nach Aussage des Senats nicht bedeutet, dass ständig kontrolliert werden müsse. Nach einem Urteil des OLG Frankfurt haftet der Betreiber eines Shisha-Lokals für die Intoxikation eines minderjährigen Gastes bzw. Konsumenten (OLG Frankfurt v. 14.6.2022 und v. 11.7.2022 – 6 U 148/21, VersR 2022, 1508). Die Abgabe von solchen Erzeugnissen bzw. Behältnissen an Jugendliche sei gem. § 10 Abs. 1 u. 4 JuSchG untersagt, so dass sich wegen einer erlittenen Kohlenmonoxid-Vergiftung ein Anspruch auf Schmerzensgeld ergebe, der vom erkennenden Senat aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 241, 311 Abs. 2 Nr. 2, 3 BGB hergeleitet wurde (s. zu den Beschlüssen auch die Anm. von Piper, VersR 2022, 1508, 1510). Die Entscheidung des OLG wirft ein Licht auf mögliche, zukünftig auftretende Probleme in Zusammenhang mit der aktuell von der Regierungskoalition vorangetriebenen Legalisierung des Konsums und Erwerbs des (noch) § 1 BtMG unterfallenden Suchtmittels Cannabis (dazu etwa die Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums vom 12.4.2022) die für Versicherer insgesamt eine Erhöhung des Risikos darstellen dürfte.

Zur Montageversicherung legte das OLG Hamm eine zustimmungswürdige Entscheidung vor. (OLG Hamm v. 24.8.2021 – 20 U 66/21, VersR 2022, 1063). Der Kl. war als Stahlbaubetrieb an der Errichtung eines Brückenbauvorhabens beteiligt. Der Auftrag bestand darin, Spezialkomponenten für eine Klappbrücke zu liefern. Einer der Komponenten war ein als Festlager dienender Bolzen, der nur in stark heruntergekühltem Zustand in das Brückenlager eingefügt werden konnte, um sich danach durch thermo-physikalische Ausdehnung fest mit diesem zu verbinden. Der Montagevorgang der vorgefertigten Teile verzögerte sich jedoch unerwartet, so dass sich der Bolzen während des Einsetzens zu früh erwärmte, ausdehnte und auf der Hälfte der vorgesehenen Eindringtiefe steckenblieb. Infolgedessen musste der Bolzen zerstörend herausgefräst und durch einen neuen ersetzt werden. Die Mehrkosten begehrte der klagende VN aus der mit einem Konsortium von Versicherern abgeschossenen Allgemeinen Montageversicherung (AMoB 2008) ersetzt. Der geltend gemachte Deckungsanspruch wurde vom OLG Hamm jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass gemäß der Klausel A. § 2 Nr. 4 a AmoB 2008 der Versicherer keine Entschädigung für Mängel der versicherten Lieferungen und Leistungen schulde. Die Klausel umschreibt den sog. Erfüllungsschaden, also eine isolierte, mangelhafte Ausführung einer insgesamt vom Erbringer geschuldeten vertraglichen Leistung. Diese ist nach ungeteilter Ansicht das ureigene kaufmännische Risiko eines jeden Unternehmers. Der Kl. argumentierte, dass die Klausel nicht gelte, wenn das Montageobjekt zunächst fehlerfrei hergestellt wurde und erst nachgehend aufgrund fehlerhafter Handhabung im Rahmen der Montage selbst beschädigt wird. Dieser Argumentation trat das OLG Hamm zu Recht nicht bei, denn das Einfügen eines – auch zum originären Lieferumfang gehörenden – Bolzens ist bei objektiver Betrachtung als einheitliche Bauleistung in Hinblick auf das zu errichtende Gesamtobjekt zu sehen. Im Übrigen liegt dann, wenn nicht ein bereits vorhanden gewesener Zustand beeinträchtigt, sondern eine von vornherein mangelhafte Anlage errichtet wird, kein Sachschaden am Montageobjekt vor, wie von Abschnitt A. § 2 Nr. 1 AmoB 2008 gefordert, sondern ein Vermögensschaden in Form der erforderlichen Reparaturaufwendungen, so bereits die Vorinstanz. Wird für den hier beschriebenen Sachverhalt über den Rahmen der AVB hinaus Versicherungsschutz begehrt, ist dem Auftragnehmer anzuraten, sich um eine Sonderdeckung bzw. fakultativen Schutz zu bemühen. Dennoch ist auch bei Deckungserweiterungen für sog. Erfüllungsnebenschäden unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten Vorsicht geboten, denn ein solcher Wiedereinschluss umfasst nach der Entscheidung des OLG Hamm nicht Nachbesserungsansprüche, soweit ein Schaden bereits mit der Erbringung der mangelhaften Werkleistung an sich eingetreten und infolgedessen als Vermögensschaden anzusehen ist (hier: mangelhafte Sanitärabdichtungen; OLG Hamm v. 28.1.2021 – 20 U 215/20, VersR 2021, 954).

