Bundestag: Haftung beim automatisierten Fahren

Die von der Bundesregierung beabsichtigte Anpassung der StVO an die Möglichkeiten des automatisierten Fahrens hat prinzipiell die Zustimmung von Experten gefunden. Allerdings warteten die Sachverständigen bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur mit einer Reihe von kritischen Anmerkungen zum Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (18/11300) auf.

Jürgen Bönninger (FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH) kritisierte, wie die Verantwortlichkeit zwischen Fahrer und System geregelt werden soll. Es würden „völlig einseitig“ nur die Pflichten des Fahrzeugführers angesprochen – „ohne auf der anderen Seite klarzustellen, welche Tätigkeiten der Fahrzeugführer während der Nutzung der hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktion ausüben darf“. Bönninger: „Damit handelt es sich zunächst nur um eine Enthaftungsnorm für Fahrzeughersteller.“ Bleibe es beim Text des Gesetzentwurfs, sei ein „Kontrolldilemma zu befürchten, da die Regelungen faktisch eine Kontrolle des Fahrvorgangs vorschreiben, obwohl die Fahrassistenzsysteme (bis Teilautomatisierung) technisch bereits eine Nebentätigkeit erlauben“. Bei Haftungsfragen könne nicht gelten: „Das Auto lenkt, der Fahrer haftet.“ Sondern: „Wenn das System fährt, haftet der Hersteller“ – jedenfalls bei sachgerechtem Einsatz.

Peter Büttgen vermisste namens der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit die nötige Präzision im Gesetzentwurf. Es fehlten konkrete Regelungen zum Umfang der Daten, zur Erhebung und Verarbeitung, zur Zweckbestimmung, zur Löschung und zur technischen Ausgestaltung der Speichermedien. Neben dem Datenschutz sollte auch die Datensicherheit größere Beachtung finden. Zur Speicherung der Daten nach einem Unfall reichten vier Punkte: Ist der Fahrer gefahren? Ist der Automat gefahren? Gab es eine Übernahmeaufforderung vom System an den Fahrer? Lag eine Funktionsstörung vor?

Joachim Damasky (Verband der Automobilindustrie/VDA) sah in der Haftungsfrage einen Dreh- und Angelpunkt des Gesetzentwurfs. Eine Änderung der gegenwärtigen Regelungen sei nicht erforderlich. Die Hersteller müssten die Kunden über Verwendung und Leistungsgrenzen der Systeme informieren. Wobei dies nicht auf die Betriebsanleitung beschränkt bleibe, sondern auch im Fahrzeug geschehe. Den Fahrern werde signalisiert, wenn das Assistenzsystem aktiv ist. Auch Warnhinweise würden klar dargestellt. Zweitnutzer der Fahrzeuge erhielten die Möglichkeit, sich im Internet über die Systeme zu informieren.

Eric Hilgendorf (Universität Würzburg) merkte an, dass die Hersteller verpflichtet werden müssten, die Informationen über die Assistenzsysteme nicht im Kleingedruckten zu versteckten. Den Nutzern müsse deutlich gemacht werden, was eine „bestimmungsgemäße Verwendung“ bedeute – für ihn ein „Kernbegriff“ des Gesetzentwurfs. „Was ist bestimmungsgemäß?“, fragte er angesichts der Werbeversprechen von Herstellern und den erheblichen rein technischen Möglichkeiten.

Volker Lüdemann (Hochschule Osnabrück) bemängelte, der Gesetzentwurf schaffe „keine hinreichende Sicherheit für Autofahrer“. Bei aller Bereitschaft zur Konkretisierung bleibe die „Grundproblematik“, dass der Fahrer die Systeme ständig überwachen müsse, um die Steuerung nach Aufforderung oder im Notfall „unverzüglich“ übernehmen zu können. Es werde immer darüber gestritten werden können, ob die „erforderliche Grundaufmerksamkeit“ vorgelegen habe oder der Fahrzeugführer „durch fahrfremde Tätigkeiten unzulässig abgelenkt“ gewesen sei. Konkretisierung werde es voraussichtlich erst nach Jahren durch Gerichtsurteile geben. Lüdemann: „Bis dahin kann sich der Autofahrer dem Fahrlässigkeitsvorwurf im Grunde nur dadurch entziehen, dass er komplett selber fährt.“ Was bedeute: „Das strategische Ziel des Gesetzentwurfs, Deutschland zum weltweiten Leitmarkt für das automatisierten Fahren zu machen, ist damit gefährdet.“

Der Allgemeine Automobil-Club Deutschland (ADAC) unterstütze das Gesetzesvorhaben, da vom automatisierten Fahren „eine positive Wirkung auf die Verkehrssicherheit und die Leistungsfähigkeit des Straßenverkehrs zu erwarten“ sei, so Markus Schäpe. Wichtig sei, dass der Gebrauch nur im Rahmen der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ erlaubt sei. Doch wer festlege, was genau darunter zu verstehen sei, bleibe offen. Der ADAC erwarte sehr restriktive Vorgaben der Hersteller, die der Nutzer „so nicht erwartet“, zumal wohl gleichzeitig technisch eine „sehr weitreichende Nutzung der Automatisierungsfunktionen“ ermöglicht werde.

Laut Schäpe „legen die Erfahrungen mit dem Tesla-Autopilot nahe, dass viele Fahrzeugführer mit der Diskrepanz zwischen hohem technischen Potenzial und einem eng gefassten bestimmungsgemäßen Gebrauch überfordert sind“. Die Hersteller müssten dafür sorgen, dass die Technik nur bestimmungsgemäß eingesetzt werden könne: „Fahrten mit dem Autobahnassistenten in geschlossenen Ortschaften wären dann technisch unmöglich.“

Absicht der Bundesregierung ist es, die Grundlagen für das automatisierte Fahren zu schaffen und das Zusammenwirken zwischen dem Fahrzeug mit der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktion und dem Fahrer zu regeln. Es soll klargestellt werden, dass der Betrieb von Kfz mittels hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktion „im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung“ zulässig ist. Der Fahrer bleibt der Fahrer, wie überdies herausgestellt werden soll: „Während der automatisierten Phase wird der Fahrzeugführer nicht durch das hoch- oder vollautomatisierte System ersetzt.“

(hib – heute im bundestag Nr. 170 vom 20. 3. 2017)