Schon wieder – Erneute Überraschungen zur D&O-Versicherung

Die legendären Krimis von Wolf Haas rund um den etwas eigenwilligen Kommissar Simon Brenner beginnen gelegentlich mit den Worten: Jetzt ist schon wieder was passiert. Das gilt leider auch für die Rechtsprechung des OLG Frankfurt im Zusammenhang mit Fragen der D&O-Versicherung. Zuletzt hatte der dortige Versicherungssenat die Möglichkeit einer rechtskräftigen Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung mit dem Argument verneint, dass die zu fällende Entscheidung die erforderliche Rechtskraft voraussetzen würde, diese aber zum entscheidenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nie schon vorliegen könne (Urt. v. 17.3.2021 – 7 U 33/19, VersR 2021, 1355 = BeckRS 2021, 21475; dazu unser VersR BLOG vom 1.10.2021). Das würde in abstruser Konsequenz bedeuten, dass der D&O-Versicherer immer auf den Abwehrkosten sitzen bliebe, weil es nie zu einer rechtskräftigen Feststellung von Vorsatz oder wissentlicher Pflichtverletzung kommen könnte. Da fragt der Beobachter sich: kann es noch schlimmer kommen? Die Frage stellen heißt, sie zu bejahen: ja, es kann.

In der neuen Entscheidung (OLG Frankfurt v. 7.7.2021 – 7 U 19/21, VersR 2021, 1362 = r+s 2021, 502) geht es um die Frage, ob dem einsitzenden Ex-CEO der Fa. Wirecard im Wege einer einstweiligen Verfügung vorläufige Abwehrdeckung in Bezug auf die gegen ihn erhobene Klage auf Schadensersatz zu gewähren war. Das bejaht das OLG Frankfurt: das Verfügungsverfahren sei nicht nur zulässig, sondern auch begründet, weil es eine rechtskräftige Entscheidung in Bezug auf die behauptete Wissentlichkeit nicht gäbe (und nach der oben geschilderten Logik ja auch nie geben kann). Ferner sei der D&O-Versicherer auch nicht berechtigt, sich auf eine vorvertragliche Arglist zu berufen, weil sonst der vorläufige Anspruch auf Abwehrdeckung vereitelt würde. Weil beiden Ausschlüssen „deckungsgleiche Tatsachenbehauptungen“ zugrunde lägen, würde das Argument der vorvertraglichen Arglist von der erst noch zu entscheidenden Frage der Wissentlichkeit gleichsam verbraucht.

Das überrascht. Beginnen wir mit der Rechtskraft. Zur Wiederholungsvermeidung sei zunächst auf unseren Blog vom 1.10.2021 verwiesen. In Abkehr von der dort besprochenen Entscheidung aber meint das OLG Frankfurt jetzt plötzlich, die rechtskräftige Feststellung einer wissentlichen Pflichtverletzung könne nur im Haftpflichtverfahren geklärt werden. Das wurde in jenem Verfahren (in Rz. 134) noch ganz anders beurteilt und dennoch wird jenes Urteil auch in dem neuesten als Belegquelle zitiert.

Sodann fragt sich, ob eine solche Entscheidung mit Erfüllungswirkung überhaupt im einstweiligen Verfügungsverfahren getroffen werden kann. Solche Verfügungen sind gem. § 935 ZPO zur Vermeidung von Rechtevereitelungen zulässig; sie sollen den status quo sichern. Nicht umsonst folgt das Verfügungsverfahren prozessual dem Arrest, der der Sicherung der späteren Vollstreckung dienen soll. Nur in einem ganz seltenen – und hier sicher nicht vorliegenden – Ausnahmefall kann einstweilen eine endgültige Leistungsverpflichtung  ausgesprochen werden. Aber auch sonst ist das einstweilige Verfügungsverfahren für Fälle wie diesen gänzlich ungeeignet. Gerade weil ein solch summarisches Verfahren keine abschließende Entscheidung in Bezug auf die Vorsatzfrage zulässt, hätte ein entsprechender Antrag von vorneherein abgelehnt werden müssen. Das OLG Frankfurt kehrt diese Argumentation in ihr Gegenteil um, indem es eine einstweilige Deckung zuspricht, eben weil die gewählte Verfahrensart keine rechtskräftige Feststellung von Vorsatz oder Wissentlichkeit zuließe. Das gleiche Gegenargument gilt auch in Bezug auf den (angeblich nicht gelungenen) Nachweis der Wissentlichkeit. In Rz. 83 ff. wird ausgeführt, dass die Verfügungsbeklagte eine solche Wissentlichkeit trotz der vorhandenen belastenden Momente (Haftbefehl, Durchsuchungsbeschlüsse etc.) nicht „hinreichend glaubhaft“ gemacht habe. In Folge dessen könne nicht von der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ ausgegangen werden, dass der versicherte Manager wissentlich gehandelt habe. Anstatt jetzt den naheliegenden Schluss zu ziehen, dass das summarische Verfahren eben nicht geeignet ist und den Antrag auf einstweilige Verfügung abzuweisen, wird dieser vermeintlich fehlende Nachweis zum Anlass genommen, dem Leistungsbegehren stattzugeben, was letztlich eben nicht zu einer vorläufigen, sondern vielmehr zu einer endgültigen Leistungspflicht des Versicherers führt. Denn dieser wird seine vorgestreckten Abwehrkosten nie regressieren können, auch wenn später „im Hauptsacheverfahren“ die wissentliche Pflichtverletzung doch noch rechtskräftig festgestellt werden könnte (was ja nach dem ersten Diktum des Senats ausgeschlossen ist, s.o.).

Doch damit noch nicht genug. Das OLG Frankfurt erklärt den Arglistausschluss in Nr. 7.3 der AVB für nicht anwendbar, weil er im Widerspruch zur vorläufigen Deckung auch für Vorsatztaten bis zur rechtskräftigen Feststellung von Wissentlichkeit oder Vorsatz gem. Nr. 7.1 stünde. Das verkennt die Wirkungsweise des Arglistausschlusses. Dieser schließt die zugrundeliegenden Tathandlungen anstelle einer begründeten Arglistanfechtung vom Versicherungsschutz aus. Ohne diesen Ausschluss würde der Versicherer gezwungen, den Vertrag tatsächlich anzufechten, was zum Erlöschen jeden Versicherungsschutzes ex tunc führen würde, und zwar in Bezug auf alle versicherten Organe und Personen. Das wäre für alle Beteiligten – die Versicherungsnehmerin, deren Tochtergesellschaften und sämtliche versicherten Personen – sehr viel nachteiliger. Aus der vorläufigen Abwehrdeckung bei streitigem Vorsatz eine Art Präklusion für den Arglistausschluss abzuleiten, widerspricht der Funktionalität der beiden Parallelregelungen, und zwar ganz unabhängig davon, dass die wissentliche Pflichtverletzung während der Laufzeit des Vertrags sich gegen die Versicherungsnehmerin richtet, die vorvertragliche Arglist aber gegen den Versicherer. Die vom Gericht angenommene „Stoffgleichheit“ zwischen Wissentlichkeit und Arglist (Rz. 64) kann also gar nicht vorliegen.

Wie sagte der Stadionsprecher des FC Bayern, als am 18.9. ein achtes Tor beim 7:0 gegen den FfL Bochum nicht anerkannt wurde? Lasst mal gut sein. Er könnte auch das OLG Frankfurt gemeint haben.