Mit der Frage der Auslegung einer Subsidiaritätsklausel in der Haftpflichtversicherung hatte sich das OLG Frankfurt zu befassen (OLG Frankfurt v. 2.2.2022 – 7 U 132/20, VersR 2022, 753). Bekl. war ein anderer Versicherer, wobei beide Parteien der originär haftpflichtigen Person, einer Hebamme, Berufshaftpflichtversicherungsschutz boten. Das OLG urteilte u.a., dass bzgl. der in den AVB der Kl. benannten anderweitigen Haftpflichtversicherung temporal an den Eintritt des Versicherungsfalles anzuknüpfen sei und nicht an den Zeitpunkt des Vertragsschlusses der zuerst abgeschlossenen Versicherung. Hier irrte das Gericht jedenfalls bei der typologischen Einordnung der fraglichen Subsidiaritätsklausel. Diese lautete „Anderweitige Haftpflichtversicherungen, die für die gemäß Teil 1, Nr. 1.2 versicherten BDH-Mitglieder bereits bestehen, gehen diesem Vertrage vor“. Das OLG erkannte darin eine sog. einfache Subsidiaritätsklausel. Merkmal eines solchen Typus von Klausel ist indes, dass der andere Vertrag konkret leistungspflichtig ist. Dies aber beabsichtigt die prozessrelevante Klausel gerade nicht; sie stellt nämlich lediglich auf das (objektive) Bestehen einer anderweitigen Versicherung ab; nicht aber verlangt sie, dass diese auch konkret leistungspflichtig ist. Dann liegt aber keine einfache, sondern eine sog. qualifizierte bzw. „uneingeschränkte“ Subsidiaritätsklausel vor. Dessen ungeachtet (die Urteilsbegründung enthält wohl nur einen redaktionellen Fehler) gelangt das Gericht zu dem korrekten Ergebnis, dass den anderen Versicherer die alleinige Primärhaftung trifft (mit Kritik an Subsidiaritätsklauseln, insbesondere unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten, jüngst Rixecker in FS Langheid, 2002, S. 395 ff.; ebenso Fausten, a.a.O., S. 147 ff.).

V. D&O-Versicherung

Um Ersatz von Public-Relations-Kosten im Rahmen der Abwehrdeckung einer D&O-Versicherung ging es in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem OLG Frankfurt (OLG Frankfurt v. 5.11.2021 – 7 U 96/21, VersR 2022, 569). Verfügungskl. war der zurückgetretene Vorstandsvorsitzende einer mutmaßlich in einen Anlegerskandal verstrickten AG (Wirecard). Darüber wurde in den Medien fortlaufend berichtet; laut dem erkennenden Senat sowohl in den Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung wie auch darüber hinaus. Vor diesem Hintergrund wurde die Gewährung von bedingungsgemäßem Versicherungsschutz in Form von PR-Kosten gefordert, die im Rahmen der AVB dem Grunde nach auch versichert waren. Indes berief sich der Versicherer darauf, dass sich die Medienberichterstattung nicht auf konkrete (versicherte) Haftpflicht-Versicherungsfälle im Hinblick auf das Zivilverfahren bezogen habe, sondern auf das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft. Das OLG folgte dieser Argumentation nicht und rügte eine mangelnde Transparenz der Klausel i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.

