OLG Frankfurt/M.: Zwischenfinanzierungskosten als Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers sind erstattungsfähig

Das OLG Frankfurt/M. hat entschieden, dass Ärzte aufgrund einer fehlerhaften Schwangerschaftsbetreuung auch Zwischenfinanzierungskosten für einen behindertengerechten Neubau übernehmen müssen.

Die Kl. sind die Eltern einer Tochter, die aufgrund einer Trisomie 18 mit schweren körperlichen Fehlbildungen zur Welt kam und im Alter von drei Jahren an ihrer Grunderkrankung verstarb. Sie konnte ihren Oberkörper und Kopf nicht eigenständig halten, nicht essen, krabbeln und laufen. Neben erheblichen Missbildungen litt sie unter massiven, insbesondere nachts auftretenden Unruhezuständen. Die bekl. Ärzte sind aufgrund ihrer fehlerhaften Schwangerschaftsbetreuung grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet (Grundurteil des LG Wiesbaden vom 25.7.2014).

Die Kl. wohnten zum Zeitpunkt der Geburt in einer Eigentumswohnung, die nicht behindertengerecht umgebaut werden konnte. Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, entschlossen sie sich zum Bau eines Hauses mit einem im Erdgeschoss gelegenen behindertengerechten Zimmer nebst kleinem Badezimmer. Zu diesem Zeitpunkt erwarteten die Kl. ihr zweites Kind. Der Bau wurde bis zum Verkauf der Wohnung über ein Darlehen finanziert. Mit ihrer Klage begehren die Kl. die Übernahme der ihnen entstandenen Zwischenfinanzierungskosten in mittlerer fünfstelliger Größenordnung.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Zwischenfinanzierungskosten seien als Folge der fehlerhaften Schwangerschaftsbetreuung von den Bekl. zu übernehmen, bestätigt das OLG. Es sei überzeugend dargelegt, dass sich die Kl. „aufgrund der schwersten Behinderung ihrer Tochter … – und nicht wegen einer weitere Kinder umfassenden Familienplanung – entschlossen haben, die Eigentumswohnung aufzugeben und ein Einfamilienhaus in unmittelbarer Nachbarschaft zu bauen“.

Die Tochter habe unter schwersten geistigen und psychomotorischen Entwicklungsrückständen gelitten. Sie habe nur mittels eines speziellen Behindertenkinderwagens transportiert werden können. Dabei seien in der alten Wohnung der Kl. mehrfache Treppenpodeste zu überwinden gewesen; den Kl. habe auch kein Parkplatz in unmittelbarer Wohnungsnähe zur Verfügung gestanden. Bereits die zu überbrückenden Stockwerke und das Gewicht des Kinderwagens sprächen hier für die Erforderlichkeit, ein behindertengerechtes Haus zu bauen. Ohne Erfolg verwiesen die Bekl. darauf, dass es „keinesfalls ungewöhnlich… und …auch bei einem gesunden Kind der Fall gewesen“ wäre, ein Kind im Kinderwagen die Treppe herunterzutragen. Die Bekl. würden hier verkennen, dass die Tochter der Kl. nicht „die Entwicklung eines gesunden Kleinkindes nehmen konnte“. Sie sei vielmehr weder in der Lage gewesen, ihren Körper zu halten noch laufen zu lernen. Ein gesundes Kind hätte dies dagegen im Alter von zwei Jahren bereits gekonnt. Aus diesem Gründen sei es den Eltern auch nicht zuzumuten gewesen, ihre Tochter zum etwas entfernter stehenden Auto zu tragen.

Der Hausbau sei auch im Hinblick auf die krankheitsbedingten nächtlichen Unruhezustände erforderlich gewesen. Die Unruhezustände seien mit einer erheblichen Geräuschentwicklung einhergegangen sei. Deshalb seien die Kl. erheblichem psychischen Druck ausgesetzt gewesen. Dabei komme es nicht darauf an, ob den Nachbarn ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch zugestanden hätte. Die Kl. hätten jedenfalls verständlicherweise Störungen und Beeinträchtigungen der Nachbarn vermeiden wollen. Die Unruhezustände seien entgegen den Einwänden der Bekl. auch nicht mit dem nächtlichem Weinen und Schreien gesunder Kleinkinder vergleichbar gewesen. Aus diesen Gründen wäre auch die Anmietung einer behindertengerechten Wohnung keine Alternative gewesen.

Die Bekl. könnten sich schließlich auch nicht darauf berufen, es sei „keinesfalls ungewöhnlich“, dass sich eine Familie, beim Entschluss zwei oder mehr Kinder zu bekommen, entscheide, ein Haus zu bauen. Vielmehr sei festgestellt worden, dass die Kl. die erste Schwangerschaft bei fehlerfreier Behandlung abgebrochen hätten. In diesem Fall hätten die Kl. nach der zweiten Schwangerschaft ihr erstes Kind bekommen.

Die Eigentumswohnung der Kl. wäre für bis zu zwei gesunde Kinder jedoch „völlig hinreichend gewesen“.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Bekl. können mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision vor dem BGH beantragen.

OLG Frankfurt/M., Urteil vom 9.8.2018 (8 U 181/16)

(Pressemitteilung des OLG Frankfurt/M. Nr. 43 vom 1.10.2018)