Mit der Frage der Gültigkeit eines Sublimits im Rahmen der Abwehrdeckung einer D&O-Versicherung befasste sich das OLG Frankfurt ebenfalls (OLG Frankfurt v. 29.4.2022 – 7 U 150/21). Ungeachtet des Unterliegens im Verfahren 7 U 96/21 (s. oben) verbuchte der Versicherer im Wirecard-Prozessgeflecht vor dem OLG einen Erfolg dahingehend, dass die in den D&O-AVB in Bezug auf PR-Kosten enthaltene Sublimitierungsklausel (Sublimit 500.000 € je Versicherungsperiode und 100.000 € „je versicherte Person und je Versicherungsfall“) unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten als transparent angesehen wurde. Der Senat führt zutreffend aus, dass die Limitierung erkennbar einer möglichst gerechten Aufteilung der Versicherungssumme innerhalb des Kreises der versicherten Personen sowie einer möglichst gleichrangigen Berücksichtigung mehrerer innerhalb einer Versicherungsperiode eintretender Versicherungsfälle diene. Da die Klausel eindeutig sei, könne es dahinstehen, ob die in den AVB verwandte Serienschadensklausel AGB-rechtlichen Wirksamkeitsbedenken unterliege. Letztere Argumentation des OLG springt indes ersichtlich kurz, denn Serienschadensklauseln und Sublimitierungen stehen versicherungstechnisch in einem Zusammenhangs- und Wirkungsgefüge und müssen daher stets im Kontext betrachtet werden. Dennoch ist aus den vom OLG dargelegten Erwägungen heraus die Beschränkung der PR-Kosten des Kl. auf maximal 100.000 € im Ergebnis richtig.

Auf mangelnde Transparenz erkannte das OLG Frankfurt in Bezug auf gleich zwei D&O-Kernbestimmungen (OLG Frankfurt v. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021, 1355; mit dezidierter Kritik an der Entscheidung jüngst Langheid, VersR REPORT v. 15.3.2013). Mit der in der Praxis bei Serienschadensklauseln häufig vorkommenden Wendung „demselben Sachverhalt“ sei eine Wertung verbunden und damit eine Unsicherheit für den Versicherungsnehmer; anstatt dessen rät der Senat zu einem Abstellen auf ein „punktuelles, bestimmtes Ereignis“. Diese Forderung widerspricht hingegen der zwangsläufigen Abstraktheit von AVB und insbesondere der von Serienschadensklauseln. Auch die Formulierung „[…] sofern diese Pflichtverletzungen demselben Sachverhalt zuzuordnen sind und miteinander in zeitlichem, rechtlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang stehen […]“ monierte das OLG, da sämtliche Begriffe unbestimmt, auslegungsfähig und daher nur schwer zu präzisieren seien.

Der österreichische OGH machte im November 2020 nochmals deutlich, dass bei einer D&O-Versicherung eine Streitverkündung oder Aufrechnung der Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gleichzustellen ist (OGH v. 25.11.2020 – 7 Ob 127/20g, VersR 2022, 68). Regelmäßig kommt es im Bereich der Geschäftsführerhaftung zu Aufrechnungslagen. Solche entwickeln sich häufig aus der Situation, dass Vergütungsansprüche aus einem gekündigten Arbeitsverhältnis von dem versicherten Unternehmen mit (behaupteten) Schadensersatzforderungen gegenüber dem in Ungnade gefallenen Manager in Ausgleichung gebracht werden (in der Literatur werden solche Gemengelagen trefflich auch als „Generalabrechnung“ bezeichnet; s. etwa Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 191 f.) So war es auch im streitgegenständlichen Fall. Der OGH entschied in einem obiter dictum, dass eine Anspruchserhebung oder Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen dann anzunehmen sei, wenn eine „ernstliche Erklärungen auf Verlangen nach Schadenersatz“ vorliege, wozu auch eine Streitverkündung oder Aufrechnungserklärung gehöre (i.A. an OGH v. 19.11.2015 – 7 Ob 137/15w, VersR 2016, 949).

VI. Klimaklagen gegen Unternehmen

Abschließend sei auf Rechtsstreitigkeiten in Zusammenhang mit der globale Erderwärmung hingewiesen, die weltweit zunehmend an Bedeutung gewinnen und die vermehrt Unternehmen und deren Risikoträger treffen. Dieses Thema hat sich im Verlauf der vergangenen Dekade, auch in Europa, zu einem neuen Haftungssubjekt (s. diesbzgl. Fausten, Globale Erwärmung und Haftpflichtversicherung – Die Suche nach einem neuen Haftungssubjekt, PHi 2019, 42) entwickelt, welches starke Parallelen zu den hinlänglich bekannten Komplexen Asbest, Tabak, Umwelt und Pharma aufweist, und zwar in allen Facetten.

In der jüngeren Vergangenheit wird diesbezüglich insbesondere auf zwei Klagen in benachbarten Ländern hingewiesen. Dies ist zum einen das Verfahren Vereniging Milieudefensie et al. v. Royal Dutch Shell plc, in dem das Bezirksgericht Den Haag am 26.5.2021 Shell aufgrund niederländischer bürgerlich-rechtlicher Prinzipien dazu verurteilte, die CO2-Emissionen bis zum 31.12.2030 um 45 % im Vergleich zu 2019 zu senken. Gegen das Urteil legte Shell Berufung ein; das zweitinstanzliche Verfahren dürfte allerdings noch einige Jahre in Anspruch nehmen (detailliert zum Verfahren Pieper/C. Schneider, KlimaRZ 2023, 107.) Nur ein halbes Jahr später, im Dezember 2021, verlegte Shell den Steuersitz des Unternehmens nach Großbritannien, was laut Konzernangaben jedoch nichts mit dem aufsehenerregenden Klimaurteil des Gerichts in Den Haag zu tun habe. Indes erweist sich auch Großbritannien für Shell nicht als „safe haven“, denn dort reichte am 9.2.2023 die NGO ClientEarth eine derivative Haftungsklage gegen Shell plc vor dem High Court of Justice of England and Wales ein, also eine solche als Aktionärin bzw. Anteilseignerin von Shell. Die Klage – soweit ersichtlich die erste dieser Art in Europa – stützt sich auf Section 260 des UK Companies Act 2006 („Derivative claims“) und wirft dem Shell-Vorstand vor, gegen die ihm obliegende Pflicht zu verstoßen, ausreichend auf Risiken des Klimawandels zu reagieren. An dem Klagevorwurf wird erkennbar, wie exponiert in Sachen Klimawandel u.a. auch die Sparte D&O ist (zu Klimaklagen und deren Ausstrahlungen auf die D&O-Versicherung (die im Grundsatz nur Vermögensschäden deckt) Pieper/C. Schneider, KlimaRZ 2022, 107, 110 ff.).

Am 12.5.2023 wies der Englische High Court die Klage zurück. Ausschlaggebend dafür waren im Wesentlichen zwei Faktoren: Zum einen konnte der Vorstand von Shell darlegen, dass man durchaus über einen Plan zum Erreichen eines „net zero“ verfüge; im Gegenzug konnte ClientEarth nicht darlegen, dass der vorgelegte Plan unter Zugrundelegung u.a. der Business Judgement Rule von solch schlechter Qualität war, als dass er als gescheitert interpretiert werden müsse. Zum anderen hielten die Kl. samt deren beigetretenen Streitgenossen lediglich einen Aktienanteil von weniger 1 %, was dem High Court zufolge nicht ausreichend sei, um auf die Interessen von Shell als Unternehmen als Ganzes Einfluss nehmen zu können. Für Unternehmen, auch in Kontinentaleuropa, lässt sich aus dem Judikat ableiten, dass ohne einen entsprechenden Plan für eine Nachhaltigkeitsstrategie Haftungsrisiken durchaus bestehen.

In Deutschland zieht sich die u.a. auf § 1004 BGB gestützte Klage des Peruaners Lliuya ./. RWE vor dem OLG Hamm weiter hin (OLG Hamm 5 U 15/17; zum Verfahren s. u.a. die jüngste Pressemitteilung des OLG Hamm v. 17.6.2022) Nach einer Augenscheinseinnahme in Peru im Mai 2022 werden aktuell die Ergebnisse von Sachverständigengutachten erwartet, die den weiteren Verlauf und damit auch die Dauer des Prozesses maßgeblich beeinflussen dürften. Deckungsansprüche für solche Klimaklagen kämen in Deutschland primär unter der Umwelthaftpflichtversicherung in Betracht. Allerdings enthalten die AVB BHV in ihrem Abschn. 2 (Umweltrisiko) Ausschlüsse, die bei Klimaklagen Anwendung finden dürften. So nimmt Ziff. A2–8.22 AVB BHV Normalbetriebsschaden von der Deckung aus, also Schaden, die durch betriebsbedingt unvermeidbare oder in Kauf genommene Umwelteinwirkungen entstehen (zu Auswirkung von Klimaklagen auf die betrieblichen Haftpflicht- bzw. Umweltversicherungen s. Pieper/C. Schneider, KlimaRZ 2022, 107 ff.).